Wie gut, dass es das Wetter gibt

Kolumnen Autor: Dr. Jörg Vogel

Für viele scheint das Wetter der natürliche Feind ihrer Gesundheit zu sein. Für viele scheint das Wetter der natürliche Feind ihrer Gesundheit zu sein. © fotolia/Robert Kneschke

Das Thema in unserer Praxiskolumne: Das Wetter als Einfluss auf die Gesundheit. 

Ist es zu warm, hat man „Kreislauf“. Ist es zu kalt, hat man „Rücken“ oder „Ischias“. Ist es zu nass, nervt die Arthrose. Das Wetter hat gro­ßen Einfluss auf das Wohlbefinden unserer Patienten. Vor Jahrzehnten, als Medizinstudent konnte man mit dieser Aussage noch durch die Prüfung fallen. Heute dagegen ist es allgemein akzeptiert (weil eben offensichtlich). Deshalb sondern auch viele Zeitungen und Radiostationen täglich einen Bio-Wetterbericht ab.

Nun sollte man denken, die Leute lesen oder hören das und wissen: „Aha, daher ist mir beim Hochkommen schwindlig. Ich muss heute mehr trinken!“ Denkste! Sie füllen die Arztpraxis wie zu besten Grippezeiten. Für Kollegen, die noch Patienten suchen: eine Wohltat. Für alle anderen: Stress pur. Denn es herrscht enormer Redebedarf. Bei großem Zeitmangel.

Der Patient versteht und nickt – und kommt wegen der gleichen Sache erneut wieder

Im Allgemeinen läuft eine Konsultation in meiner Praxis so ab, dass ich den Blutdruck messe und das Herz abhöre. Der Patient äußert dann, dass er genau diesen niedrigen Blutdruck zu Hause auch gemessen hätte, aber der Puls wäre so schnell. Da möchte er doch besser zur Sicherheit ein EKG haben. Seine Frau hätte auch gesagt: „Erwin, lass das mal lieber abklären!“

Nun muss man dem Patienten die Zusammenhänge verdeutlichen zwischen Blutdruckabfall und reaktivem Pulsanstieg als natürliches Regulationssystem. Ein kleineres Drucksystem in einem größeren. Und die Rolle des Wetters dabei. So wie man es schon vergangenes Jahr erklärt hat und all die Jahre davor, in denen er auch schon wegen dieser Symptome hier war. Immer wieder und immer wieder. Der Patient scheint auch zu verstehen, nickt – und kommt nächs­tes Jahr genau deswegen erneut in die Praxis. So sichert uns das Wetter immer unser Auskommen – an guten wie an schlechten Tagen.

Für viele scheint das Wetter der natürliche Feind ihrer Gesundheit zu sein. Auf nichts anderes wird so viel geschimpft und geschoben (außer auf die Politik vielleicht). Und selbst ein stabiles Klima, z.B. ein trockener Sommer oder kalter Winter, schlägt aufs Gemüt. Deshalb herrscht am Ende der warmen oder kalten Jahreszeit oft eine depressive Grundstimmung. Die Leute haben die entsprechende Saison ganz einfach satt. Wechselt das Wetter dann endlich, geschieht dies aber wieder viel zu schnell ...

Dann ziehe ich nur noch ein Gesicht wie Mr. Bean ...

Für uns Ärzte hat das alles auch sein Gutes. Denn spätestens nach dem fünften schimpfenden Patienten mit „Kreislauf“, erkennt man die Tendenz des Tages: Blutdruck zu niedrig oder Blutdruck zu hoch. Oder eben alle „Rücken“. Auch wenn man kein „Bio-Wetter“ gelesen hat, weiß man Bescheid. Wenn dann der zwanzigste Patient fragt, warum gerade er und ausgerechnet heute, ziehe ich meist nur noch ein Gesicht wie Mr. Bean und deute mit dem Kopf aufs Fenster. Das Wetter eben ... Tja. Trotzdem untersuche ich ihn natürlich und schaue nach dem Rechten. Aufs Wetter kann man sich nun wirklich nicht verlassen.

Den Höhepunkt des Wetterhasses lieferte neulich eine Patientin, der noch nie eine Wetterlage in den Kram gepasst hatte. Sie kam an einem herrlichen Spätsommertag, sonnig, 20 Grad, blauer Himmel. Sie schimpfte: „Das Wetter ist eine Katastrophe, Herr Doktor.“ Ich fragte sie scherzhaft, was ich ihr denn noch bieten soll – strahlend blauer Himmel, milde Temperaturen ... „Aber der Wind, Herr Doktor! Dieser elende Wind!“

Da kam ein alter Mann des Weges und sagte: „Früher gab es auch Wetter. Trotzdem sind die Leute nicht immer gleich zum Arzt gerannt.“ Ja früher, da gab es auch noch einen Friseur, der billig war und Zeit hatte.