Sind wir Ärzte die schlimmsten Impfmuffel?
Seit einigen Jahren steigt kontinuierlich die Menge der Personen, die eine Reise in weit entfernte Länder unternehmen. Jedenfalls kommen mittlerweile eigentlich das ganze Jahr über Patienten, die Fragen haben zu notwendigen Impfungen, zur Prophylaxe sowie zu speziellen landes- bzw. reisetypischen Gefahren. Ich denke, das ist ein allgemeines Phänomen in den meisten Hausarztpraxen, nicht nur in meiner reisemedizinisch spezialisierten.
Ich bin froh, dass die reiselustigen Patienten sich vorher informieren und sich darüber im Klaren sind, dass in anderen Ländern – v.a. in Afrika, in der Karibik und in Südostasien – vieles anders ist. Für mich ein Zeichen von Gesundheits- und Sicherheitsbewusstsein, das ich gerne erfülle. Nicht nur aus ökonomischen Gründen, wie mir vielleicht jemand unterstellen möchte.
Umso überraschter war ich, als ich für einige Fachärzte, die eine Gruppenreise in ein südostasiatisches, vom Tourismus relativ neu entdecktes Land, unternehmen wollten, die Beratung durchführen durfte. Natürlich auf kollegialer Basis, d.h. im kollegialen Austausch ohne ökonomische Interessen.
Ich schaute also abends nach der Sprechstunde die zugefaxten und zugemailten Impfpässe durch. Es war unglaublich und ich traute meinen Augen nicht: Aber die Kollegen, die ausreichend und wiederholt gegen Tetanus geimpft waren – bei denen ich also von einem kompletten und ausreichenden Impfschutz ausgehen konnte –, konnte ich an einer Hand abzählen. Dabei habe ich die neuen Kriterien (der Körper vergisst keine Impfung) angelegt! Keinem der Kollegen war bewusst, dass im Land keine Tollwut-Impfstoffe verfügbar sind. Über Malaria, deren Ausbreitung und Resistenzen wussten ebenfalls nur wenige etwas.
Wenn die Kollegen mal was wussten, dann nur „so ungefähr"
Und wenn sie dann etwas wußten, war es auch nur „so ungefähr“. Natürlich, es handelte sich um Kollegen eines kleinen Fachs, das nichts mit Tropenkrankheiten zu tun hat. Aber dass ein Basis-Impfschutz in jedem Fall zumindest bei der Tetanusimpfung sinnvoll ist, war meines Erachtens schon Thema im Studium. Oder ist das bei mir schon zu lange her?
Bei den ersten paar machte ich mir noch die Mühe, sie anzurufen und nachzufragen, ob sie vielleicht noch einen zweiten Impfpass besitzen würden. Natürlich Fehlanzeige. Oder es kam eine der patientenüblichen Ausreden wie „Der ist beim letzten Umzug verloren gegangen“ oder „Den hat mein(e) Exfrau/ -mann mitgenommen“.
Ich war baff: Hat sich noch nicht herumgesprochen, dass sich mit Impfungen viele schreckliche und tödliche Erkrankungen vermeiden lassen? Wie können wir von Patienten verlangen, dass sie an ihren Impfschutz denken, wenn noch nicht einmal Ärzte und Ärztinnen sich darum kümmern? Sind wir Ärzte die schlimmsten Impfmuffel?
„Eine Impfpflicht zeugt von tiefem Misstrauen"
Ich bin auch nicht dafür, dass wir wahllos jeden und gegen alles impfen, für das ein Impfstoff auf dem Markt ist. Es gibt schwerwiegende Nebenwirkungen, die glücklicherweise selten sind. Ich sehe manche der Empfehlungen durchaus kritisch und ich scheue mich auch nicht, mit impfkritischen oder sogar impfphobischen Eltern zu sprechen, sie zu beraten und eine individuelle Lösung zu finden.
Und genauso kritisch sehe ich es, wenn eine Impfpflicht eingeführt wird wie jetzt in Italien. Das widerspricht jeglichem Demokratieverständnis und beweist nur ein tiefes Misstrauen des Staates gegenüber der Eigenverantwortung und der Vernunft seiner Bürger. Aber dass mit vielen Impfungen großes Elend vermieden werden kann, das steht außer Frage.
Obwohl es schon viele Jahre her ist, sehe ich immer noch wie gestern das Gesicht einer Freundin und Kollegin vor mir, deren kleines Kind über Nacht an einer Hämophilus-Sepsis verstorben war. Damals gab es diese Impfung noch nicht.