Klima-Sprechstunde gegen die Erderwärmung

Praxisführung , Praxismanagement Autor: Isabel Aulehla

Eine Änderung des Lebensstils kann pro Kopf und Jahr drei Tonnen Kohlenstoffdioxid einsparen. Eine Änderung des Lebensstils kann pro Kopf und Jahr drei Tonnen Kohlenstoffdioxid einsparen. © zephyr_p – stock.adobe.com

Was haben Ärzte mit dem Klimaschutz zu tun? Ein engagierter Arzt meint: In der Praxis können Mediziner ihre Patienten zu einem umweltfreundlicheren Lebensstil bewegen. Seine Methode: die „Klima-Sprechstunde“.

Auf dem nächsten Deutschen Ärztetag wird er eine zentrale Rolle spielen, die Charité widmet ihm eine Professur und immer mehr Patienten leiden unter ihm: Der Klimawandel beschäftigt auch die deutsche Ärzteschaft. Nun hat Hausarzt Dr. Ralph Krolewski aus Gummersbach mit der „Klima-Sprechstunde“ ein konkretes Konzept entwickelt, wie Mediziner ihre Patienten dazu bewegen können, Gesundheit und Klima gleichzeitig zu schützen. Der Ansatz: Wer seinen Lebensstil ohnehin aus gesundheitlichen Gründen ändern muss, kann dabei auch ohne großen Aufwand klimafreundlicher werden.

Die „Klima-Sprechstunde“ ist keine gesonderte Leistung, sondern eine normale Sprechstunde, in die der Klimawandel hineinspielt. Sie beruht auf der Gesundheits-Definition der WHO, nach der Gesundheit physisches, mentales, soziales und ökologisches Wohlbefinden umfasst.

Dr. Krolewski, der Entwickler des Konzepts, ist Hausarzt und Psychotherapeut. In den Gesprächen mit Patienten spiegeln sich für ihn Lebenswirklichkeiten, Werte-Hierarchien und Erfahrungen wider. An diesen möchte er ansetzen, wenn er auf den Lebensstil der Menschen zu sprechen kommt. Er fragt, wie sie sich ernähren, wie viel sie sich bewegen, ob sie reisen und ob ihnen ein Zusammenhang mit dem Klima bewusst ist.

Fallbeispiele zur Klima-Sprechstunde nach Dr. Krolewski

Fall 1 64-jähriger Koronarpatient: „ Ich will mich gesund ernähren. Das Pravastatin greift meine Muskeln an. Ich esse mehr Fisch als Fleisch und davon nicht viel. Dazu Zwiebeln und einen Sud mit Ingwer und Knoblauch. Mein Nachbar experimentiert auch mit solchen Sachen. Können Sie mir sagen, was gesund ist?“
Intervention: Fünf Regeln gesunder Ernährung nach Bas Kast, Literaturhinweis auf der Homepage des oberbergischen Hausärzteverbandes mit Verknüpfung zu „Planetarer Ernährung“ und Klimawandel. Verstärkung der vorhandenen Motivation mit positiver Zielsetzung. Ermutigung zu Bewegung und Verzicht aufs Auto: „Ist gut für das Herz.“ Fall 2 Luise, 82 Jahre. In den vergangenen zwei Tagen mit Wetterumschwung von sonnig nach kühl spielt der Blutdruck verrückt. Eine Notfallbehandlung erfolgte bei Blutdruckkrise im Krankenhaus. „Ich bin völlig verunsichert. Wie soll ich jetzt meine Medikamente einnehmen? Woran liegt das?“
Ich sage: „Wettereinflüsse können eine Rolle spielen. Wenn im Sommer Hitzewellen kommen, müssen sie sich schützen.“ Ich gebe Informationen und weise auf den „Hitze-Knigge“ des Umweltbundesamts hin. „Kann ich einen mitnehmen? Unsere Regierung tut nicht genug!“ Ich bemerke: „Es gibt genug Fachleute. Der Startschuss muss nur auf der politischen Ebene für das Allgemeinwohl fallen. Da hakt es aktuell gewaltig. Die Schüler protestieren zu Recht.“ Luise: „Genau, es geht um deren Zukunft.“

Bei Ernährung und Bewegung ansetzen

„Bei vielen Erkrankungen kann eine Veränderung des Lebensstils großen Erfolg haben, daher bieten sich diese Themen an“, erklärt Dr. Krolewski, der Vorstandsmitglied des Hausärzteverbandes Nordrhein ist und im Verein „Klimawandel und Gesundheit“ mitarbeitet. „Durch Änderungen des Lebensstils können pro Kopf und Jahr drei Tonnen CO2 eingespart werden.“ Häufig stellt sich in der Sprechstunde heraus, dass Patienten ihren Lebensstil gerne ändern würden, aber unsicher sind, wie es denn gesünder wäre. In diesem Fall verweist der Mediziner auf wissenschaftliche Empfehlungen, die sowohl Gesundheit als auch Klima im Blick haben. So gibt er beispielsweise die Tipps für gesunde Ernährung des Wissenschaftsautors Bas Kast weiter oder empfiehlt den „Hitzeknigge“ des Umweltbundesamtes. Ansonsten motiviert er dazu, das Auto öfter stehen zu lassen und stattdessen zu laufen oder Fahrrad zu fahren. Beim nächsten Besuch in der Praxis fragt er, was aus den guten Vorsätzen geworden ist. Wenn Patienten schon eigene Ansätze zur Veränderung mitbringen, versucht Dr. Krolewski, sie darin zu bestärken. Er arbeitet mit den Methoden der humanistischen Psychologie, d. h., er respektiert die Ansichten seiner Patienten und tritt nicht autoritär auf. Trotzdem reagieren die Patienten manchmal erstaunt, wenn es in der Sprechstunde plötzlich um den Klimawandel geht, erzählt der Arzt. Allerdings seien sie meist froh darüber, dass das Thema angesprochen wird. „Ich erlebe wenige Widerstände“, sagt der Mediziner. „Das Thema beschäftigt die Menschen. Die Familien sind am diskutieren und auch Senioren machen sich Gedanken. Bei Patienten mit Angststörungen oder Depressionen ist das Thema häufig sogar psychodynamisch bedeutsam.“ Mögliche Bedenken, die Sprechstunden könnten sich verlängern und somit weniger ökonomisch werden, entkräftet der Arzt: „Ich arbeite in einer Zehn-Minuten-Taktung. Das ist problemlos machbar, man muss nur aufmerksam sein.“ Dr. Krolewski behandelt pro Quartal 1200 bis 1300 Patienten und macht seine Hausbesuche mit dem Fahrrad. Die Klima-Sprechstunde betrachtet er als konsequente Umsetzung der Gesundheitsuntersuchungs-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses. In der heißt es, Ärzte sollten „durch motivierende Gesprächsführung die gesundheitsbezogenen Änderungspotenziale der Versicherten identifizieren, um darauf aufbauend geeignete, abgestimmte Schritte zur Verhaltensänderung zu erörtern“. Diese Aushandlung mit dem Patienten bette er lediglich in den größeren Kontext des Klimawandels ein, sagt der Kollege. Mediziner seien die „Frontliner“ gegen den Klimawandel. Sie haben ein multikulturelles und sozial heterogenes Klientel, das sie zu einem gesunden und klimafreundlichen Lebensstil motivieren können.

Professur für Klimawandel und Gesundheit

Welche Folgen hat die Erderwärmung für die Gesundheit der Menschen? Um dieser Frage nachzugehen, richtete die Charité im Juni eine bundesweit einzigartige Professur ein. Sie geht an die Medizinerin und Epidemiologin Professor Dr. Dr. Sabine Gabrysch. Bisher hat sich die Forschung zu den Folgen des Klimawandels vor allem mit der Ausbreitung tropischer Krankheiten und mit Hitzewellen beschäftigt. An der Charité möchte die 43-Jährige den Zusammenhang zwischen Klimawandel und Ernährungssicherheit weiter erforschen. Sie betrachtet die Ernährung als Bindeglied zwischen Klima und Gesundheit: „Wenn etwa häufigere Dürren zu Mangelernährung von Schwangeren führen, können die ungeborenen Kinder bleibende Schäden davontragen.“ Weitere Themen ihrer Forschung werden z.B. der Verlust der Biodiversität und die Verschlechterung von Agrarböden sein. Neben dem Klimawandel möchte die Ärztin auch „Win-Win-Lösungen“ untersuchen, die sowohl für die Gesundheit als auch für den Planeten nützlich sind. „Beispiele reichen von agrarökologischen Anbaumethoden bis zu fußgänger- und fahrradfreundlichen Städten“, erklärt Dr. Gabrysch. Sie verfolgt ein ganzheitliches „Planetary Health“-Konzept, dessen Ziel „gesunde Menschen auf einem gesunden Planeten“ sind. Zuletzt war die Ärztin stellvertretende Leiterin des Instituts für Global Health am Universitätsklinikum Heidelberg.

Fortbildungen zum Konzept werden derzeit geplant

Auch außerhalb der „Klima-Sprechstunde“ setzt Dr. Krolewski sich für den Umweltschutz ein. Er ist Mitglied in Vereinigungen, die sich gegen den Klimawandel engagieren, so z.B. bei den „Global Family Doctors“. Im englischsprachigen Raum seien die Ärzte schon weiter, berichtet er. Hierzulande gebe es bislang keine medizinischen Fortbildungen zum Klimawandel. Sobald die Pilotphase der „Klima-Sprechstunde“ abgeschlossen ist – spätestens im Herbst – möchte Dr. Krolewski das ändern. Die Gespräche mit Anbietern von Fortbildungsveranstaltungen laufen bereits.

Medical-Tribune-Bericht

Dr. Ralph Krolewski; Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. Ralph Krolewski; Facharzt für Allgemeinmedizin © privat