Bis(s) zum Handchirurgen

Dr. Andrea Wülker

Reißzähne von Hunden hinterlassen Rissquetschwunden mit zerfetzten Wundrändern, Taschenbildungen und Defektwunden. Reißzähne von Hunden hinterlassen Rissquetschwunden mit zerfetzten Wundrändern, Taschenbildungen und Defektwunden. © Mehling I. internistische praxis 2021; 64: 249-254 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach

Der Welpe hat nur mal kurz in den Finger geknapst? Nicht schlimm, oder? So darf man niemals denken, denn jede Bissverletzung an der Hand muss ernstgenommen werden. Nicht nur können bei äußerlich harmlos erscheinenden Verletzungen durchaus tiefere Strukturen betroffen sein, es besteht auch eine große Infektionsgefahr.

Bisswunden sind relativ häufig und vor allem durch Hunde, Katzen oder Menschen verursacht. Schätzungen zufolge liegt die Inzidenz von Tierbissen in den USA bei 200 pro 100.000 Einwohner pro Jahr. In Deutschland gibt es weder eine Meldepflicht noch eine Beißstatistik – doch für Handchir­urgen gehören Bissverletzungen zum Alltagsgeschäft. Hunde und Katzen schnappen hierzulande am häufigsten zu, oft trifft es Kinder. Aber auch Tierpfleger, Tierärzte und Landwirte zählen zum gefährdeten Personenkreis, schreibt Privatdozentin Dr. Isabella Mehling, Handchirurgin am St. Vinzenz-Krankenhaus Hanau.

Bisswunden an der Hand betreffen häufig tiefere Strukturen wie Sehnen, Gefäße, Nerven, Knorpel, Gelenke und Knochen. Die Art der Verletzung hängt mit dem Gebiss des Täters zusammen: Reißzähne von Hunden hinterlassen Rissquetschwunden mit zerfetzten Wundrändern, Taschenbildungen und Defektwunden. Die spitzen Eckzähne von Katzen dagegen verursachen tiefe und perforierende Verletzungen, auch wenn die Hautwunde klein und harmlos aussieht. Direkte Menschenbissverletzungen zeigen den Abdruck des Verursachers, während indirekte Bissverletzungen durch Schlag der Faust des Täters gegen die Zähne des Opfers entstehen (Fight-bite-clenched-fist-Verletzung).

Abgesehen von der Gefahr durch die eigentliche Verletzung droht Ungemach durch keimbesiedelten Speichel des Beißers. Wundinfekte durch virulente Keime sind vor allem nach Katzenbissverletzungen häufig, die Angaben zur Häufgkeit reichen von 30 % bis über 50 %. Bei Hundebissverletzungen wird die Infektionsrate mit 2 % bis 20 % angegeben, wobei auch immer das Risiko einer Tollwut­erkrankung zu bedenken ist.

Häufig atypische Keime und Mischinfektionen

Ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht bei verschmutzen Wunden, tiefen Stichwunden sowie Läsionen mit Gelenkbeteiligung oder starker Gewebezerstörung. Auch manche Patientenfaktoren wie Immundefekte oder eine venöse bzw. lymphatische Abflussstörung im verletzten Gebiet steigern die Gefahr. Dr. Mehling rät, immer einen Abstrich für die bakteriologische Diagnostik zu entnehmen. Häufig finden sich atypische Keime wie Pasteurella multocida oder es liegen Mischinfektionen vor.

Schweregrade von Bissverletzungen

Grad I
  • Oberflächliche Hautläsionen
  • Riss- oder Kratzwunden
  • Bisskanal
  • Oberflächliche Quetschwunde
Grad II
  •  Hautwunden bis zur Faszie, Muskulatur oder bis zum Knorpel
Grad III
  •  Wunden mit Gewebsnekrosen oder größerem Substanzdefekt

Bissverletzungen an der Hand gelten als handchirurgischer Notfall (Schweregradeinteilung s. Kasten). Nur oberflächliche Läsionen ohne Zeichen für eine Beteiligung von Beugesehnen oder Gelenken dürfen unter antibiotischem Schutz versuchsweise für 24–48 Stunden ruhiggestellt werden. In jedem Fall sollte man den Tetanusschutz überprüfen. Ansonsten empfiehlt die Kollegin nach sorgfältiger klinischer und radiologischer Untersuchung folgendes Vorgehen:
  • Abstrichentnahme
  • keine Spülungen mit Octenisept®, sie können zu aseptischen Nekrosen führen
  • Wunde exzidieren und ausgiebiges Débridement, dabei auf kleine Inzisionen und die Einlage von Laschen verzichten
  • ggf. Nerven und Sehnen rekonstruieren
  • schnelle und definitive Defekt­deckung anstreben
  • die Wunde möglichst primär und spannungsfrei verschließen
  • Antibiotikaprophylaxe mit Amoxycillin/Clavulansäure starten, später evtl. an das Ergebnis des Antibiogramms anpassen
Die postoperative Ruhigstellung der betroffenen Hand sollte – angepasst an die Schwere der Verletzung – möglichst kurz gehalten werden. Je nach Defekt und Wunde kann im weiteren Verlauf eine Second-Look-Operation erforderlich werden.

Qualität der Erstversorgung entscheidet über Spätergebnis

In einer eigenen Untersuchung stellte die Arbeitsgruppe um Dr. Mehling fest, dass bei einer frühzeitigen Therapie von Hunde- und Katzenbissen – innerhalb von 24 Stunden nach der Verletzung – deutlich seltener und kürzer stationär behandelt werden musste als bei einem Therapiebeginn nach 24 Stunden. Bissverletzungen an der Hand sollten also unbedingt zeitnah behandelt werden. Die Qualität der Erstversorgung entscheidet über das funktionelle und ästhetische Spätergebnis, so die Kollegin. Allerdings seien nach der Akutbehandlung zusätzliche Maßnahmen wie Krankengymnastik, Ergotherapie und Eigenübungen des Patienten erforderlich, um die Funktionsfähigkeit der Hand komplett wiederherzustellen. 

Quelle: Mehling I. internistische praxis 2021; 64: 249-254 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach

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Reißzähne von Hunden hinterlassen Rissquetschwunden mit zerfetzten Wundrändern, Taschenbildungen und Defektwunden. Reißzähne von Hunden hinterlassen Rissquetschwunden mit zerfetzten Wundrändern, Taschenbildungen und Defektwunden. © Mehling I. internistische praxis 2021; 64: 249-254 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Bei diesem 76-Jährigen hatte ein Hund zugebissen. Bei diesem 76-Jährigen hatte ein Hund zugebissen. © Mehling I. internistische praxis 2021; 64: 249-254 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Intraoperativ sah man eine Extensordigitorum- Sehne zur Hälfte verletzt und eine eröffnete Kapsel des Grundgelenkes mit Verletzung der Streckerhaube. Dazu kam noch ein kleiner knöcherner Defekt im Bereich
des Kopfes vom Mittelhandknochen. Intraoperativ sah man eine Extensordigitorum- Sehne zur Hälfte verletzt und eine eröffnete Kapsel des Grundgelenkes mit Verletzung der Streckerhaube. Dazu kam noch ein kleiner knöcherner Defekt im Bereich des Kopfes vom Mittelhandknochen. © Mehling I. internistische praxis 2021; 64: 249-254 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach
Nach Fadenzug und Hautpflege zeigte sich dieses postoperative Ergebnis. Nach Fadenzug und Hautpflege zeigte sich dieses postoperative Ergebnis. © Mehling I. internistische praxis 2021; 64: 249-254 © Mediengruppe Oberfranken – Fachverlage GmbH & Co. KG, Kulmbach