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Moderne Onkologika: Auf besondere und seltene Nebenwirkungen achten

Enfortumab-Vedotin (EV) ist ein Standard für die Behandlung des metastasierten Urothelkarzinoms nach Versagen von Platin und Immuntherapie. Das Nebenwirkungsprofil von EV unterscheide sich von demjenigen anderer Antikörper-Drug-Konjugate (ADCs), erklärte Prof. Dr. Viktor Grünwald, Universitätsklinikum Essen. So führe es kaum zu Hämatotoxizität. Ein Problem könne vor dem Hintergrund der durch die Platintherapie vorbelasteten Patient:innen die Neurotoxizität des ADC darstellen.
Hauttoxizitäten
Von besonderer Bedeutung seien die Hautreaktionen. In dem erweiterten Zulassungsprogramm der Substanz in Frankreich seien Todesfälle aufgrund der Hauttoxizitäten aufgetreten, was die Zulassung verzögerte und eine erneute Sicherheitsbewertung des Medikaments nach sich zog, berichtete Prof. Grünwald. Man habe schwerste Formen der Hautreaktionen bis zum Lyell-Syndrom beobachtet. Meistens, aber nicht ausschließlich, entsteht die kutane Toxizität in den Hautfalten, so Prof. Grünwald. „Das ist keine seltene, sondern eine typische Nebenwirkung.“ Die Reaktionen treten früh im ersten Zyklus auf, median vergehen 0,4 Monate nach Verabreichen der ersten Dosis von EV. „Was wir für den Umgang mit der Hauttoxizität gelernt haben, ist, auf jeden Fall die Therapiepause einzuhalten. Das heißt konkret: Haben die Patient:innen im ersten oder zweiten Zyklus Hautreaktionen, dann sollte man die Therapie aussetzen und eventuell Kortikosteroide geben. Danach kann man mit adaptierter Dosis weitermachen“, erklärte Prof. Grünwald.
Auch Erdafitinib stellt bei FGFR-Expression eine – in Deutschland allerdings noch nicht zugelassene – wirksame Option für Personen mit vorbehandeltem metastasiertem Urothelkarzinom dar. Der selektive FGFR-Inhibitor hat kaum Off-Target-Effekte. Klasseneffekt für die FGFR-Hemmung sei die Hyperphosphatämie. „Das können wir als pharmakodynamischen Marker nutzen, der uns zeigt, wie gut wir den FGFR-Signalweg gehemmt haben.“ Bei leichter Ausprägung (Grad 1) dieses On-Target-Effekts könne man diätetische Maßnahmen treffen. Im Falle eines höheren Schweregrads können Phosphatbinder zum Einsatz kommen.
Augentoxizitäten
Die zweite typische Toxizität von FGFR-Inhibitoren sind Nebenwirkungen an den Augen. Unter Erdafitinib sei das bei über 50 % der Patient:innen der Fall, mit Augentrockenheit und Keratokonjunktivitis als Hauptproblematik. Es gebe allerdings auch Fälle von Retinopathien und Visusminderungen mit feuchter Netzhautdegeneration. Auch die Augentoxizität trete relativ früh ein und lasse sich vor allem über Pausen und Dosisminderung steuern. Neben Nephrolog:innen und Kardiolog:innen sollte man Augenärzt:innen in die Versorgung integrieren. Prof. Grünwald: „Okuläre Toxizität betrifft aber nicht nur die FGFR-Inhibitoren, auch sehr viele andere Onkologika führen zu Veränderungen im und am Auge.“ So gehöre die Keratitis zu den häufigsten Nebenwirkungen in der Onkologie.
Von Neurotoxizität bis Diabetes
ICI-vermittelte neurologische Toxizitäten seien sehr selten, so Prof. Grünwald, aber oft schwerwiegend und häufiger neuromuskulär als das ZNS betreffend. Auch hier zeigten sich substanzspezifische Muster. Die Mechanismen der Entstehung des ICI-vermittelten Diabetes seien vielfältig, so Prof. Grünwald. Auch dieser sei aufgrund seiner Permanenz eher ein Problem der Adjuvanz.
„Immuncheckpoint-Inhibitoren sind heute unsere 5. Säule in der Onkologie“, konstatierte der Referent. Was noch besser verstanden werden müsse, seien die spezifischen Muster der Nebenwirkungen, je nachdem, ob PD-L1- oder CTLA4-Inhibitoren eingesetzt werden. Dann könnte man besser auf diese reagieren, anstatt wie derzeit nur Kortikosteroide oder TNF-alpha-Blocker einzusetzen. Gewebespezifische Faktoren scheinen die spezifische Immunantwort und typische inflammatorische Muster zu fördern.
Nebenwirkungen werden in den Zulassungsstudien meist ab einer Inzidenz von ≥ 5 % berichtet. Aber mit dem breiten Einsatz der ICIs auch in der Adjuvanz kämen die chronischen und die seltenen Toxizitäten sehr viel mehr zum Tragen, so Prof. Grünwald. Als chronische Nebenwirkungen treten häufig Arthritiden und Endokrinopathien auf, außerdem gehört auch die ICI-induzierte Hämatotoxizität zu den Nebenwirkungen, die mit vermehrtem Einsatz immer häufiger gesehen werden. Sie treten vor allem im ersten Jahr der Behandlung auf und sind unter Kombination von zwei ICIs häufiger. „Das Problem ist, dass wir wenig Daten zum Umgang mit diesen seltenen Toxizitäten haben“, erklärte der Experte.
Insgesamt hätten seltene Nebenwirkungen eine hohe Letalität. „Sobald die Häufigkeit der Nebenwirkungen sinkt, haben wir ein Problem, sie zu entdecken und damit auch adäquat zu therapieren.“ Bei der ICI-vermittelten Myokarditis betrage die Letalitätsrate 40–50 %. Zur Überwachung sei Troponin der entscheidende Marker. Ebenfalls wichtig: Die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit der Kardiologie.
Quelle:
Gründwald V. AGSMO Jahreskongress 2023; Vortrag: „Besondere Nebenwirkungen neuer Substanzen“
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