Kommentar Plaudern statt schaudern
Am 30. Oktober ist Freedom Day in Germany! So hat es die KBV-Spitze vorgeschlagen. Ein gut überlegter Termin. Da lässt es sich mit Reformationstag (31.10.) und Allerheiligen (1.11.) durchfeiern. Eine COVID-Impfquote von 80 % kann bis dahin am ehesten das kleine Bremen vorweisen. Aber egal: Das Volk braucht Motivation, Perspektive und Good News. Ggf. folgen halt andere Bundesländer etwas später. Bis Aschermittwoch sind vielleicht auch Thüringen und Sachsen soweit.
Der KBV ist mit ihrem Vorstoß zum Freedom Day jedenfalls ein schöner medialer Coup gelungen. Alice Weigel (AfD) hat sogar eigens eine Pressemitteilung verschickt, in der sie den Dres. Gassen und Hofmeister recht gibt: Schluss mit „Gruselrhetorik und Panikpolitik“! Aufheben der ungerechtfertigten Freiheitsbeschränkungen! Die AfD, die seit Monaten dafür kämpfe, werde deswegen diffamiert.
Nun, man kann sich seine Follower nicht immer aussuchen. Was die Herren Gassen und Hofmeister auf der KBV-Vertreterversammlung und danach kundgaben, hat ja seine Berechtigung: Trotz des immensen Aufwands bei der Impfkampagne ist die Herdenimmunität noch nicht erreicht. Nach Appellen und niedrigschwelligen Impfangeboten kommen wir jetzt in der Phase der Drohungen gegenüber Ungeimpften: Kein Zutritt zu Restaurant und Theater. Keine Entschädigung für Quarantänezeiten. Tests sind demnächst selbst zu bezahlen.
Zugleich müssen die vielen Millionen der Geimpften und Genesen weiterhin mit den allgemeinen Corona-Einschränkungen leben – weil es in den Kliniken wieder kritisch werden könnte (4. Welle), wegen Virusvarianten, wegen Impfdurchbrüchen usw. Nochmals Teillockdown und Homeschooling – mit solchen Szenarien lassen sich wahrlich die Leute einschüchtern.
Dann doch lieber auf Anreize setzen, die Unentschlossenen motivieren, indem ein nahes lohnendes Ziel ausgegeben wird: Maske runter und feiern wie Briten und Dänen. Deren Gesundheitssysteme sind ja auch nicht in Knie gegangen. Und eine Zero-COVID-Strategie hat nirgends funktioniert. Die Praxen werden das Impfen weiterhin rocken.
Der KBV-Vorstand gehörte während der gesamten Pandemie zu den unerschrockenen kritischen Geistern. Immer wieder hat er das Einhalten der Grundrechte angemahnt. Jetzt untermauert er seine Position auch mit Zahlen wie diesen: Während der Pandemie wurden 13 von 14 Patienten ambulant versorgt; 41 % aller Impfungen erfolgten bisher durch Niedergelassene.
Trotz dieser Reputation haben die Regierenden allerdings bevorzugt auf die Ratschläge anderer Experten des Gesundheitswesens gehört. Und wohl auch mit dem Freedom Day am 30.10. wird es nichts werden. Es stimmt aber: Es wird höchste Zeit für die Rückkehr zur Normalität.
Michael Reischmann
Ressortleiter Gesundheitspolitik