Praxiskolumne Minesweeping in der Praxis

Kolumnen Autor: Dr. Cornelia Werner

Ein tägliches Bangen, dass niemand infiziert ist. Ein tägliches Bangen, dass niemand infiziert ist. © Lingporntip – stock.adobe.com

Die Inzidenzen sausen in die Höhe, das Corona-Geschehen ist längst nicht mehr unter Kontrolle. Unsere Kolumnistin fragt sich: Wann geht die „Coronabombe“ hoch?

Die Tage in der Arztpraxis ähneln zunehmend einem 4D-Mine­sweeping-Spiel. Diesem wunderbaren Computerspiel, an dem man unter jedem Block, den man anklickt, entweder eine Zahl findet oder aber eine Bombe, mit der dann Game over ist.

Als erstes steht morgens gegen 7:20 Uhr das Eintrudeln des Personals an – und die ersten Unsicherheiten: Wer hatte Kontakt? Wessen Kind wurde mit einem positiven Schnelltest aus der Schule heimgeschickt? Wer hat selbst gar Symptome?

Wurde diese Klippe umschifft, stehen die Schnelltests an. Ein ganz toller Spaß für das gesamte Praxispersonal. Dank der Vorliebe von Omikron, eher im Rachen zu hausen, wird dieser Teil nun von wunderbaren Würgegeräuschen untermalt. In der anschließenden Wartezeit tigern einige manchmal doch etwas besorgter um den Test. Ist das da eine kleine angedeutete Linie? Ja? Nein? Hat man tief genug abgestrichen? Ich habe zum Glück ein geboostertes, sehr verantwortungsvolles Team.

Bereits zweimal hatten wir die Freude mit einer „Bombe“, einem positiven Ergebnis. Zum Glück stellte es sich in der PCR als falsch-positiv heraus. Die Angestellte wurde nach Hause geschickt, wir alle bangten mit. Die FFP-Masken saßen noch dichter als vorher. Dann ein Kaffee zum Wachwerden? Ja, aber halt nicht gemeinsam in der Küche – das würde Minengefahr bedeuten.

Die ersten Patienten trudeln ein. Überall erklären Schilder, dass man uns bei Infektzeichen bitte zunächst telefonisch kontaktiert und nicht die Praxis betritt. Und doch steht dann dieser Patient vor der MFA, der seine AU abgeändert haben möchte. Moment, kenne ich den nicht von der gestrigen Infektsprechstunde? War das nicht einer mit einem positiven Schnelltest? Ach nein! Der war vorgestern. Gestern hatte er den positiven Befund telefonisch mitgeteilt bekommen. Schön, dass er nun hier steht. Aufregung. Bombe wird entschärft, indem sie höflich, aber bestimmt nach draußen befördert wird (unter Protest, da es ja absolut unverständlich ist, dass man als positiv Getes­teter nicht einfach so in einer Arztpraxis stehen darf). Kräftig durchlüften, Oberflächen desinfizieren. Anwesende Patienten beruhigen und weiter.

Eine halbe Stunde später der Bauch­ultraschall. Der Patient erzählt, dass ihn das ja so nervt mit dem Corona. Der Sohn sitze positiv zu Hause und er selbst habe jetzt seit ein paar Tagen diese Halsschmerzen. Juhu, Jackpot. „Hat man Sie nicht nach Symptomen gefragt?“ – „Ja, aber es sind doch nur Halsschmerzen. Und ich bin geimpft. Bei Corona wäre ich doch richtig krank.“ Untersuchung schnellstmöglich beenden. Raus. Einen Termin in der Infektsprechstunde anbieten. Den Raum bestmöglich desinfizieren und lüften. Letzteres funktioniert nur so semi in einem fensterlosen Sonographieraum.

Infektsprechstunde dann mit aktuell um die 30 Patienten. Abstriche inzwischen nur noch im Freien. Dank guter Vorbereitung ein Akt von wenigen Minuten pro Patient. Hierbei hat man fast das sicherste Gefühl, denn in der Infektsprechstunde wissen wir, womit wir es zu tun haben und tragen Vollschutz.

Mittags ein kurzer Hausbesuch bei einem älteren Ehepaar, das positiv getestet wurde. Visite in Vollverkleidung an der Haustüre, anschließend Entsorgen der Montur. Nachmittags dann gerne noch eine Fremdpatientin, die erst im Nebensatz erklärt, dass sie vier Tage zuvor per PCR positiv getestet worden wäre. Und später eine Frau, die ihren hustenden Sohn mitgebracht hat, weil sie keine Betreuung habe.

Am Abend sitze ich gegen 19:30 Uhr im Auto und nehme zum ersten Mal seit zwölf Stunden richtig die Maske runter. Eine Schmetterlingsfigur drückt sich auf Nase und Wange. War das Minesweeping heute erfolgreich? Gewiss ist das erst in ein paar Tagen. Hoffentlich hat sich bei uns kein Patient an einer Mine infiziert.

Werde ich morgen, übermorgen noch die Praxis offen halten können? Wissend, dass meine MFA zwei positive Kinder daheim hat? Meine Assistentin ein Verdachtskind? Wie geht das noch weiter? Diese Fragen stelle ich mir, während ich beim Heimfahren im Leerdenker-Spazieraufmarsch lande.