Klimakrise Gesundheitliche Auswirkungen in allen medizinischen Fachgruppen

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Co₂-Emmissionen sind nicht nur ein Problem für die Umwelt, auch die daraus resultierenden Gesundheitsrisiken steigen zunehmend. Co₂-Emmissionen sind nicht nur ein Problem für die Umwelt, auch die daraus resultierenden Gesundheitsrisiken steigen zunehmend. © m.mphoto – stock.adobe.com

Die Klimakrise wird üblicherweise im Zusammenhang mit Umweltproblemen gesehen. Doch sie ist auch ein medizinischer Notfall, sagen die 70 Autoren eines neuen Buches. Sie beschreiben eine dramatische Lage und motivieren Ärzte – von Allergologie bis Zahnmedizin –, aktiv zu werden.

Der Normalbürger sehe bei Klimakrise, Klimawandel, Klimakatastrophe nicht die Beziehung zur Gesundheit, er denke an Pflanzen oder eine ein bis zwei Grad höhere Temperatur, bemerkte Professor Dr. Karl Lauterbach (SPD) als Gast bei der Vorstellung des Buches „Planetary Health – Klima, Umwelt und Gesundheit im Anthropozän“. Klimawandel finde auch nicht woanders statt, „sondern tatsächlich bei uns hier und heute“, so der Bundestagsabgeordnete und Arzt.

Wir brauchen deutlich mehr Elektromobilität

Die gute Nachricht sei, man wisse inzwischen, wie Veränderung vonstattengehen müsse. Nötig sei eine sehr schnelle Energiewende, was auch die Verkehrs- und Baupolitik betreffe. „Wir brauchen bis zum Jahr 2030 eine dramatische Zunahme der Elektromobilität.“ Derzeit gebe es um die 300.000 Elektroautos. Bis 2030 müssten es ungefähr 14 Millionen sein. Prof. Lauterbach geht davon aus, dass eine Wende zwar noch hinzubekommen ist – ob das jedoch noch vor Erreichen von Kipppunkten wie dem Abschmelzen der Polkappen geschehe, sei die Frage.

Dr. Martin Herrmann, Herausgeber und Autor, sieht als Problem, dass sich viele Menschen derzeit nicht vorstellen können, dass ihr eigenes Handeln etwas bewegen kann: „Keiner von uns weiß, was rauskommen wird. Aber wenn wir uns dem Pessimismus verschreiben, dann werden wir zum Propheten unseres Untergangs“, mahnt der Vorsitzende der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit. Ärzte sind seiner Auffassung nach zu krankheitsfokussiert, sie sollten sich mehr auf die Gesundheit fokussieren. Mediziner sollten interdisziplinär und über Sektoren hinweg nach Erklärungen für sich verändernde Krankheitsspektren sowie nach Lösungen suchen, meinen Autoren im Buch. Sie schlagen dafür eine Erweiterung des Ethikbegriffs vor, um zu zeigen, dass man „mutig“ handeln kann. Es gehe darum, die Weichen neu zu stellen, um die schlimmsten Auswirkungen der planetaren Krise abzumildern und Zeit für notwendige Anpassungen zu gewinnen.

Jährlich 250.000 zusätzliche Todesfälle zu erwarten

Verzeichnet werde eine Zunahme bei Allergien, Antibiotikaresistenzen, Hitzestress, Übergewicht/Fettleibigkeit und Unterernährung, erklärt Ko-Autorin und Herausgeberin Professor Dr. Babette Simon, Fakultät für Gesundheit der Universität Paris und Mitglied der Expert Advisory Group One Sustainable Health Forum. Blieben die Auswirkungen des Klimawandels ungebremst, könne dies bis 2050 zu 250.000 zusätzlichen Todesfällen pro Jahr führen. Die Auswirkungen der Klima- und Umweltveränderungen sind im Buch für 31 Fachdisziplinen aufgeführt – von Allergologie und Allgemeinmedizin über die Gynäkologie bis hin zur Zahnmedizin. Ärzte und Wissenschaftler haben hier wichtige Fragen und Prognosen über klima- und umweltbedingte Gesundheitsrisiken zusammengetragen. Extreme Wetterereignisse z.B. könnten nicht nur Infrastruktur zerstören, sondern auch zu vielen Toten und Verletzten, die durch Chirurgen zu versorgen sind, führen. Zudem werde die Allergologie eine immer größere Rolle spielen. 40 % der Menschen in Deutschland sind bereits allergisch, berichtet Professor Dr. Claudia Traidl-Hoffmann, Herausgeberin und Ko-Autorin. Umweltgifte hätten den Weg gebahnt, jetzt käme der Klimawandel hinzu.

Allgemeinmedizin

Weltweit sehen Hausarztverbände den Klimawandel und Umweltveränderungen als große Gefahr für ihre Patienten. Sie wollen auch Verantwortung für die Bewältigung der Herausforderungen übernehmen. Da es die Kernkompetenz des Hausarztes sei, Patienten in ihrem biopsychosozialen Kontext wahrzunehmen und zu begleiten, sei es nur folgerichtig, die Auswirkungen von Umweltveränderungen auf die Gesundheit in die hausärztliche Arbeit einzubeziehen. Die vertrauensvolle Beziehung zu den Patienten verleihe dem besonderes Gewicht. Hausärzte seien oft auch in der Kommune oder im Quartier gut vernetzt, so die Buchautoren, hier könnten sie Partei ergreifen. Die Arbeit in multiprofessionellen Teams sei ebenfalls richtungsweisend. Planetary-Health-Aspekte sollten hier integriert werden.

Kardiologie

Verwiesen wird in dem Buch „Planetary Health“ auf die Auswirkungen der inzwischen erheblichen Zunahme an Feinstaub, Luftschadstoffen oder Verkehrslärm auf das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Diesen Risiken entgegenwirken könnten jedoch nicht die Ärzte. Das müssen Politiker durch das Festlegen und Kontrollieren tolerierbarer Grenzwerte tun.

Endokrinologie

Endokrine Disruptoren (ED) werden für eine Vielzahl hormonell verursachter oder regulierter Erkrankungen als Ursache gesehen, u.a. für Übergewicht, rückläufige Fertilität, Schilddrüsenerkrankungen, Tumoren. Es gebe zwar, so die Autoren, positive Schritte in Richtung einer Regulierung endokrin wirkender Chemikalien in der EU, aber insgesamt reichten die Maßnahmen nicht aus. Vom Gesetzgeber seien wirkungsvolle Maßnahmen zu fordern.

Gesundheitsdienst

Aus Sicht der Autoren muss der Öffentliche Gesundheitsdienst mit seinen 400 Gesundheitsämtern den Klimawandel als Public-Health-Notfall und als neue Priorität verstehen. Gemeinsam mit Akteuren verschiedener Bereiche seien potenzielle Risikogruppen und -gebiete für klimabedingte Gesundheitsschäden zu identifizieren sowie Gegenstrategien zu planen bzw. zu implementieren.

Beschrieben werden vielfach der dringende politische Handlungsbedarf, Forschungserfordernisse sowie die klimabezogene Anpassung von Aus- und Weiterbildung in den Gesundheitsberufen. Man müsse den im Buch beschriebenen Kipppunkten in den Ökosystemen etwas entgegensetzen und den Menschen Instrumente in die Hand geben, mit denen sie in ihrem unmittelbaren Bereich aktiv werden können, betont Ko-Autor und Herausgeber Privatdozent Dr. Christian Schulz. Und Ärzte sollten ihre Patienten dahin bringen, gesünder zu leben. Damit rettet man zugleich das Klima. Auch die Nachhaltigkeit im Gesundheitssektor wird im Buch thematisiert. Mit einem Beitrag von 5 % zu den CO₂-Emissionen könne bisher keine nebenwirkungsfreie Medizin gemacht werden, so Dr. Schulz. Dr. Eckart von Hirschhausen, Gründer der Stiftung Gesunde Erde Gesunde Menschen, mahnt im Vorwort zum Buch: „Oft vergessen wir, welch große Fortschritte wir in den letzten 20 Jahren im Bereich der globalen Gesundheit gemacht haben, doch durch den Klimawandel – und noch verschärft durch die jetzige Pandemie – gefährden wir diese Errungenschaften.“

Medical-Tribune-Bericht