Praxiskolumne Der heikle Privatpatient mit dem Schnäppchentarif
„Guten Tag, mein Name ist Müller-Lüdenscheid und ich bin Privatpatient.“ Was dieser Satz alles in mir auslöst? Früher in der Klinik: „Chefarzt am Hacken.“ Als Hausärztin: „GOÄ-Chaos, Wunschkonzert, schwierige Führung.“ Häufig wird die Zweiklassenmedizin angeprangert: Die bevorzugten Privatpatienten, die schneller und besser versorgt werden. Ich sehe das nicht ganz so.
Positiv fand ich immer, dass ich als Ärztin eine sinnvolle Untersuchung durchführen kann, ohne mich zu überzeugen, dass eine willkürlich gesetzte Frist seit der letzten verstrichen ist. Oder dass ich Medikamente verordnen kann, die nicht einer ständig wechselnden Krankenkassenvereinbarung unterliegen. Mache ich ein EKG, wird es abgerechnet. Jede meiner Leistungen darf ich in Rechnung stellen. Und diese wird tatsächlich vergütet. Denn ich habe einen Behandlungsvertrag mit dem Patienten, nicht mit seiner Kasse. Aber da fängt das Problem an. Dem Patienten ist das nicht so ganz bewusst.
Der Privatpatient an sich ist ein viel hinterfragender Mensch. Gerne bedient er Dr. Google. Er weiß häufig, was er will und braucht. Warum braucht er jetzt ein EKG, wenn er bei Prof. Kardiologe vor vier Wochen eines hatte? In dem Arztbrief, den er in seiner privaten Krankenakte abgeheftet hat, steht doch: „EKG: Sinusrhythmus, normofrequent, unspezifische ERBS.“ Warum reicht mir das jetzt nicht aus?
Mein Beratungsaufwand ist also hoch. Manchmal muss ich jeden einzelnen Laborparameter, den ich bestimmen möchte, besprechen. Denn trotz Behandlungsvertrag möchte Herr Müller-Lüdenscheid nicht mehr bezahlen als das, was seine Kasse oder die Beihilfe ihm zahlt. So lande ich schnell trotz eines erhöhten Aufwandes bei einem 1,5-fachen Satz, um nach einer mehrstündigen Check-up-Untersuchung mit ausführlicher Gerätediagnostik, körperlicher Untersuchung und Labor einen unzufriedenen Patienten zu haben. Denn die 16,98 Euro, auf denen er sitzen blieb, bezahlt er nur „aus Kulanz“ oder auch gar nicht.
Da kommen wir zum Kernproblem: Da die privaten Krankenversicherer immer günstigere Tarife mit noch weniger Leistungen auf den Markt werfen, gibt es zunehmend schlecht versicherte Privatpatienten. Sie werden bei Abschluss entweder nur unzureichend beraten oder suchen sich die „günstigen“ Tarife aus irgendwelchen Vergleichslisten aus. Dass eine Krankenversicherung bis an das Lebensende leistungsfähig sein muss, bedenken die wenigsten.
Die Konsequenz aus dem Tarif-Schnäppchenmarkt ärgert mich am meisten: Privatpatienten sind meist medizinisch schlechter versorgt als GKV-Patienten. Herr M-L erscheint nämlich aus Gründen der Sparsamkeit erst, wenn er den Kopf unter dem Arm trägt. Er bestellt sich nur telefonisch seine Dauermedikation. Er geht ohne Überweisung und ohne mein Wissen zum Professor und ich erhalte keinen Facharztbrief. Er kommt aber zu mir, wenn er doch eine umfassendere Betreuung all seiner Wehwehchen braucht oder ein Attest über die (mir leider nicht bekannten) chronischen Erkrankungen und deren Verlauf.
Mein GKV-Patient landet, sobald er gewisse Erkrankungen hat, im DMP. Ab dann sehe ich ihn mindestens einmal im Quartal. Wenn er es schleifen lässt, telefoniert meine MFA ihm hinterher. Er kommt, ich erhalte Befunde. Ich kenne ihn und bin die Schaltstelle. Sein Blutdruck und sein LDL sind hervorragend eingestellt. Der Patient weiß, dass es zu seinem Nutzen ist, wenn er seine Termine wahrnimmt. Und er muss nicht die Rechnung fürchten.
Ja, ich habe auch sehr nette Privatpatienten, die gut führbar sind. Sie bekommen allerdings keine bevorzugten Termine. Und meine GOÄ-Rechnungen sind sicher nicht übertrieben, aber angemessen. Der Antrieb des Patienten sollte jedenfalls nie sein, Geld zu sparen. Er sollte sich ohne solche Gedanken um seine Gesundheit kümmern können. Und das sehe ich bei vielen Privatpatienten leider nicht.