Praxiskolumne Ohne ausreichend Sprit stottert der Impfturbo
Der Grünen-Gesundheitsexperte und Arzt Janosch Dahmen hat den niedergelassenen Ärzten und ihren Verbänden eine Mitschuld am schleppenden Verlauf der Erst- und Auffrischungsimpfungen gegeben. „Nach der Schließung der meisten Impfzentren erfüllen die Praxen die in sie gesetzten Erwartungen erkennbar nicht, weder bei den Erst- noch bei den Boosterimpfungen“, sagte Dahmen dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Sogenannte Gesundheitsexperten und Ärzte gibt es ja in vielen Parteien, ob diese tatsächlich Bescheid wissen, was bei uns an der Basis los ist, sei dahingestellt.
Ich habe heute einen Appell meiner vier Bundestagsabgeordneten jedweder politischer Couleur erhalten, ,,den Kampf gegen das Coronavirus weiter engagiert zu führen“. Tatsächlich ist das Engagement des primärärztlich versorgenden Sektors angesichts der fehlenden Wertschätzung der Politik immer schwerer aufrechtzuerhalten.
Seit Monaten arbeiten wir Hausärzt*innen und unsere Praxisteams an der Belastungsgrenze und darüber hinaus, um den ambulanten Schutzschirm für die Krankenhäuser aufrechtzuerhalten und den Impfturbo weiter voranzutreiben.
Beratungsintensive Gespräche mit impfskeptischen Patient*innen, Diskussionen rund um Empfehlungen und Beschlüsse der Gesundheitsministerkonferenz bei gleichzeitig fehlenden STIKO-Empfehlungen, erschweren uns unsere Arbeit.
Neben Infektsprechstunden, Abstrichen und der notwendigen Regelversorgung akut kranker und chronisch kranker Patient*innen wurden durch den ambulanten Sektor insgesamt bereits über 47 Mio. Impfdosen gegen COVID verimpft. Zusätzlich sollen nun Boosterimpfungen für alle Menschen durchgeführt werden. Wir sind diejenigen mit der größten Expertise in Sachen Impfungen. In dieser Saison haben wir übrigens auch noch über 15 Mio. Grippeimpfungen durchgeführt, 30 % mehr als vor einem Jahr.
Für die Boosterimpfungen braucht es vielerorts zusätzliche Strukturen wie Raumangebote oder die Anschaffung von Tools für Online-Terminvergaben. Vielfach müssen die Praxisteams außerhalb der üblichen Sprechzeiten oder in Sonderimpfaktionen tätig werden, weil wir, wie bereits erwähnt, ja auch noch andere Dinge zu tun haben und die Zahl der Hilfesuchenden stetig zunimmt. Das kostet uns Geld. Die Vergütung der Impfungen sollte also passend zu unserem Aufwand und Investitionen angemessen kalkuliert werden. Bisher werden sie durch die Impfvergütung in keiner Weise abgebildet. Doch es wird nicht ohne zusätzliche Aufwands- oder Strukturpauschale gehen!
Für uns ist es nicht nachvollziehbar, dass bei vollständiger Übernahme des Impfprozesses durch die Praxen die Höhe der Vergütung abgeschlagen hinter den Durchschnittspreisen in den Impfzentren landet. Die Forderung nach einer Strukturpauschale ist auch im Sinne einer Wertschätzung der Leistung des primärversorgenden Sektors in der Pandemie zu sehen und längst überfällig. Die Forderung nach einem steuerfinanzierten Corona-Sonderbonus für unsere Medizinischen Fachangestellten, analog zum stationären Sektor, wurde durch den Deutschen Hausärzteverband mehrfach adressiert und ist bisher nicht umgesetzt.
Wenn der Impfturbo nicht stottern soll, muss nun auch endlich die Bürokratie abgebaut werden. Eine bundesweite Surveillance der verabreichten Impfungen ist sicher sinnvoll, das erneute Ausdrucken und Ablegen von fünf Formularen zur Aufklärung bei der dritten Impfung, die der Patient bereits zweimal gelesen und unterschrieben hat, ist es sicherlich nicht.
Wir Hausärztinnen und Hausärzte bekommen das hin und wir machen das gerne. Wir haben aber berechtigte Forderungen an die Politik, damit wir Rahmenbedingungen schaffen können, die es uns ermöglichen, uns auch in den nächsten Monaten engagiert für den Impfturbo einzusetzen.