Blasentumor: Was tun, wenn Cisplatin keine Option ist?

Mascha Pömmerl

Patienten mit Urothelkarzinom eignen sich nicht für Cisplatin bei: Status im ECOG von mind. 2 oder Karnofsky von mind. 70 %, Hörverlust in der Audiometrie, peripherer Neuropathie und/oder Herzinsuffizienz ab NYHA IV. Patienten mit Urothelkarzinom eignen sich nicht für Cisplatin bei: Status im ECOG von mind. 2 oder Karnofsky von mind. 70 %, Hörverlust in der Audiometrie, peripherer Neuropathie und/oder Herzinsuffizienz ab NYHA IV. © Science Photo Library/Steger, Volker

Seit Jahrzehnten ist die platinbasierte Chemotherapie beim fortgeschrittenen Urothelkarzinom der Grundpfeiler der Therapie. Unabhängig von der Cisplatin-Fitness werden hier Chemoimmuntherapien eingesetzt. Doch es geht auch anders.

Enfortumab-Vedotin richtet sich gegen Nectin4. Das Antikörper-Wirkstoff-Konjugat bewirkt hohe Ansprechraten bei Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Blasenkarzinom, die im fortgeschrittenen Setting bereits mit Cisplatin und einem Checkpoint-Inhibitor vorbehandelt wurden. Deshalb hat die FDA es in dieser Indikation zugelassen.1,2

Studie EV-301

Erste Daten einer randomisierten Phase-3-Studie stellte Professor Dr. Thomas­ Powles­, Barts Cancer Centre, Queen Mary University of London, nun vor.3 In der unverblindeten Studie EV-301 vergleichen Forscher um den Onkologen Enfortumab-Vedotin mit einer Standard-Chemotherapie bei Platin-vorbehandelten Patienten. Ihr Tumor wurde nach der Behandlung mit einem PD1/-L1-Antikörper progredient. Primärer Endpunkt bildete das Gesamt­überleben (OS). Die Teilnehmer waren im Schnitt 68 Jahre alt.

Gesamtüberleben stieg um vier Monate

608 Patienten erhielten in einer 1:1-Randomisierung entweder Enfortumab-Vedotin in einer Dosierung von 1,25 mg/kgKG an Tag 1, 8 und 15 jedes Zyklus oder eine vorab ausgewählte Chemotherapie mit Docetaxel, Paclitaxel oder Vinflunine. Prof. Powles bewertete die Daten als „beeindruckend“. Nach einer medianen Beobachtungszeit von 11,1 Monaten verlängerte sich das mediane OS signifikant von 8,97 Monaten in der Kontrolle auf 12,88 Monate im Prüfarm (Hazard Ratio [HR] 0,70; 95%-KI 0,56–0,89; p = 0,00142). Insgesamt starben unter Enfortumab-Vedotin bislang 134 Patienten, unter Chemotherapie 167. „Als erste Substanz zeigt Enfortumab-Vedotin einen Überlebensvorteil bei vorbehandelten Patienten mit fortgeschrittenem Blasenkarzinom“, kommentierte der Experte die Ergebnisse.

Auch das progressionsfreie Überleben (PFS) fiel mit 5,55 Monaten im Vergleich zu 3,71 Monaten signifikant länger aus (HR 0,62; p < 0,00001). Die objektive Ansprechrate (ORR) war mit 40,6 % versus 17,9 % mehr als doppelt so hoch. Dabei traten im ersten Arm 35,8 % partielle und 4,9 % Komplettremissionen auf, in der Chemo­therapiegruppe nur 15,2 % und 2,7 % (p < 0,001).

Das Sicherheitsprofil bezeichnete Prof. Powles als handhabbar. Schwere Nebenwirkungen traten in beiden Gruppen mit 22,6 % und 23,4 % ähnlich häufig auf. Jeder zweite Patient entwickelte ein Ereignis von mindestens Grad 3. Toxizitäten, die zu einem Therapieabbruch führten, traten bei 14 % bzw. 11 % der Teilnehmer auf, solche, die im Tod mündeten, bei 2,4 % bzw. 1 %.

Drei typische Toxizitäten unter Antikörper-Wirkstoff-Konjugat

Als typische Nebenwirkung unter Enfortumab-Vedotin gelten Hautreaktionen. So wiesen 44 % der Patienten einen Ausschlag auf, bei 15 % erreichte er einen Schweregrad von mindestens 3. An peripheren Neuropathien litten 46 % der Patienten (5 % Grad ≥ 3). Auch Hypergly­k­ämien gehören zu den typischen Nebenwirkungen des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats. In dieser Studie entwickelten sie 6 % der Patienten, 4 % davon erreichten mindestens Schweregrad 3. Unter der Chemotherapie kam es hingegen häufiger zu Neutrophilie, Leukopenie und febriler Neutropenie.

Insgesamt wertete Prof. Powles die Daten als vielversprechend: „Mit Blick auf die eingeschränkten Optionen, die Patienten in dieser Situation noch haben, sind diese Studien­ergebnisse ein großer Schritt in die richtige Richtung.“

Atezolizumab bei erhöhter PD-L1-Expression

In der dreiarmigen Studie IMvigor 130 vergleichen Forscher bei Cisplatin-fitten und -unfitten Patienten als Erstlinientherapie folgende Regime:
  • Arm A: Atezolizumab plus Platin plus Gemcitabin
  • Arm B: alleinige Immuntherapie
  • Arm C: Placebo plus Platin plus Gemcitabin
Die primäre Analyse präsentierte Professor Dr. Matthew D. Galsky vom Mount Sinai Hospital in New York. Sie zeigte ein signifikant verlängertes PFS für Patienten in Arm A gegenüber Arm C.1 Eine exploratorische Analyse umfasste OS und ORR nach PD-L1-Status bei Cisplatin-unfitten Patienten in Arm B und Arm C.2 Für Patienten mit erhöhter PD-L1-Expression (IC2/3) brachte die Atezolizumab-Monotherapie einen Vorteil hinsichtlich des OS mit 18,6 Monaten im Vergleich zu 10,0 Monaten und einer ORR von 38 % versus 33 %.

Quellen:
1. Galsky MD et al. Lancet 2020; 395: 1547-1557; DOI: 10.1016/S0140-6736(20)30230-0
2. Galsky MD et al. 2021 Genitourinary Cancers Symp.; Poster Highlight Session; Abstract 434

Studie EV-201

Die Daten der pivotalen Phase-2-Studie EV-201 ergänzen das Bild zu Enfortumab-Vedotin.4 Die einarmige Untersuchung war keine Vergleichsstudie, besaß aber zwei Kohorten. Die Ergebnisse der Kohorte 1 hatten zur beschleunigten Zulassung des Antikörper-Wirkstoff-Konjugats in den USA geführt. Die primäre Analyse der Kohorte 2 umfasst Cisplatin-ungeeignete Patienten mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem Urothelkarzinom. Dr. Arjun­ Vasant­ Balar, Perlmutter Cancer Center, NYU Langone Health, New York, stellte sie vor. Die durchschnittlich 75-Jährigen waren Platin-naiv und hatten unter oder nach einem PD1/-L1-Inhibitor einen Progress erlitten. 15 % von ihnen waren adipös. 89 Teilnehmer der Kohorte 2 erhielten Enfortumab-Vedotin für im Median sechs Monate. Cisplatin-ungeeignete Patienten profitieren Die bestätigte objektive Ansprechrate betrug 52 %, mit einer kompletten Remission sprachen 20 % der Tumoren auf die Therapie an, wie Dr. Balar betonte. „Numerisch ist das die höchste Ansprechrate, die jemals für eine Therapie bei Cisplatin-unfitten Patienten beobachtet wurde.“ Im Median verstrichen nur 1,8 Monate bis zum Ansprechen, die mediane Ansprechdauer betrug 10,9 Monate. Nur bei 9 % der Patienten schritt die Erkrankung weiter fort, hob der Kollege hervor. Die Daten zum medianen PFS und OS ähneln mit 5,8 Monaten und 14,7 Monaten jenen aus der EV-301-Studie. Patienten, die zuvor auf eine Immuntherapie angesprochen hatten, profitierten am meisten. Dr. Balar vermutet dahinter einen synergistischen Effekt. Ob dies der Fall ist, wird bereits in einer weiteren Arbeit untersucht. Die Enfortumab-Vedotin-typischen Nebenwirkungen Hautausschlag, Neuropathie und Hyperglyk­ämie entwickelten auch in dieser Studie viele Patienten. Dr. Balar­ zufolge waren sie handhabbar. Periphere Neuropathien traten im Schnitt erst 2,4 Monate nach Therapiebeginn auf. Durch eine reduzierte Dosis bzw. Stopp von Enfortumab-Vedotin ließen sich die Symptome jedoch lindern oder beheben. Vier Patienten starben aufgrund der Behandlung, drei davon innerhalb von 30 Tagen nach Therapiestart. Die Patienten waren laut dem Referenten alle älter als 75 Jahre, wiesen Komorbidiäten auf und hatten einen BMI von mehr als 30 kg/m². Cisplatin-ungeeignete Patienten mit Progress unter oder nach PD1/-L1-Inhibitor benötigen dringend neue Therapieoptionen, so Dr. Balar. In seinen Augen könnte ein neuer Standard in dieser Situation Enfortumab-Vedotin sein. 

Quellen:
1. Rosenberg J et al. J Clin Oncol 2020; 38: 1041-1049; DOI: 10.1200/JCO.19.02044
2. Chang E et al. Clin Cancer Res 2021; 27: 922-927; DOI: 10.1158/1078-0432.CCR-20-2275
3. Powles T et al. 2021 Genitourinary Cancers Symposium (virtual); Oral Abstract Session; Abstract 393
4. Balar AV et al. A.a.O; Abstract 394

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