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ALS-Patienten sollten frühzeitig wissen, was auf sie zukommt

Eine 53 Jahre alte Frau stellt sich im Kölner Palliativzentrum vor. Vier Monate zuvor hatte sie die Schreckensdiagnose ALS erhalten, ihre Beschwerden – zunehmende muskuläre Funktionseinbußen – bestehen seit nunmehr acht Monaten. Dazu kommen drepressive Stimmungsphasen.
Natürlich wird bei ihr geschaut, welche Symptome vorhanden sind und wie man sie lindern kann. Gerade zu Beginn der Erkrankung ist aber noch etwas ganz anderes essenziell: Man muss mit der Patientin genau besprechen, was die ALS allgemein und für sie ganz persönlich bedeutet, welche Funktionen unweigerlich abnehmen werden, betonte Privatdozentin Dr. Heidrun Golla, Neurologin und Palliativmedizinerin am Uniklinikum Köln.
Noch vorhandene Autonomie für Entscheidungen nutzen
Natürlich gebe es Patienten, die die Aufklärung ablehnen, die sich weigern, über ihre Krankheit zu sprechen und nichts von der desolaten Prognose wissen möchten. Ihnen versucht die Kollegin zu vermitteln, dass es für sie von Vorteil ist, ihre noch vorhandene Autonomie zu nutzen, um Entscheidungen für später zu treffen. Für eine Zeit, in der sie sich nicht mehr artikulieren können. Dr. Golla: „Die Patienten werden irgendwann ateminsuffizient, entwickeln eine Dysphagie und eine Dysarthrie, bekommen Infekte, aspirieren. Und sie werden nicht mehr kommunizieren können. Dann sollte möglichst klar sein, was sie sich in einer solchen Situation wünschen.“
Die eingangs genannte 53-Jährige – von Beruf Intensivschwester – entschied sich ganz klar für die invasive Beatmung, für lebenserhaltende Maßnahmen, und sie formulierte dies entsprechend in ihrer Patientenverfügung. Ein anderer ALS-Kranker lehnte dagegen als Gourmet bzw. Genussmensch die Ernährung via PEG rigoros ab. „Es gibt eine sehr große Spannbreite, was die Patienten wünschen“, berichtete Dr. Golla.
Mit einem Gespräch ist es bei Weitem nicht getan
Dr. Golla trifft sich mit ihren ALS-Patienten mehrfach, in der Regel drei- bis achtmal, um alle relevanten Aspekte anzusprechen und zu klären. Und das tut sie möglichst im frühen Verlauf der ALS. Denn ist die Krankheit schon weiter fortgeschritten, nehmen die Gespräche sehr viel mehr Zeit in Anspruch. Wichtig ist, die Menschen daran zu beteiligen, die später für den Kranken die Entscheidungen treffen müssen.
Außerdem sollten dessen Wünsche mit einer Patientenverfügung dokumentiert werden. Diese beinhaltet möglichst die folgenden Themenfelder:
- Einstellung zum Leben und zum Sterben
- Beatmung:
> invasiv/nicht-invasiv
> Tracheostomaanlage (evtl. auch nur für die Bronchialtoilette)
> ALS-bedingt oder nicht ALS-bedingt?
> bis zu welchem Zeitpunkt? - Wiederbelebung
- Intensivmedizinische Maßnahmen:
> bis zu welcher Krankheitsentwicklung?
> wenn ausgeführt, wie lange? - Krankenhauseinweisung
- Behandlung mit Antibiotika
- Ernährung über perkutane endogastrale Sonde (PEG)
- gewünschte Medikamentenapplikation
- suprapubischer Blasenkatheter
- palliative Therapie, Sterbephase
- Vorsorgebevollmächtigte/r
Da der ALS-Patient im Krankheitsverlauf seine Ansichten z.B. zur PEG oder zur Beatmung ändern kann, muss man regelmäßig prüfen, ob er noch zu seinen in der Verfügung hinterlegten Wünschen steht.
Apropos Beatmung: Sie erfolgt zunächst meist als nicht-invasive Ventilation (NIV), wenn der CO₂-Spiegel erhöht ist und zu Luftnot, Tagesmüdigkeit und Konzentrationsstörungen, Kopfschmerzen, Unruhezuständen und/oder nächtlichen Schlafstörungen führt. Typischerweise entwickeln die betroffenen Patienten auch Angst, berichtete Dr. Golla. Die NIV verringert nicht nur die CO₂-Belastung, sondern verbessert auch Lebensqualität und Lebensdauer. Liegt die forcierte Vitalkapazität noch über 65 %, kann mit einer Lebensverlängerung um ca. ein Jahr gerechnet werden.
Wie geht es weiter bei der Beatmungspflichtigkeit?
Neben den medizinischen Dingen sollte man in jedem Fall mit dem Kranken besprechen, was eine solche Beatmung für ihn bedeutet. Wie lebt er damit? Wer kümmert sich nach der Entlassung aus der Klinik darum? Geht er in eine Beatmungs-WG oder muss für zu Hause ein Intensivpflegedienst organisiert werden – normale Pflegeheime nehmen diese Patienten selten auf. Die NIV als solche wird zwar von den Kassen finanziert. Den Intensivpflegedienst lehnen sie jedoch häufig ab, obwohl die Kranken evtl. schon hochgradig tetraparetisch sind, sich im Bett nicht drehen, geschweige denn sich absaugen können, so die Erfahrung von Dr. Golla.
Kongressbericht: 125. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin
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