Praxiskolumne Gesundheitssystem auf die Intensivstation!
Der Bundeszuschuss in den Gesundheitsfonds beträgt 2022 nun insgesamt 28,5 Mrd. Euro. Zum Vergleich: 2008 hatte er nur bei 2,5 Mrd. Euro gelegen. Die gesetzliche Krankenversicherung gerät mehr und mehr in finanzielle Schieflage.
Mit dem Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes, den Minister Lauterbach vorgelegt hat, sollen die Zusatzbeiträge in der GKV 2023 von 1,3 % auf 1,6 % steigen. Geplant ist außerdem eine Erhöhung des Steuerzuschusses zum Gesundheitsfonds um zwei Milliarden Euro sowie ein Bundesdarlehen an die Krankenkassen in Höhe von einer Milliarde Euro. Darüber hinaus will man Finanzreserven der Krankenkassen und des Gesundheitsfonds weiter abschmelzen, die Pharmaindustrie soll einen „Solidarbeitrag“ in Höhe von einer Milliarde Euro zahlen. „Effizienzverbesserungen ohne Leistungskürzungen in der Versorgung“ sollen weitere drei Milliarden Euro bringen.
Dabei müsste das Gesundheitssystem mit der Diagnose „zuviel ungesteuerte Inanspruchnahme“ eigentlich auf die Intensivstation. Doch was diese „Krankheitsursache“ angeht, ist bundesweit kein Umdenken in Sicht. Schmerzen im mittleren Fußgewölbe seit Wochen, da gehe ich doch nachts um 3 Uhr in die Notaufnahme und lasse lieber mal nachsehen, kostet ja nichts. Rückenschmerzen, Druck in den Nasennebenhöhlen seit zwei Tagen, da möchte ich bitte schön einen Termin beim Facharzt oder der Fachärztin meines Vertrauens, und zwar sofort.
Was, das geht nicht? Warum? Weil Patient:innen mit vergleichsweise harmlosen Beschwerden fachärztliche Behandlungskapazitäten blockieren und weil überhaupt zuviel ärztliche Inanspruchnahme stattfindet. Die Deutschen gehen im Schnitt mehr als 16-mal im Jahr zum Arzt oder zur Ärztin. In Norwegen tun das die Menschen im Durchschnitt dreimal. Erstaunlich, dass sich die Lebenserwartung der Skandinavier nicht von der unsrigen unterscheidet. Die Mehrzahl der Inanspruchnahmen hierzulande scheint also verzichtbar. Eine so hochfrequente Belastung kann kein Gesundheitssystem auf Dauer leisten. Das muss aufhören!
Ich verstehe nicht, warum man Gutachten in Auftrag gibt und dann ignoriert, was die Experten empfehlen. Immer wieder hat der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (SVR) darauf hingewiesen, dass das deutsche Gesundheitssystem trotz etlicher Reformen weiterhin unter Über-, Unter- und Fehlversorgung leidet.
In ihrem Gutachten zur „Bedarfsgerechten Steuerung der Gesundheitsversorgung“ haben die Expert:innen empfohlen, diese Fehlsteuerung zu bekämpfen. Die Hausärzt:innen sollen dabei eine zentrale Rolle spielen und es wurde mehr Steuerung empfohlen.
Hausärzt:innen sollen die Patientenwege besser koordinieren. Dazu schlägt der SVR vor, die Modelle zur Hausarztzentrierten Versorgung (HzV) auszuweiten. Sie sehen vor, dass immer zuerst die Hausarztpraxis aufgesucht wird, die ggf. gezielt weiterüberweist. Die Krankenkassen sollen dazu verpflichtet werden, einen vergünstigten Wahltarif für die Teilnahme an der HzV anzubieten, so der Sachverständigenrat. Falls dieser finanzielle Anreiz nicht ausreicht, um die Patient:innen zu lenken, will der SVR noch einen Schritt weitergehen. Er bringt eine Kontaktgebühr ins Spiel, die bei jedem Facharztbesuch ohne Überweisung oder in der Notfallambulanz fällig wird.
Ferner spricht sich der SVR dafür aus, die Gesundheitskompetenz der Bevölkerung zu stärken. Idealerweise sollte bereits in der Schule damit begonnen werden, das Verständnis für evidenzbasierte Medizin aufzubauen und den Umgang mit Gesundheitsinformationen zu erlernen. Darüber hinaus sollen Modelle zur partizipativen Entscheidungsfindung gefördert werden. Die Patient:innen sollen also mehr mitreden und mitentscheiden können.
Fakt ist, ohne bessere Steuerung und Eigenbeteiligung wird es nicht gehen, das bisherige System steht kurz vor dem Kollaps. Wir brauchen endlich überfällige Reformen, die die GKV dauerhaft auf ein verlässliches Fundament stellen und die eine kostendeckende Finanzierung sichern.