Gutachten prüft: Heilpraktiker einbinden oder ausschließen?

Gesundheitspolitik Autor: Cornelia Kolbeck

Ob Reiki oder Thera­pie mit Ohrenkerzen: Viele Patienten fühlen sich beim Heilpraktiker gut behandelt. Ob Reiki oder Thera­pie mit Ohrenkerzen: Viele Patienten fühlen sich beim Heilpraktiker gut behandelt. © iStock/Dean Mitchell, Wavebreakmedia

Können Ärzte und Heilpraktiker erfolgreich nebeneinander am Patienten wirken? Die Meinungen hierzu gehen weit auseinander. Ein Gutachten fürs Bundesgesundheitsministerium soll Klarheit bringen. Ein Parteifreund des Ministers kann sich eine Kooperation gut vorstellen.

Den Versuch, die Arbeit der Heilpraktiker zu begrenzen bzw. stärker zu regulieren, gibt es schon seit Jahren. 2016 mahnten die Grünen im Bundestag Reformen für das aus dem Jahr 1939 stammende Heilpraktikergesetz an. Kritisiert wurde, dass es zum Erwerb der Heilerlaubnis genüge, „wenn Heilpraktikeranwärterinnen und -anwärter insbesondere eine Kenntnisprüfung bestanden, das 25. Lebensjahr vollendet und mindestens einen Hauptschulabschluss erworben haben“.

Im Sommer 2016 regte die Gesundheitsministerkonferenz der Länder an, die Regeln für die sogenannten Kenntnisprüfungen zu vereinheitlichen, um Mindest-Qualitätsstandards zu gewährleisten. Geändert an der Rechtslage hat das nichts.

Wie aus einer von CDU-Gesundheitspolitiker Alexander Krauß beauftragten Arbeit des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestages vom Juni 2020 hervorgeht, gibt es mehrere Hundert Heilpraktikerschulen, die ihre Lehrpläne individuell erstellen. Die Dauer der Lehrgänge liegt zwischen acht Monaten und drei Jahren. Verwiesen wird in dem Papier auf verschiedene Initiativen, die auch auf eine Vereinheitlichung der Ausbildung drängen, so etwa der Münsteraner Kreis, die Deutsche Heilpraktikerschule sowie die Initiative für Qualitätssicherung im Heilpraktiker-Beruf (IQHP).

Im Juni präsentierte die IQHP im Gespräch mit Mitgliedern des Gesundheitsausschusses und Vertretern des Bundesgesundheitsministeriums ein Modell, mit dem „das Heilpraktikergesetz erhalten bleibt, jedoch Verbesserungen in der Qualitätssicherung im Rahmen einer moderaten Reform vollzogen werden können“. Inhalte sind eine einheitliche Ausbildungsordnung, Änderungen der Zugangsvoraussetzungen und Erweiterungen der Aufgaben und Kompetenzen der Heilpraktiker-Berufsverbände.

„Wir haben erreicht, dass sich unser Kontakt zum Bundestag, MdB Alexander Krauß, der sich für unseren Beruf stark engagiert und seit Monaten mit unterschiedlichen Heilpraktikerverbänden kommuniziert, den IQHP-Gedanken angeschlossen hat“, zeigt sich der Verein zufrieden.

Kooperationsverbot seitens der Ärzte ist überholt

Krauß hält sogar eine punktuelle Zusammenarbeit zwischen Ärzten und Heilpraktikern für sinnvoll. Bisher schließt die Muster-Berufsordnung der Ärzte eine Zusammenarbeit am Patienten aus. „Dass es seitens der Ärzteschaft ein Ko­operationsverbot gibt, ist überholt“, meint Krauß. In der Realität sei es doch heute schon so, dass sich Ärzte und Heilpraktiker um dieselben Patienten kümmerten, doch häufig wisse der eine nicht vom anderen.

Eine Milliarde Euro Umsatz im Jahr

Der Bund Deutscher Heilpraktiker (BDH) sieht in den hiesigen 47.000 Heilpraktikern und ihren knapp 60.000 Beschäftigten eine wichtige Säule des Gesundheitswesens. Laut einer Umfrage von 2017 finden jährlich rund 46,6 Millionen Patientenkontakte statt. Ca. 128.000 Menschen suchen täglich Rat beim Heilpraktiker. Der Gesamtumsatz liegt bei rund einer Mrd. Euro. 53,2 % davon tragen Selbstzahler bei. 17,4 % kommen aus privaten Krankenversicherungen, 5,5 % aus Zusatzversicherungen und 14 % von der Beihilfe. „Insbesondere bei der stark ansteigenden Anzahl von Patienten mit psychosomatischen Erkrankungen oder Befindlichkeitsstörungen, die durch komplementärmedizinische Therapien gut behandelbar sind, kann das Gesundheitssystem durch die Arbeit der Heilpraktiker entlastet werden“, so der BDH.

Wie der Bundestagsabgeordnete erläutert, hat der Wissenschaftliche Dienst auch Positionen dargestellt, die auf eine grundsätzliche Möglichkeit der Änderung der bisherigen Rechtslage verweisen. Demnach solle der Beruf des Heilpraktikers entweder in den Katalog der Berufe aufgenommen werden, mit denen Ärzte zusammenarbeiten können, oder aber – das sei die bessere Lösung – der Heilpraktikerberuf solle in einen staatlichen Ausbildungsberuf umgewandelt werden, wodurch automatisch eine Zusammenarbeit mit Ärzten möglich werde. Jeder Arzt könne dann für sich entscheiden, ob er mit einem Heilpraktiker zusammenarbeiten wolle, so Krauß. Als ausschlaggebenden Punkt nennt er das Patientenwohl. 2019 erklärte Bundesgesundheitsminister Jens Spahn, dass die Bundesregierung, abgesehen von einem Verbot der Arzneimittelzubereitung durch Heilpraktiker, etwa für Frischzellenkuren (siehe Gesetz für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung), keinen weiteren Regelungsbedarf sehe.

Minister: Heilpraktiker genießen hohe Akzeptanz

„Die Regelung rund um Heilpraktiker ist nicht unumstritten, wir wissen das“, sagte der Minister. Gleichwohl würden Heilpraktiker in manchen Bevölkerungsteilen eine hohe Akzeptanz genießen. Dennoch gab Spahn im Januar ein Gutachten zu Reformspielräumen in Auftrag. Sechs Monate Zeit wurde ursprünglich für die Erstellung eingeräumt. Durch coronabedingte Verzögerungen wird das Gutachten jedoch laut Büro Krauß voraussichtlich erst im Oktober fertig sein. Rechtsanwalt Dr. René Sasse, der zum Heilpraktikerrecht promovierte, verwundert die Beauftragung. Auf seiner Webseite schreibt er: „Kann ein Beruf, der sich über viele Jahrzehnte erfolgreich etabliert hat, tatsächlich ein Kernproblem des deutschen Gesundheitswesens darstellen? Kann man dem mündigen Patienten nicht zumuten, eine eigenverantwortliche Entscheidung zwischen standardisierter Schulmedizin und alternativer Heilkunde zu treffen?“ Die Kommentierungen der Leser liegen auf gleicher Linie. Von einer Hexenjagd auf Heilpraktiker ist die Rede, von der Ablehnung des Berufsstandes, einer fehlenden Lobby und Angriffen unter die Gürtellinie. „Ich denke oft, dass die Patienten, die einen Heilpraktiker aufsuchen, angehört werden sollten und mobilisiert werden müssen, ihre Stimme gegen diese Politik zu erheben! Denn sollte es tatsächlich gelingen, unseren Berufsstand abzuschaffen, sind sie es, die medizinisch gesehen auf der Straße stehen und gezwungen sind, sich wieder der klassischen Medizin hinzugeben“, warnt ein Kommentierender. „Die Diffamierung des Heilpraktikerberufes wird in der Hauptsache von Ärzteverbänden vorgenommen“, lautet ein Vorwurf an gleicher Stelle. So ganz unrecht hat der Kommentator damit nicht. Im Ärzteblatt fordert z.B. der Vizepräsi­dent der Bayerischen Lan­des­ärz­te­kam­mer, Andreas Botzlar, von der Politik klare Entschei­dungen: „Wenn man es genau nimmt, gibt es für Heilpraktiker keine wirkliche Existenzberechtigung.“ Der Münsteraner Kreis, dem zahlreiche Mediziner angehören, spricht von zwei Parallelwelten im deutschen Gesundheitswesen, der Welt der akademischen Medizin und der Welt der Heilpraktiker. Während die akademische Medizin nach Evidenzbasierung und begründetem Fortschritt strebe, seien Heilpraktiker in der überwiegend unwissenschaftlichen Gedankenwelt der Komplementären und Alternativen Medizin verankert: „Da Heilpraktiker dennoch das Etikett ,staatlich anerkannt‘ bekommen, können Patienten leicht den falschen Eindruck gewinnen, es handle sich bei Medizinern und Heilpraktikern um gleichwertige Alternativen.“ Ein vom Bundesgesundheits­minis­terium beauftragtes Gutachten, das den Handlungsbedarf für eine Neuregelung des Heilpraktikerwesens prüfen soll, ist nach Angaben der Rechercheplattform MedWatch an Christof Stock als wirtschaftlichsten Anbieter gegangen. Die Plattform wirft dem Juristen Interessenskonflikte vor. Stock hatte 2007 einen Ratgeber für Heilpraktikerwerbung geschrieben.

Medical-Tribune-Bericht

Alexander Krauß, MdB CDU Alexander Krauß, MdB CDU © Deutscher Bundestag/Inga Haar