Hausärzte als Hoffnungsträger – aber keine Perspektiven für Coronaimpfungen in Praxen?

Gesundheitspolitik Autor: Michael Reischmann

Alle warten auf den Corona-Impfstoff – auch Hausärzte, die so schnell wie möglich in den Praxen impfen wollen. (Agenturfoto) Alle warten auf den Corona-Impfstoff – auch Hausärzte, die so schnell wie möglich in den Praxen impfen wollen. (Agenturfoto) © iStock/bojanstory

Die Coronaimpfstoffe schützen gegen schwere Krankheitsverläufe und die Liefermengen wachsen. Mit diesen zwei Parolen, versuchen Politiker und andere Verantwortliche die Bevölkerung zu beruhigen. Ein Schlüsselfaktor ist das Einbinden der Hausärzte in die Impfkampagne.

Wenn Sie diese Zeilen lesen, sollten die ersten zehn Mio. Impfdosen gegen COVID-19 von BioNTech/Pfizer, Moderna und AstraZeneca in Deutschland ausgeliefert sein. Das verkündete Bundesgesundheitsminister Jens Spahn vergangene Woche, zu einem Zeitpunkt als 3,2 Mio. Menschen in Deutschland einmal und 1,7 Mio. zweimal geimpft waren. Die täglichen Wasserstandsmeldungen gibt das BMG auf der Webseite impfdashboard.de durch. Spahn wiederholt bei jeder Gelegenheit, dass die Impfkam­pagne nun Fahrt aufnimmt – von bislang 140 000 Impfungen pro Tag in den Impfzentren auf bald das Doppelte. „Wir sind in der Phase des Hoch­skalierens“, erklärte der Minister bei einer Online-Talkrunde des BMG – neudeutsch „Town Hall Meeting“ – am Samstagnachmittag. Er gab zu bedenken, dass erst ein Viertel der 194 Staaten auf der Welt Impfstoff erhalten habe, in den meis­ten Ländern gibt es bislang keinen Tropfen.

Spahn legte sich nicht fest, wann die Hausärzte in die Impfkampagne eingebunden werden. Denn dafür muss sichergestellt sein, dass kontinuierlich genügend lagerfähiger Impfstoff an die Praxen abgeben werden kann. Das wäre bei Lieferungen von drei bis fünf Millionen Dosen pro Woche der Fall. 

Machbar: täglich eine Million Impfungen in den Praxen

Die KBV hat ausgerechnet: Machen 50 000 der bundesweit 102 000 Arztpraxen mit, die jeweils täglich 20 Impfungen verabreichen, sind das eine Million Immunisierungen pro Tag. Nach 140 Tagen wäre 70 Millionen Menschen zweimal geimpft. Die KBV meint, spätestens im April müsse mit flächendeckenden Impfungen in den Praxen begonnen werden. Zur „zeitlichen Perspektive“ mag sich RKI-Präsident Professor Dr. Lother Wieler jedoch nicht äußern. Denn er könne sich irren, was in der Öffentlichkeit schlecht ankomme.

„Als das ,Team of Fifty Thousand‘ stehen wir für die Impfungen bereit“, verkündete der Bundesvorsitzende des Hausärzteverbandes, Ulrich Weigeldt, in einem Mitglieder-Rundschreiben. Allerdings müssten auch die Rahmenbedingungen stimmen. Dazu zählt er: keine zusätzliche  Bürokratie, keine Nachteile für die Praxen (Regresse, Haftung für Impfschäden) und eine Vergütung der Beratung unabhängig von der Durchführung der Impfung.

Priorisierung mithilfe ärztlicher Atteste?

Angehörige, die Pflegebedürftige betreuen, gehören als Kontaktpersonen zur Priorisierungsgruppe 2. Doch wie weisen sie dies für eine Impfung nach? Das sei noch mit den Bundesländern zu klären, so Jens Spahn. Man denke, solche Informationen seien bei den Pflegekassen hinterlegt. Doch die Erfahrungen mit dem Versand von Bezugsscheinen für FFP-2-Masken, die z.B. auch an Kinder statt Hochbetagte gingen, haben dem Minister aufgezeigt, dass die Daten der Kassen offenbar keine gute Grundlage sind. Bei den Masken war das nicht so gravierend, aber bei der Impfung will man Ärger mit Unberechtigten, die versuchen, sich vorzudrängeln, vermeiden. Der bessere Weg wären vermutlich Atteste, denn die Hausärzte kennen die Personen und Verhältnisse. Doch ein Run auf die Praxen käme auch schlecht an.

Ab März werden Hausärzte in Brandenburg in ein Impf-Modellprojekt eingebunden. In Rheinland-Pfalz sollen ab Mitte März sogar alle Hausärzte ihre immobilen älteren Patienten beim Hausbesuch gegen COVID-19 impfen können. Spahn, Prof. Wieler sowie die Chefs von Paul-Ehrlich-Institut und STIKO bemühten sich bei ihrem Online-Talk Zweifel an der Nützlichkeit des AstraZeneca-Impfstoffs zu zerstreuen: Auch dieser sei hochwirksam und schütze vor schweren Krankheitsverläufen. Die gemeldeten Impfreaktionen seien die erwarteten, die auch schnell wieder abklingen. Spahn begrüßte den Appell von Bundesärztekammer, KBV, Marburger Bund u.a. an „alle prioritär impfberechtigten Beschäftigten in der ambulanten und stationären Versorgung, jetzt die Chance der Impfung gegen SARS-CoV-2 (zu) ergreifen“.  Sobald das Gros der über 80-Jährigen der ersten und der über 70-Jährigen der zweiten Priorisierungsgruppe durchgeimpft sind, wird sich das bei den täglichen Zahlen zu den schweren COVID-19- und Todesfällen bemerkbar machen, ist Spahn zuversichtlich. Mutmaßungen, vorhandene Impfstoffbestände würden nicht genutzt, widerspricht er. „Es bleibt nichts liegen.“ Wenn das Impfangebot von Berechtigten ausgeschlagen werde, rückten die Nächsten nach. In einigen Bundesländern seien bereits die ersten 18- bis 64-Jährigen der zweiten Priorisierungsgruppe dran, z.B. Menschen mit Vorerkrankungen und Polizisten im Einsatz.

Die Geimpften werden ungeduldig werden

Auch die stellvertretende Leiterin des Impfzentrums Messe Berlin, Franzi von Kempis, betonte, dass die Spritzen entsprechend der Zahl der angemeldeten Impflinge aufgezogen werden, also höchstens ein BioNTech-Fläschchen mit fünf von sechs enthaltenen Dosen übrig bleiben könne. Spahn ergänzte, dass bei solchen Restmengen pragmatisch verfahren werden dürfe, damit nichts verworfen werden müsse. In wenigen Monaten werde es darum gehen, letzte Zögerliche oder Verunsicherte zu überzeugen, sich impfen zu lassen, sagte Spahn vorher. Denn dann werden die freiwillig Geimpften keine Rücksicht mehr auf die Nichtgeimpften nehmen wollen. Bei einer Grundimmunisierung von 70 bis 80 % der Bevölkerung bestehe Kontrolle über das Virus, meint Prof. Wieler. Doch sollten sich noch mehr Menschen impfen lassen, um einen schweren Krankheitsverlauf für sich selbst auszuschließen.

Medical-Tribune-Bericht