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Alltagsnutzen der Time in Range – nicht mehr nur eine Zahlenspielerei

Wie bei einem relativ neuen Parameter nicht anders zu erwarten, gab es im Rahmen der 13. International Conference on Advanced Technologies & Treatments for Diabetes (ATTD) einiges an neuen Daten und Diskussionen rund um die Zeit im Glukosezielbereich bzw. die Time in Range (TiR).
So wurde eine Subanalyse einer etwas älteren schwedischen Studie zur Nutzung von Systemen zum kontinuierlichen Glukosemonitoring (CGM) vorgestellt, in der 137 Patienten mit Diabetes Typ 1 für sechs Monate entweder ein CGM-System (Dexcom G4®) oder Blutglukoseselbstmessung (BGSM) sowie eine konventionelle Insulintherapie nutzten.
Es wurde deutlich, wie schwierig es für Patienten mit einem HbA1c unter 7 % ist, so eine gute Glukosekontrolle zu erreichen und gleichzeitig die Zeit mit niedrigen Glukosewerten niedrig zu halten. Insgesamt betrachtet hatten bei der Studie nur 27 % der Teilnehmer einen HbA1c < 7 % erreicht. Bei diesen betrug die Zeit unter dem Glukosezielbereich (Time below Range [TbR]; < 70 mg/dl) 5,4 % – das Ziel nach ATTD-Konsensus liegt bei < 4 %.
Obwohl dieses Ziel nicht erreicht wurde, war die Situation deutlich besser als bei der konventionellen Blutglukosekontrolle: Hier lag die TbR bei 9,2 %. Einen guten HbA1c und wenig Zeit bei niedrigen Glukosewerten haben de facto wenige Studienteilnehmer erreicht, nur drei von 137 in der CGM-Gruppe und einer in der BGSM-Gruppe.
In einer Session zur Real-World-Evidenz ging Professor Dr. Irl Hirsch, UW Medicine Diabetes Institute an der University of Washington, auf die verfügbaren TiR-Daten ein. Die Ergebnisse der eher wenigen Studien ergeben: Bei Patienten mit Typ-1-Diabetes lag die TiR bei 51–65 % und bei 62–69 % bei jenen mit Typ-2-Diabetes. Dabei liegen die Variationskoeffizienten, als Beschreibung der Schwankungsgröße der Glukosewerte, bei 35–45 % bei Patienten mit Typ-1-Diabetes und bei 29–30 % bei Typ-2-Diabetes. Unter Alltagsbedingungen gibt es also noch viel Raum für Verbesserungen.
Berechnet versus gemessen
Korrelation zwischen TiR und Folgeerkrankungen
In einer Studie mit Typ-2-Diabetespatienten wurde eine signifikante Beziehung zwischen TiR und Retinopathie beobachtet: Bei Patienten mit einer TiR > 86 % betrug die Prävalenz nur 3,5 %, bei einer TiR < 51 % betrug diese dagegen 9,7 %. Erwartet werden nun die Ergebnisse von Studien wie PERL (Preventing Early Renal Loss in Diabetes) und das „DRCR Retina Network Fenofibrate Protocol”, bei denen ein geblindetes CGM-System intermittierend über sechs Monate eingesetzt wird, um den Bezug von TiR und Nephropathie sowie Retinopathie zu untersuchen. Wenn die Evidenz für eine enge Beziehung zwischen vaskulären Komplikationen und CGM-Messungen besser wird, hat dies für die Zulassungsbehörden auch Relevanz hinsichtlich der Akzeptanz von TiR als Endpunkt in klinischen Studien. Nach Ansicht von Prof. Beck repräsentiert das HbA1c ein Surrogat-Maß für die vorherrschende mittlere Glukosekonzentration, dagegen misst das CGM den realen Glukoseverlauf. Er stellte die Frage: Braucht man wirklich immer noch das Surrogat-Maß?Individuelle Glykierungsrate in Modell berücksichtigt
Eine wichtige Analyse zur Beziehung zwischen HbA1c und TiR präsentierte Professor Dr. Chiara Fabris, Center for Diabetes Technology, University of Virgina, Charlottesville. Die traditionell verwendeten linearen Modelle zur Korrelation von TiR- mit HbA1c-Werten liefern Korrelationskoeffizienten von 0,6–0,7. In einem neuen Modell wird ein personalisierter Parameter für die Glykierungsrate verwendet, die für jedes Individuum einzigartig ist. Mit anderen Worten, das Modell erfordert einen Satz von TiR- und Labor-HbA1c-Werten, die auf das jeweilige Individuum „kalibriert“ werden. Unter Verwendung des Datensatzes einer aktuellen Studie mit einem System zur automatisierten Insulinabgabe (AID-System) mit 120 Teilnehmern wurden drei feste Populationskonstanten berechnet, die für das Modell gebraucht werden. Basierend auf der individuellen variablen Glykierungsrate wurde für jeden Studienteilnehmer eine Schätzung des HbA1c für diese berechnet und mit dem HbA1c-Wert des Referenzlabors verglichen. Das Ergebnis dieser komplexen Prozedur ist eine beachtliche Verbesserung des Korrelationskoeffizienten zwischen den Ergebnissen der modellbasierten HbA1c-Werte und den im Labor gemessenen Werten auf 0,93. Dies führt im nächsten Schritt dazu, dass auch die Korrelation zwischen dem TiR und diesem berechneten HbA1c-Wert sich deutlich verbessert. Die Autoren dieses Beitrages sind wohl auch in Diskussionen mit der amerikanischen Gesundheitsbehörde FDA zur Bedeutung dieses Modells. Es bleibt abzuwarten, ob die FDA bei ihrer Präferenz des HbA1c-Wertes als Endpunkt für klinische Studien bleibt, auch wenn der Bezug zu TiR so viel enger ist. Dr. Guido Freckmann, Institut für Diabetes-Technolgie GmbH an der Universität Ulm, wies in seinem provokanten Vortrag auf einige grundlegende Schwierigkeiten bei der Ermittlung des TiR hin, insbesondere auf die fehlende Standardisierung bei CGM-Systemen.MARD-Wert ist nicht gleich MARD-Wert
Dabei gab es in den ersten Jahren der Verwendung der HbA1c-Messung ähnliche Probleme: Die Messergebnisse, die sich aus einer Methode ergaben, wichen beachtlich von denen einer anderen Methode ab. Es fehlt, wie es vor einer Reihe von Jahren für Blutglukosemesssysteme etabliert wurde, ein methodisch sauberer Ansatz, der es ermöglicht, die verschiedenen CGM-Systeme geeignet zu kalibrieren. So gibt es deutliche Abweichungen zwischen den Messergebnissen mit einem FreeStyle Libre im Vergleich zu einem CGM-System von Dexcom, insbesondere im niedrigen Glukosebereich. Dr. Freckmann beleuchtete weiterhin die Schwächen des Wertes zur Mean Absolute Relative Difference (MARD) – dieser wird vielfach zur Beschreibung der analytischen Messgüte von CGM-Systemen verwendet. Ein MARD-Wert < 10 % gilt als De-facto-Standard für CGM-Systeme, deren Messwerte ausreichend genau sind für therapeutische Entscheidungen. Dabei gibt es eine Reihe von Faktoren, die den MARD-Wert massiv beeinflussen, wie das Studiendesign und die Wahl der Studienpopulation. MARD-Werte müssen also mit Vorsicht betrachtet werden. Wohl auch deshalb verwendet die FDA keine Vorgabe hinsichtlich des MARD-Wertes bei ihrer iCGM-Einstufung. Auch bei den Vorschlägen einer Konsensus-Gruppe zur Nutzung von CGM-Parametern wird die analytische Genauigkeit der CGM-Systeme (ausgedrückt als MARD-Wert) nicht berücksichtigt. Macht dann die Vorgabe eines Zielwertes von < 4 % für die TbR < 70 mg/dl gemessen mit „irgendeinem“ CGM-System Sinn?Kongressbericht: ATTD 2020
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