Klima- und Gesundheitsschutz „Bisher ist kein Wahlprogramm ausreichend“

Gesundheitspolitik Autor: Isabel Aulehla

Die Verantwortung wird auf den einzelnen Verbraucher abgewälzt. (Agenturfoto) Die Verantwortung wird auf den einzelnen Verbraucher abgewälzt. (Agenturfoto) © bilderstoeckchen – stock.adobe.com

Tierische Produkte verteuern, Obst und Gemüse vergünstigen: Die Bewegung Health for Future will lenkende Politik, die den Planeten schützt und Zivilisationskrankheiten verhindert. Doch was halten Gesundheitspolitiker davon? Eine Podiumsdiskussion ließ tief blicken.

Für Ärzte und Pflegende sind die Zusammenhänge zwischen Erd­erwärmung und Gesundheit in der täglichen Arbeit offensichtlich. Health for Future, ein Zusammenschluss von Personen in medizinischen Berufen, fordert daher, die Klimakrise endlich als medizinischen Notfall zu benennen und entsprechend schnell zu handeln.

Hitzewellen verschlimmern Pflegenotstand

Jessica Esser, Pflegefachkraft aus Freiburg berichtete in einem Impulsvortrag, wie sich die Hitze im Sommer 2020 auf ihre Arbeit auswirkte. Sie habe im obersten Stock einer orthopädischen Station gearbeitet, wo es nicht selten über 40 °C warm gewesen sei. Sowohl Patienten als Pflegende hätten stark darunter gelitten. Beispielsweise habe das Team mehr Fehler gemacht als sonst und viele Dinge vergessen. Oft seien sie zwei Stunden länger in der Klinik gewesen, ohne jedoch alles zu schaffen, was anstand. Manchmal seien Patienten von der Notaufnahme als „dement“ übergeben worden. Später klarten diese vollständig auf – sie hatten einfach zu wenig getrunken. „Die Klimakrise verstärkt den Pflegenotstand“, resümierte Esser.

Die Vision ist klar: Ein gesundes und klima­freundliches Verhalten soll für die Menschen bequem und günstig sein, klima- und gesundheitsschädigendes Verhalten dagegen teuer und unbequem. Es brauche eine „schnelle und umfassende Transformation“, erklärte Dr. Lisa Pörtner, Internistin in Bremen und Health-for-Future-Aktivistin bei einer Podiumsdiskussion, die das Bündnis gemeinsam mit KLUG, der Deutschen Allianz Klimawandel und Gesundheit ausrichtete.

Ärzteschaft stellt nun konkrete politische Fragen

Zu Gast waren nicht nur verschiedene Gesundheitspolitiker, sondern auch Professor Dr. ­Sebastian Schellong, erster stellvertretender Vorsitzender der DGIM. „Auf wissenschaftlicher Basis sind so viele Dinge bekannt und bezifferbar, dass wir jetzt mit unserem ärztlichen Sachverstand wirklich politische Fragen stellen,“ betonte er. So wollten er und Health for Future wissen, warum das Ziel der Treibhausgasneutralität erst für 2045 erreicht werden soll, obwohl Deutschland laut eines Berichts des Sachverständigenrats für Umweltfragen bereits 2029 das CO₂-Budget aufgebraucht haben werde, das für die Einhaltung des 1,5-°C-Ziels erforderlich wäre. Dr. Georg Kippels, der für die CDU/CSU-Fraktion im Ausschuss für Gesundheit arbeitet, antwortete, dass es weniger auf festgelegte Jahreszahlen ankomme. Und auch die Reduktion auf Deutschland sei aufgrund der internationalen Zusammenhänge eine „unzulässige Verkürzung der Fragestellung“. Viel wichtiger sei es, mit den Bürgern in einen „intensiven Diskurs“ zu treten, um Akzeptanz für klimapolitische Maßnahmen zu schaffen. Man müsse sie informieren, sodass sie nötige Veränderungen nicht als Mehrbelastung bewerteten. Bei solchen habe man – ebenso wie bei Einschnitten im Lebensstil – ein Vermittlungsproblem. Man müsse die individuellen Zumut­barkeitsgrenzen im Blick behalten. Später konterte Health-for-Future-Mitglied Dr. Pörtner darauf: „Wie unzumutbar belastet werden die Lebensumstände der künftigen Generationen sein?“

Viele Bürger nicht zu Verhaltensänderung bereit?

Die SPD-Abgeordnete Heike ­Baehrens, schloss sich Dr. Kippels an: Die Notwendigkeit raschen Handelns sei unter Experten zwar unbestritten. Doch man müsse auch die Bürger mitnehmen. Und bei Fragen der Lebensgestaltung seien viele von diesen nicht bereit, den Weg mitzugehen – selbst, wenn sie auf theoretischer Ebene für mehr Klimaschutz plädierten. Es sei ähnlich schwierig wie andere Verhaltensveränderungen zu erwirken, etwa eine Abkehr von Zigaretten oder Alkohol. Die Politikerin bat zudem darum, nicht pauschal von „der Politik“ zu sprechen. Es gehe schließlich um verschiedenste Akteure auf Bundes-, Landes- und Kommunalebene, die ebenfalls intensiv aufgeklärt werden müssten. Solche Argumente genügten den Ansprüchen von Health for Future nicht, stellte Dr. Pörtner klar. Es bestehe eine „frappierende Diskrepanz“ zwischen dem Beteuern, man müsse schnell handeln und Aussagen wie „Die Menschen wollen das nicht“ oder „Wir brauchen Druck von der Straße“. Mit diesen wälze man die Verantwortung auf den einzelnen Bürger ab. Stattdessen müsse die Politik ihre Verantwortung ergreifen. Sie kenne schließlich die Daten und verfüge über die Sachverständigen. „Es ist Ihre Aufgabe, die Gesundheit der heutigen Generationen und der künftigen Generationen zu schützen.“ Prof. Schellong forderte die Parteien auf, konkret zu nennen, wie viele Gigatonnen CO₂ sie in der kommenden Legislatur auf welche Art reduzieren wollen. „Alles andere möchte ich hier doch als Sonntagsrede qualifizieren.“ Die Kritik galt genauso den Vertretern der Oppositionsparteien. Dr. Bettina Hoffmann, Grünen-Abgeordnete im Bundestag und Mitglied des Ausschusses Gesundheit, betonte, die Politik müsse Rahmenbedingungen schaffen – auch für diejenigen, für die Klimaschutz nicht das Allerwichtigste sei. Die friedenspolitische und ehemalige gesundheitspolitische Sprecherin der Linken, Kathrin ­Vogler erklärte, Klimaschutz sei auch eine soziale Frage. „Diejenigen, die gesundheitlich von den Folgen des Raubbaus und der Art des Wirtschaftens betroffen sind, sind zugleich diejenigen, die am wenigsten Ressourcen haben, um sich davor zu schützen.“ Man denke etwa an Senioren mit niedriger Rente in ungedämmten Mansarden oder Menschen, die auf dem Bau arbeiten. Die Lebens- und Gesundheitschancen seien ungleich in der Bevölkerung verteilt. So wisse man aus Studien, dass es nicht möglich sei, sich mithilfe des Hartz-IV-Regelsatzes gesund zu ernähren. Fragen des Lebensstils müssten daher verbunden werden „mit einem sozialen Ausgleich und einer Umverteilung“. An den Internisten und FDP-Abgeordneten Professor Dr. Andrew Ullmann wandte sich Health for Future mit einer anderen pikanten Frage: Ende nicht die Freiheit des Einzelnen, sein Auto zu nutzen und damit die Luft zu verschmutzen dort, wo es der Gesundheit eines anderen schade? Und wie komme es, dass im Wahlprogramm der FDP weder etwas Konkretes zum Kohleausstieg noch zu einer Mobilitätswende zu lesen sei? Der Politiker meinte, er vermisse eine globale und interdisziplinäre Vernetzung. Beispielsweise schädige die Produktion von Batterien für E-Autos im asiatischen Raum die Umwelt, damit man in anderen Staaten sauber fahren könne. Die FDP wolle Klimaziele setzen. Ein weiteres großes Anliegen von Health for Future ist eine klimafreundliche, überwiegend pflanzenbasierte Kost. Diese sei zugleich gesund. Die Initiative fordert daher „lenkende Politik“, etwa die Erhöhung der Mehrwertsteuer auf tierische Produkte und die Senkung der Steuern auf Obst und Gemüse. Die Frage an die Politiker: „Was werden Sie tun, um die Krankheitslast durch nicht übertragbare Krankheiten in der Bevölkerung zu reduzieren?“ Prof. Ullmann erklärte, es sei nicht im Sinne der Verfassung, Bürger erziehen zu wollen. „Es ist jeder selbstbestimmt, sich auch selbst zu schädigen.“ Man könne lediglich die Gesundheitskompetenz stärken, die in den letzten Jahren nachgelassen habe. So sei es etwa auf Länderebene möglich, die Lehrpläne umzustrukturieren. Auch gesundes Essen in Schulen sei wichtig. Steuerliche Maßnahmen seien hingegen zu kleinteilig und würden nicht zu den gewünschten Ergebnissen ­führen. Dr. Kippels von der CDU sieht auch in einer stärkeren Digitalisierung des Gesundheitswesens Chancen für die Prävention. Mittels gesammelter Daten der Patienten könne man Präventionsstrategien entwickeln.

„Dringlichkeit der Situation ist nicht verstanden worden“

SPD-Politikerin Baehrens unterstrich, dass bereits viele klimaschütz­ende Entscheidungen umgesetzt worden seien. Beispielsweise würden Gesetzesvorschläge der Bundesregierung auf Nachhaltigkeitskriterien hin überprüft. „Es darf nicht der Eindruck entstehen, als hätte Politik nicht begriffen, worum es hier geht. Und es darf nicht mehr der Eindruck entstehen, als wäre Politik unfähig, diese Veränderungsprozesse tatsächlich voranzubringen.“ Als Stimme von Health for Future betonte Dr. Pörtner, man könne natürlich niemandem vorschreiben, wie er sich zu ernähren habe. Wenn aber auf die individuelle Kompetenz und Maßnahmen in Schulen und Kitas gesetzt werde, „dann ist die Dringlichkeit unserer Situation nicht verstanden worden“. Sie forderte die Parteien auf, ihre Wahlprogramme darauf hin zu überprüfen, „ob wirklich drin ist, was drauf steht“. Mit Blick auf das 1,5-°C-Ziel von Paris seien diese bisher alle nicht ausreichend.

Medical-Tribune-Bericht