Praxiskolumne Diskriminierungsfreie Triage – gibt es das?

Kolumnen Autor: Dr. Günter Gerhardt

Bei der Triage werden Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Diskriminierungsverbot, die Unantastbarkeit des Körpers und die Verteilung von Macht tangiert. (Agenturfoto) Bei der Triage werden Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Diskriminierungsverbot, die Unantastbarkeit des Körpers und die Verteilung von Macht tangiert. (Agenturfoto) © Milos – stock.adobe.com; MT

Bei dem ethisch sensiblen Thema Triage sollten Entscheidungen an einem runden Tisch besprochen werden. Unser Kolumnist fragt sich, ob der Aussortierte nicht immer automatisch benachteiligt ist.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verlangt ein Gesetz für Menschen mit Behinderungen, damit diese nicht benachteiligt werden, wenn es zu einer Triage kommt. Also zum Beispiel, wenn Intensivstationen mit COVID-19- Patienten so überlastet sind, dass entschieden werden muss, wer behandelt werden kann und wer nicht.

So hat das Gericht Ende des vergangenen Jahres entschieden und erklärt, dass aus dem Schutzauftrag für das höchstrangige Rechtsgut Leben eine Handlungspflicht für den Gesetzgeber folge. Der Bundestag muss also nun „unverzüglich“(also ohne schuldhaftes Zögern) Vorkehrungen zum Schutz von Menschen mit Behinderungen im Fall einer Triage treffen.

Aber – Triage (franz. trier: sortieren, aussuchen) soll ohne Diskriminierung passieren? Ist nicht der Aussortierte automatisch benachteiligt? Weiß das BVerfG, dass es die diskriminierungsfreie Triage gar nicht gibt oder will es vielleicht mit der Forderung nach einem Gesetz, was niemals gerecht ausfallen kann, Misstrauen säen in die Fähigkeiten von multiprofessionellen Teams in Krankenhäusern und Ethikkomitees?

Eine Kollegin fragte mich dieser Tage, ob ich mir in dieser stressigen Pandemie mit Corona-Ambulanz, Impfen und „nebenher“ normaler Sprechstunde wirklich diese Gedanken mache. Ja: Das Thema Triage hat spätestens Besitz von mir ergriffen, als die Bilder aus Portugal im TV zu sehen waren mit Krankenwagen, die COVID-19-Patienten ins Hospital bringen wollten, zuvor aber vor den Krankenhäusern in Zelten mit der Aufschrift TRIAGEM entschieden wurde, wer aufgenommen wird und wer nicht.

Juristen nennen die Triage auch Kollateralschaden einer Notlage, in der zwischen Menschen mit unterschiedlichen Überlebenschancen ausgewählt werden muss. Hier werden, liebe Kolleginnen und Kollegen, Werte wie Gleichheit, Gerechtigkeit, Diskriminierungsverbot, die Unantastbarkeit des Körpers und die Verteilung von Macht tangiert.

In Deutschland hat Triage noch nicht stattgefunden – oder? Immerhin gibt es ein Rundschreiben des Landkreises und des Klinikums Tuttlingen an die Damen und Herren der stationären Einrichtungen, der ambulanten Dienste, an Angehörige und an Einwohnerinnen und Einwohner im Landkreis, worin aufgefordert wird, Patienten mit höherem Alter möglichst aus den Krankenhäusern herauszuhalten, um dort das Personal nicht zu überfordern. Das ist Altersdiskriminierung.

Zurück zur diskriminierungsfreien Triage. Eine Triage basiert auf Unterscheiden und Selektieren unter Berücksichtigung der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit. Die letztendliche Entscheidung basiert auf ärztlicher Erfahrung und nicht auf einem Gesetzestext. In der Folge der Entscheidung werden gegebenenfalls Patienten nicht stationär aufgenommen, sie werden diskriminiert.

Vor wenigen Tagen hatte der Landesbehindertenbeauftragte in Bremen zu einer Online Veranstaltung „Triage-Situationen diskriminierungsfrei gestalten“ eingeladen. Es gab dort auch zahlreiche umsetzbare und mehrheitsfähige Vorschläge, die Einzug in ein Gesetz halten könnten. Wie beispielsweise, dass im Falle einer Triagierung nur ein Expertenteam entscheiden könne, dem unter Beachtung der Diversität auch behinderte Expertinnen und Experten angehören sollten.

Viele Forderungen der FbJJ finden sich auch in Richtlinien der DIVI, wie Behandlungsabbruch nur dann, wenn keine Überlebenschance mehr besteht und nicht, wenn ein jüngerer Patient auf die Intensivstation kommt, oder auch die Forderung, weder das Alter noch eine Behinderung dürfen eine Rolle bei Entscheidungen spielen.

Dass FbJJ und DIVI auch unterschiedliche Vorstellungen haben in der Umsetzung einer hoffentlich nie notwendig werdenden Triage, ist nachvollziehbar. So werden Losverfahren und First-Come-First-Serve-Prinzip bei der Anwendung der Triage als Vorschlag der FbJJ sicherlich noch einmal zu besprechen sein. Und zwar am besten an dem schon bestehenden runden Tisch zum Thema, an dem auch die DIVI Platz nehmen sollte. Um dann dem Deutschen Bundestag einen gemeinsamen Vorschlag für einen Gesetzesentwurf zu machen. Vielleicht nimmt ja auch Herr Lauterbach mal Platz an diesem Tisch. Aber auf jeden Fall sollte die Initiative von diesem Tisch ausgehen – und glauben Sie mir, der Bundestag wird dankbar sein.