Wie Mediziner nachhaltiger arbeiten können
In den eigenen vier Wänden schalten viele Menschen ganz selbstverständlich das Licht aus, wenn sie gehen und drehen die Heizung ab, bevor sie lüften. „Auf der Arbeit ist das aber leider oft wie vergessen“, stellt Dr. Gudula Keller fest. Die Orthopädin engagiert sich gemeinsam mit vier weiteren Ärzten in der Initiative „Nachhaltige Praxis“, einem Projekt der Dresdener Ortsgruppe von Health for Future.
„Der Gesundheitssektor verursacht rund 5 % der Treibhausgasemissionen. Wir wollen einen Beitrag dazu leisten, das zu reduzieren“, erklärt Dr. Keller. Sie und ihre Mitstreiter machen sich deshalb Gedanken darüber, wie Mediziner den Praxisbetrieb klimafreundlicher gestalten können und sammeln die Möglichkeiten in einer Online-Liste. Schon fast 50 Tipps kamen so zusammen.
Hitze veralteter Technik mit Klimaanlage ausgleichen?
Auch der Tübinger Hausarzt und Internist Dr. Christian Mickeler hat sich mit dem Thema beschäftigt, allerdings aus sehr pragmatischem Grund: „In unseren Praxisräumen wurde es über den Sommer unerträglich heiß. Reguläres Arbeiten war im Juli und August kaum möglich.“ Zunächst wollte das Team der Gemeinschaftspraxis in eine Klimaanlage investieren. Doch dann identifizierten sie viele vermeidbare Wärmequellen in der Praxis: Elektrogeräte, Glühbirnen, veraltete Rechner und Monitore und vor allem ein altes Ultraschallgerät. „Unser Sonographieraum war eine Sauna“, erinnert sich der Internist.
Vor zwei Jahren entschied er sich dazu, die veraltete Technik gegen neue auszutauschen. Der Stromverbrauch der 160 m2 großen Praxis halbierte sich direkt: Statt 6000 kWh pro Jahr benötigt sie heute nur noch 3000 kWh. Da die Praxis seit der Umgestaltung außerdem Ökostrom bezieht, sanken die mit dem Strom verbundenen Emissionen rechnerisch von etwa 2,4 Tonnen CO2 auf null*.
Finanziell gesehen sparen die Maßnahmen laut dem Internisten etwa 1000 Euro im Jahr ein. „Die Investitionskosten waren natürlich hoch und werden sich erst über viele Jahre amortisieren“, berichtet er. Doch in puncto Raumtemperatur habe es sich schon jetzt gelohnt. „Wir konnten letzten und vor allem diesen Sommer problemlos arbeiten.“ Auch am Empfang erleichtert die neue Ausstattung den Alltag, beispielsweise muss niemand mehr über Stunden hinweg auf einen alten, flackernden Bildschirm starren. Auf manche Geräte lässt sich auch einfach ganz verzichten: Das Waschen und Trocknen der Arbeitskleidung entfällt in der Praxis. Stattdessen zahlt Dr. Mickeler seinen Beschäftigten ein großzügiges Wäschegeld, um das Waschen zu Hause zu entschädigen.
Sind alte Stromfresser gegen modernere Geräte ausgetauscht, kann weiterer Feinschliff erfolgen: Dr. Keller achtet in ihrer Dresdner Praxis darauf, dass außer dem Server keine Geräte über Nacht laufen, auch nicht auf Standby. Steckerleisten mit Kippschalter stellen sicher, dass die Geräte vom Stromnetz getrennt sind.
Unterstützung des Teams wichtig
Natürlich liege die Umsetzung vieler dieser Maßnahmen auch bei den MFA, erklärt die Orthopädin. Etwa seien sie es, die daran denken müssen, beim Stoßlüften die Heizung abzuschalten. Daher empfiehlt die Ärztin, die Beschäftigten möglichst eng in die Umstellung einzubinden. „Sie bringen auch viele eigene Ideen mit“, berichtet sie. Die Medizinerin hat mit ihrem Team bereits eine kleine Fortbildung zum Thema gemacht. Erfahrungsgemäß sei es am schwierigsten, Mitarbeiter davon zu überzeugen, nachhaltigere Verkehrsmittel zu nutzen.
In Tübingen konnte Dr. Mickeler dieses Problem mittels zweier eBikes beheben. Grund für die Anschaffung war auch die Pandemie. „Wir nehmen alle meist die öffentlichen Verkehrsmittel. Im April haben wir uns dann erst mal gefragt, wie wir sicher zur Arbeit kommen sollen.“ Nun kann eine Mitarbeiterin, die 12 km entfernt wohnt, zur Arbeit radeln und die Kosten für den Bus sparen.
Auch für Hausbesuche schwingt sich Dr. Mickeler aufs Fahrrad. Innerhalb Tübingens komme man damit ohnehin besser voran als mit dem Auto. Gelegentlich habe es aber auch Nachteile. „Manche Leute sind schon irritiert, wenn der Herr Doktor mit dem Rad kommt. Vor allem, wenn es um Notfälle geht oder um eine Leichenschau. Ich versuche es zu vermeiden, in kurzer Hose dorthin zu radeln.“
Beim Kauf der eBikes nutzte die Praxis Förderprogramme von den Stadtwerken und der Stadt Tübingen. Insgesamt steuerten sie 300 Euro bei. Nun kann der Internist den Tiefgaragen-Stellplatz weitervermieten, der zur Praxis gehört. „Vom Ersparten gönnen wir uns eine üppige Weihnachtsfeier“, freut er sich.
Eher schwer zu umgehen, sind die vielen Verbrauchsmaterialien, die im Alltag anfallen. „Klammerentferner, Pinzetten, Scheren – die Tendenz geht leider immer mehr zum Einwegmaterial“, bedauert Dr. Keller. Die Initiative weist darauf hin, dass es sinnvoll sein kann, zur Sterilisation von Instrumenten mit einer anderen Praxis oder einer Klinik zusammenzuarbeiten – eine Lösung für Mediziner, die für bestimmte Behandlungen auch Mehrwegmaterial verwenden könnten, aber mangels Sterilisator noch darauf verzichten.
Immerhin lässt sich aber im Bereich des Papiers viel Müll vermeiden, etwa indem auf Hochglanzpapier gedruckte Werbezusendungen abbestellt werden. „Seitdem müssen wir jeden Tag nur noch eine Kiste Papiermüll runtertragen, vorher waren es zwei“, berichtet Dr. Mickeler. „Und eine kleinere Mülltonne spart nebenher Geld.“
CO2-Ersparnis bei Papier nicht zu unterschätzen
Manchmal bietet es sich auch an, für die Entsorgung auf andere Parteien im Haus zuzugehen. „Wir nutzen den Papiercontainer einer Kita mit“, erklärt Dr. Keller. Diese bekomme dafür einen vermehrten Obolus von den Entsorgungsunternehmen. Die Initiative verweist darauf, dass auch ein Eintrag in der „Robinsonliste“ vor Werbung schützen kann. An dieser Sperrliste für Werbezusendungen orientieren sich viele Unternehmen.
Insgesamt kann ein klimafreundliches Praxiskonzept auch nützen, um sich von der Konkurrenz abzugrenzen – vor allem in einer Zeit, in der die Klimabewegung mit Fridays for Future großen Zustrom erlebt.
Dr. Keller will das nachhaltige Arbeiten daher auf ihrer Homepage sichtbar machen. Auch Dr. Mickeler vermutet, dass es ein Wettbewerbsvorteil sein könnte: „In einer Stadt, in der die Grünen bei der letzten Landtagswahl 45% der Stimmen bekommen haben, wird es wahrscheinlich kein Nachteil sein, als ökologisch wahrgenommen zu werden.“
Für die Zukunft hofft Dr. Keller darauf, dass sich durch die TI viele Emissionen erübrigen. „Der eArztbrief beispielsweise würde langfristig natürlich enorm viele Wege, Druckkosten und Papier sparen“, erklärt sie. Auch Dr. Mickeler will die Klimabilanz seiner Praxis noch in einem Punkt verbessern: Er plant, eine Solaranlage auf dem Dach montieren zu lassen, sofern die Eigentümergemeinschaft des Mietshauses zustimmt.
* Die Rechnung basiert auf dem CO2-Emissionsfaktor für Deutschland von 2019: Pro erzeugter kWh wurden durchschnittlich 401 Gramm CO2 an direkter Emission ausgestoßen.
Medical-Tribune-Bericht