Interview Professor Julia Szendrödi: „Ich bin einfach ein Fan der DDG“
Zugewandt und interessiert ist Prof. Dr. Julia Szendrödi im Interview mit der diabetes zeitung. Im Mittelpunkt steht nicht ihre Forschung, sondern ihr neues Amt als Vizepräsidentin der DDG. Es ist klar zu spüren, dass sie etwas bewegen, Dinge anstoßen möchte – und sich von ihrem neuen Amt auch selbst Denkanstöße erhofft.
Frau Professor Szendrödi, wie wird man Vizepräsidentin der DDG?
Prof. Szendrödi: Aktiv im Vorstand war ich noch nicht. Bis jetzt war ich Nutznießerin der DDG und hätte nicht damit gerechnet, dass mir das Amt angeboten wird. Aber im Frühjahr hat mich Andreas Fritsche angerufen und gefragt, ob ich mir das vorstellen könnte. Er hat mich sehr ausführlich informiert, was das Amt mit sich bringt und wie man sich die Arbeit im Vorstand vorstellen kann. Nach dem Gespräch war ich schon ziemlich sicher, dass ich das Angebot eigentlich nicht ausschlagen kann, denn es gibt einem die Möglichkeit, aktiv mitzuarbeiten. Ich habe dann noch formal zwei Nächte darüber geschlafen. Auch mit Professor Neu habe ich noch einmal gesprochen. Es hat sich ganz natürlich entwickelt.
Ich kenne die Mitglieder im Vorstand und wusste, dass ich mich gut mit ihnen verstehe, dass da einfach eine gute Stimmung ist. Ich habe mich sehr gefreut, als ich in der Mitgliederversammlung tatsächlich gewählt wurde.
Was motiviert Sie, sich für die Fachgesellschaft zu engagieren?
Prof. Szendrödi: Ich bin seit vielen Jahren einfach ein Fan der DDG. Die DDG steht fürs Fach und ich kann mich gut mit ihr identifizieren. Ich finde die Arbeitsgruppen toll, und natürlich auch die Fortbildungen – nicht nur für mich als Ärztin, sondern auch für das nicht wissenschaftliche Personal. Ich nutze die Zertifizierung und auch die Praxisempfehlungen intensiv. Das heißt, ich profitiere selber schon lange davon, dass Experten sich ehrenamtlich mit verschiedenen Themen ausei-
nandersetzen und aufbereiten. Da auch einmal etwas zurückzugeben, war schon ein inneres Bedürfnis.
Welche Schwerpunkte möchten Sie setzen – jetzt als Vizepräsidentin, aber dann auch ab 2025, wenn Sie wahrscheinlich Präsidentin sind?
Prof. Szendrödi: Ich glaube, es wird erst einmal darum gehen, dass ich den Präsidenten unterstütze. Andreas Fritsche befasst sich intensiv mit der Versorgung von Patienten mit Diabetes im Krankenhaus und die Krankenhausreform ist natürlich auch für mich persönlich ein sehr wichtiges Thema. Ich bin Direktorin einer Klinik mit Schwerpunkt Diabetologie und Endokrinologie und muss über das Budget verhandeln, muss jede einzelne Stelle rechtfertigen. Mir kommt das Thema Krankenhausreform auch deshalb sehr entgegen, weil ich dadurch die Möglichkeit habe, mehr von der gesundheitspolitischen Ebene mitzubekommen, die Beweggründe besser zu verstehen und mit den Mitstreitern in der DDG eine stärkere Stimme zu haben. Durch die Arbeit im Präsidium kann ich außerdem z.B. Vertreter aus dem niedergelassenen Bereich und auch Patientenvertreter besser kennenlernen: Was sind die Probleme in der Niederlassung, was sind die Nöte und Bedürfnisse von Menschen mit Diabetes?
Ein wissenschaftlicher Schwerpunkt von mir sind die zellulären Mechanismen bei der Entwicklung von Komplikationen und dann auch die Risikoprävention. Und ich kann mir vorstellen, dass – wenn ich denn zur Präsidentin gewählt werde – der Schwerpunkt für die Amtszeit damit auf jeden Fall zu tun haben wird.
Was mir besonders wichtig ist und was ich versuche, für mich als Schwerpunkt auszubauen, ist die Gendermedizin. Das ist ein Bereich, wo es großen Aufholbedarf gibt und wo noch sehr viel Forschungstätigkeit notwendig ist. Warum treten zum Beispiel manche Komplikationen mehr und früher bei Männern auf – und andere bei Frauen?
Sie sind die zweite Frau im DDG Präsidium nach Prof. Dr. Monika Kellerer. Was bedeutet Ihnen das – und was bedeutet es allgemein?
Prof. Szendrödi: In der DDG sind schon viele Frauen präsent, das fällt positiv auf. Und als Frau Professor Kellerer Präsidentin wurde, ja, da hat mich das beflügelt. Es hat mich motiviert, zu sehen, dass eine Präsidentin an der Spitze steht und dass sie ihre Sache gut macht.
Als Klinikdirektorin bekomme ich auch viel positives Feedback. Für junge Mitarbeiterinnen ist es gut zu sehen, dass eine Frau führen kann. Es muss ja nicht jede gleich Direktorin werden, aber vielleicht eine Arbeitsgruppe leiten oder eine Oberarztstelle anstreben. Oder auch sehen: Es ist möglich, mit Kindern – meine sind ja noch relativ klein – eine Karriere zu verfolgen. Das ist, glaube ich, schon motivierend.
Warum sind Sie Ärztin geworden? Und warum haben Sie sich für die Diabetologie entschieden?
Prof. Szendrödi: Also, Ärztin werden wollte ich so mit 16, 17. Ich male sehr gerne, deshalb war viele Jahre der erste Berufswunsch, Malerin zu werden. Durch meinen Vater war es auch ein Berufswunsch, Psychologin zu werden, und ich habe auch angefangen, Psychologie zu studieren, parallel zur Medizin. Aber mit 16, 17 hatte ich einen Leistungskurs Biologie, in dem das naturwissenschaftliche Interesse sehr stark geweckt wurde. Ich wusste aber auch, ich möchte etwas Soziales machen. Da war für mich klar: Die Medizin verbindet diese beiden Interessen – dass man forschen und tüfteln kann, aber gleichzeitig auch viel mit Menschen zu tun hat. Nach dem Studium war ich 23 Jahre alt und es war damals in Wien schwierig, eine Ausbildungsstelle zu bekommen – so etwas wie das PJ hier in Deutschland. Ich bin erst einmal in die Grundlagenforschung gegangen, ans Pharmakologische Institut. Nach zweieinhalb Jahren war mir aber klar, dass ich die klinische Ausbildung vermisse.
Professor Roden [heute Direktor des Instituts für Klinische Diabetologie am DDZ; Anm. d. Red.] war auch am Pharmakologischen Institut und mir ist erzählt worden, dass er ein großer Frauenförderer ist. Das ist mir wirklich so gesagt worden, von Professor Veronika Sexl, einer Mentorin von mir, die jetzt Rektorin der Universität Innsbruck ist. Das hat mich motiviert, mich vorzustellen. Es war ein sehr gutes Gespräch und er hat mir gesagt, ich müsste bei ihm erst einmal in die Wissenschaft einsteigen, dann würde er mir eine Ausbildungsstelle anbieten. Das war der erste Schritt in die Diabetologie.
Er war wirklich ein sehr guter Mentor und Förderer. Als Mentorin würde ich auch Frau Professor Schürmann bezeichnen. Sie hat mich sehr unterstützt in der Bewerbungsphase um die Professur in Heidelberg.
Wie wichtig sind Mentorinnen?
Prof. Szendrödi: Mentorinnen zu haben, ist sehr wichtig, und deswegen ist es gut, dass es die eine oder andere Frau in der Diabetologie gibt. Ich würde Nachwuchsforscherinnen oder Klinikerinnen raten, an diese Frauen heranzutreten. Allgemein gibt es aber in der Diabetologie beides: Männer, die Frauen fördern, und Frauen, die gut als Role Model funktionieren und sich auch für Gespräche zur Verfügung stellen.
Sind Sie mittlerweile auch selbst Mentorin?
Prof. Szendrödi: Als Arbeitsgruppenleiterin oder später als Oberärztin in der Uniklinik hat man automatisch die Rolle der Mentorin und das ist schon etwas, was mir großen Spaß macht. Man kümmert sich, z.B. um jüngere Mitarbeiterinnen. In diesem Sinn bin ich schon seit vielen Jahren Mentorin. Dabei versuche ich, aus diesem Arbeitgeberverhältnis einen Schritt zurückzutreten und einfach den Menschen zu sehen und ihn persönlich zu beraten.
Und Sie versuchen wahrscheinlich auch, Studierende an die Diabetologie heranzuführen.
Prof. Szendrödi: Ja, ich versuche schon zu vermitteln, was das Schöne ist an der Diabetologie. Gut ist: Ich habe die Studenten auch mit bei der Visite auf der Station. Was im Krankenzimmer geschieht und was aus der Situation heraus mit Patienten besprochen wird, bleibt oft viel mehr im Gedächtnis als der Frontalunterricht. Ich gehe offen damit um, wenn wir uns vertan haben und jemand bis jetzt nicht richtig behandelt wurde.
Ein wichtiges Thema: Wo geht die Kommunikation schief zwischen uns Ärztinnen und Ärzten und Patienten? Wenn man mit Patienten ins Gespräch geht, entdeckt man vielleicht einen neuen Ansatzpunkt und findet doch einen Weg, gemeinsam ein Ziel zu definieren. Es ist mir sehr wichtig, das den Studentinnen und Studenten zu vermitteln. Und ein sehr wichtiger Aspekt dabei ist mir die Empathie – und die kann man nur aus der Situation z.B. im Krankenzimmer erklären und auch vorleben.
In der Diabetologie muss man vielleicht eine höhere Frustrationstoleranz haben als anderswo. Es gibt meist keine einmalige Aktion, mit der sich ein Problem lösen lässt. Man muss einen langen Atem haben und es aushalten, wenn ein Patient sagt: Ich kann dieses Ziel nicht erreichen, wir müssen es neu definieren. Das muss einem schon liegen, dass man oft einen längeren Weg zu gehen hat.