Praxiskolumne Sorgen, Ängste, Verwirrung – noch hält der Damm

Kolumnen Autor: Dr. Günter Gerhardt

So manche Entscheidung während der Coronapandemie hat die Leute verunsichert. So manche Entscheidung während der Coronapandemie hat die Leute verunsichert. © iStock/fedrelena; MT

Sorgen und Nöte werden in den Arztpraxen abgeladen. Unser Kolumnist findet: lieber dort als bei den „Corona-Demos“.

Erleben Sie das auch so, liebe Frau Kollegin, lieber Herr Kollege, dass völlig verunsicherte, verängstigte Patienten Sie ansprechen und sich beklagen, dass Sie bei der Flut von Informationen nicht mehr wissen, was Sache ist? Und nicht mehr wissen, wie sie sich verhalten sollen, wenn sie einen Weihnachtsmarkt besuchen wollen?

Angefangen beim Lieblingsthema Fußball, wo sich Bundesligavereine und Wissenschaftler, was die Ansteckungsgefahr in den Stadien bzw. auf dem Hin- und Nachhauseweg angeht, erheblich widersprechen, und wo trotz eindeutiger Aufforderung keine oder kaum Masken getragen werden. Genauso verwirrend ist es für Urlauber, die aus Grenzregionen berichten, wo man ihnen empfiehlt, sich ein Hotel oder ein Restaurant in Polen zu suchen, weil es dort keine G-Regeln gäbe und keine Maskenpflicht. Und in den Warteschlangen vor den Impfstellen, wo die Menschen bis zu fünf Stunden bei feuchtkaltem Wetter ausharren, stecken sie sich mit Erkältungsviren an, müssen deshalb einige Tage später in die Praxen und dort wieder anstehen und wieder schimpfen, weil sie draußen so lange warten müssen.

Was tun? Schuldzuweisungen helfen nicht, die Lage zu entspannen. Es muss künftig gelingen, politische Entscheidungen besser zu kommunizieren und verständlich zu erklären.

Wie nur mal zum Beispiel die Entscheidung, die epidemische Lage von nationaler Tragweite zu beenden. Es ist nachvollziehbar, dass diese Entscheidung in der derzeitigen dramatischen Lage erstmal schwer verständlich war. Genau wie das Verwirrspiel, dass Politiker, die das Ende zunächst propagiert hatten, es jetzt ablehnen, und andere Politiker, die das Ende der epidemischen Lage erst abgelehnt hatten, jetzt das neue Infektionsschutzgesetz und das Ende der epidemischen Lage von nationaler Tragweite verabschiedet haben. Das hat die Menschen enorm verunsichert und dient der Querdenkerszene als willkommene Munition.

Erklärungsversuche, wie etwa dass man eine Entkopplung von Corona-Maßnahmen und epidemischer Lage erreichen will, sind notwendig. Aber kommen die an? Ja, aber die Weitergabe passiert mit zu vielen Zwischenstationen. Das verändert den Informationsgehalt. Und die sozialen Medien geben der Information noch ihren ganz speziellen undifferenzierten und unqualifizierten Senf dazu, der die Stimmung im Land zusätzlich aufheizt.

Warum all jene Politikerinnen und Politiker, die gerade nicht mehr oder noch nicht regieren, auf diese unschöne Gemengelage mit Unverständnis reagieren, erschließt sich auch mir nicht. Ich weiß aber, wo diese Sorgen, Ängste und Nöte abgeladen werden. Vor und in den Arztpraxen – zum Glück! Eine Alternative wären nämlich schlimmstenfalls jene Demonstrationen, auf denen das Thema Corona „drauf steht“, bei denen aber tatsächlich ganz andere Motive eine Rolle spielen und es immer öfter nicht mehr friedlich zugeht. Ich habe den Eindruck, dass wir in diesem Zusammenhang gute Arbeit vor Ort leisten können und den Betroffenen helfen.

Wertschätzung? Natürlich Fehlanzeige. Aber wenigstens von unseren gewählten KV-Vertretern, allen voran unserem KBV-Vorstand, sollten wir mehr Unterstützung erwarten dürfen, zumal in öffentlichen TV-Auftritten. Der Ruf nach dem „Freedom Day“ des KBV-­Vorstandsvorsitzenden hilft keinem, löst nur Kopfschütteln an der Basis hervor. Auch müsste in dieser Lage das Paket 1,275 % mehr Honorar in 2022 angesichts einer Inflationsrate von 5,2 % und der Gehaltssteigerungen bei MFA neu geschnürt werden. An dieser Stelle darf und muss diese Verknüpfung erlaubt sein.

In meiner Praxistätigkeit habe ich den Eindruck, dass der „Damm“ trotz Verunsicherung und Panik in der Bevölkerung noch hält – wir hoffen, dass das so bleibt, wenn uns jetzt schon wieder das Impfen erschwert wird und neue Corona-Varianten die Bevölkerung verunsichern.

Der neue Gesundheitsminister heißt Karl Lauterbach. Er hat sich als Experte einen Namen gemacht und ist auf Einarbeitungszeit nicht angewiesen, kann also gleich durchstarten mit konsequenten Maßnahmen gegen COVID-19. Denjenigen, die ihn als schwierige Persönlichkeit beschreiben, kann ich nur zurufen: „Na und, sind wir nicht alle mehr oder weniger gaga nach fast zwei Jahren Corona?“