Kommentar Ruf nach Unabhängigkeit
Im Vorfeld an meinen Kongressbesuch sondiere ich sorgfältig das Programm, alle mit Sponsoring markierten Vorträge bleiben außen vor, schließlich geht es mir um unabhängige Berichterstattung. So weit der hehre Plan. Vor Ort in der Pfalz folgt dann die Ernüchterung. Schon die ersten zwei Vorträge – wohlgemerkt ohne Firmenkennzeichnung und mit allgemein gehaltenen Titeln – drehen sich um jeweils genau ein Produkt. Immerhin wird es vom Referenten gleich zu Beginn inklusive des zugehörigen Herstellers genannt.
Leider geht es in diesem Stil immer weiter: Fast alle von mir ausgewählten, scheinbar unabhängigen Vorträge sind pure Werbeveranstaltungen. Mit einem Rest Hoffnung setze ich mich am zweiten Kongresstag in mein letztes Symposium, das eines Fachärzteverbandes. Und tatsächlich: kein Sponsoring, dafür ein Vortrag für diagnostische Anfänger. Mit einem Bericht darüber würde ich mich lächerlich machen. Ich beschließe, diese Farce zu beenden, und trete die Heimreise an.
Nicht nur ich war und bin erbost, außerhalb der Vortragssäle hörte ich viele Kollegen über die einseitigenten Referate schimpfen, für die sie zudem viel Geld bezahlt hatten. Natürlich gab es schon früher Tagungen, in denen gesponserte Symposien überwogen. Aber dort konnte man sich darauf verlassen, dass nicht gekennzeichnete Vorträge wirklich unabhängig waren.
Sollte das nun Erlebte Standard werden, hoffe ich auf Proteststürme und Boykotte vonseiten der teilnahmewilligen Ärzteschaft, die sich dieses Gebaren auf keinen Fall bieten lassen sollte. Potenziellen Referenten wünsche ich, dass sie abseits gesponserter Events weiterhin genug Gelegenheiten bekommen, in neutralem Rahmen zu reden. Denn ich könnte mir vorstellen, dass auch sie sich mit einer ausgewogenen Mischung von Vorträgen deutlich wohler fühlen.
Dr. Anja Braunwarth
Redakteurin Medizin