Ich kann das Gezeter nicht mehr hören!
Bleiben Sie mir weg mit der Grippeimpfung!“ Entrüstet weist die Seniorin mein jährliches Angebot zurück. „Vor fünf Jahren habe ich mich einmal impfen lassen und schon habe ich die Grippe bekommen; aber fragen Sie mich nicht, wie!“
Ich hoffe, dass sie meinen leisen Seufzer nicht hört, und setze zur Erklärung an, dass es sich damals um eine lästige Erkältung, aber keineswegs um die Grippe gehandelt habe. Das passiert an diesem Tag nicht zum ersten Mal und auch aus den Vorjahren ist mir diese Abwehrreaktion bekannt.
„Wenn Sie die Grippe haben, schnupfeln Sie nicht ein bisschen und leiden unter Halskratzen, sondern Sie haben das Gefühl, ein Laster sei über Sie hinweg gerollt!“, sage ich theatralisch. „Dazu kommen hohes Fieber und oft auch ein erbärmlicher Husten!“ „Das hatte ich noch nie“, erwidert sie kategorisch und beendet die Diskussion, indem sie sich zum Gehen rüstet.
Ich habe mich über 30 Jahre lang sinnlos angeschnallt!
Auch das ist ein Argument, das ich einfach nicht mehr hören kann. „Ich habe mich über 30 Jahre lang sinnlos angeschnallt“, berichte ich einem älteren Herrn, der auf Grund seiner COPD nun wirklich die Grippeimpfung wahrnehmen sollte. „Im 34. Jahr ist uns dann von hinten jemand ins Auto gerauscht und ich war froh über den Gurt. Ohne den wäre ich nämlich wahrscheinlich durch die Scheibe geflogen!“ „Ich schnalle mich auch immer an“, sagt er freundlich, „aber was hat das mit der Grippeimpfung zu tun? Die brauche ich nicht!“. So viel dazu, dass ich dachte, einen guten Vergleich zu haben. Man schützt sich eben besser auch in den Jahren, in denen man das eigentlich nicht gebraucht hätte, aber mein Gleichnis ist hier offensichtlich wenig erhellend gewesen.
„Grippeimpfung, so ein Quatsch!“, sagt mir eine junge Dame mit Diabetes. „Ich erinnere mich noch an das Riesen-Gedöns, das damals mit der Schweinegrippe veranstaltet wurde. Millionen hat das gekostet, und völlig sinnlos! Was man mit dem Geld alles hätte anfangen können!“ Nachher schlauer sein kann ich auch gut. „Man hat sich damals für die Massenimpfung entschieden, weil das Virus den Eindruck machte, gefährlich mutieren zu können“, erkläre ich, „jetzt stehen wir wie die Idioten da, die aus einer Mücke einen Elefanten gemacht haben. Aber was wäre gewesen, wenn wir nicht geimpft hätten, und das Virus hätte zu einer Riesen-Epidemie geführt? Dann hätte man uns bittere Vorwürfe gemacht, sehenden Auges in die Katastrophe geschlittert zu sein.“ Ich persönlich habe mich dann lieber zum Trottel gemacht.
„Ach, Sie wollen nur Geld verdienen“, sagt ein anderer, der die Achtzig überschritten hat und von meiner Mitarbeiterin zur Impfung gebeten wurde. „Nein“, kontere ich, „ich mache nur nicht so gern Hausbesuche bei all den Baustellen, die Sie gerade im Dorf haben. Das muss ich aber, wenn Sie an Grippe erkranken, und außerdem wohnen Sie ganz schön weit draußen auf dem Lande!“ Er zögert noch, aber als ich ihm sage, welch „fürstliches“ Honorar wir für eine Impfung berechnen können, ist er überzeugt. „Das ist ja wirklich wenig“, sagt er und ich kann ihm nur zustimmen. Schließlich geht es nicht nur um den Pieks, sondern um alles, was ich drumherum erklären muss.
Es gibt aber viele, viele Menschen, die sich freiwillig impfen lassen, und denen drücke ich immer fest die Daumen, dass sie sich nicht im Wartezimmer anstecken. Schließlich sitzen dort im Herbst viele erkältete Zeitgenossen, die mit Viren nicht geizen. Darum bedaure ich, dass wir nicht schon im Sommer gegen Grippe impfen können. Damit hätten wir die große Chance, wenigstens einen Satz nicht mehr hören zu müssen: „Letztes Jahr habe ich mich impfen lassen und dann wurde ich erst richtig krank!“