Das Abnehmen mit Antidiabetika birgt eine Reihe von Risiken

Dr. Melanie Söchtig

Wer mithilfe von In­kretinmimetika abspecken möchte, darf den Umgang mit einem Pen nicht scheuen. Wer mithilfe von In­kretinmimetika abspecken möchte, darf den Umgang mit einem Pen nicht scheuen. © Science Photo Library

Verschiedene Inkretinmimetika sind durch ihre gewichtsreduzierende Wirkung populär geworden. Ihr Einsatz bei Menschen mit Adipositas ohne Diabetes mellitus wirft aufgrund ihres Nebenwirkungsprofils und der Langzeiteffekte auf den Hormonhaushalt jedoch kritische Fragen auf.

Dank ihrer positiven Wirkung auf die Blutzuckerkontrolle haben Glucagon-like Peptid-1 (GLP1)-Rezeptoragonisten mittlerweile einen festen Stellenwert in der Diabetestherapie. Sie stimulieren die Insulinsekretion und hemmen die Glucagonfreisetzung. Darüber hinaus wurde für mehrere Inkretinmimetika eine Gewichtsreduktion nachgewiesen, was sie zu vielversprechenden Kandidaten für die Adipositastherapie macht. Doch bislang besteht Uneinigkeit darüber, ob diese Arzneimittel tatsächlich auch für nicht-diabetische Menschen geeignet sind. Dr. Johannes Scholl, Internist aus Rüdesheim, gibt einen Überblick zu Inkretinmimetika und diskutiert praxisrelevante Aspekte zu ihrem Einsatz bei der Behandlung von Adipositas.

Semaglutid

Semaglutid ist in einer Dosierung von 0,25–1,0 mg/Woche bei Diabetes mellitus Typ 2 zugelassen und darf mit bis zu 2,4 mg/Woche bei Adipositas angewendet werden. Eine signifikante Gewichtsreduktion unter Semaglutid konnte in klinischen Studien auch bei adipösen Menschen ohne Diabetes mellitus beobachtet werden. So erreichten Teilnehmende mithilfe von Semaglutid eine durchschnittliche Gewichtsreduktion von 15 % innerhalb von 68 Wochen, während bei alleiniger Änderung des Lebensstils nur ein Gewichtsverlust von 2,4 % erzielt wurde. Bei 20–45 % der Teilnehmenden kam es zu Nebenwirkungen wie Übelkeit, Diarrhö, Emesis und Verstopfung. Im Durchschnitt entwickelte eine von 200 Personen eine akute Pankreatitis, was einer Risikosteigerung um den Faktor 9 entspricht.

Bei der Langzeitanwendung von Semaglutid ist das im Vergleich zu Placebo erhöhte Risiko einer Gallensteinbildung und die potenzielle Förderung von Schilddrüsenkarzinomen zu beachten. Kritisch sieht Dr. Scholl zudem das weit über das physiologische Maß hinausgehende Ausmaß der GLP1-Stimulation. Er wirft die kritische Frage auf, ob eine solch extreme, einseitige Überstimulation eines komplexen Hormonsystems über Jahrzehnte verträglich sein wird.

Tirzepatid

Tirzepatid ist ein dualer Agonist, der nicht nur auf den GLP1-Rezeptor wirkt, sondern auch auf den glukoseabhängigen insulinotropen Peptid(GIP)-Rezeptor. Bei nicht-diabetischen Personen mit Übergewicht oder Adipositas erzielte Tirzepatid in der höchsten Dosis (15 mg/Woche) einen Gewichtsverlust von bis zu 22,5 % nach 72 Wochen. Bei einer bzw. einem von 60 Patientinnen und Patienten kam es in der Auftitrierungsphase zu einer Hypoglykämie. Das Nebenwirkungsprofil ähnelt dem von GLP1-Agonisten.

Retatrutid

Der neuartige Wirkstoff Retatrutid aktiviert gleichzeitig die Rezeptoren für GIP, GLP1 und Glucagon. In einer Phase-2-Studie mit adipösen erwachsenen Patientinnen und Patienten erzielte Retatrutid in der höchsten getesteten Dosis (12 mg/Woche) eine Gewichtsreduktion von bis zu 24,2 % innerhalb von 48 Wochen. Das Nebenwirkungsprofil war ähnlich wie das der anderen GLP1-Agonisten, wobei die Glucagonkomponente möglicherweise mit einem erhöhten Risiko für gastrointestinale Beschwerden und Gallenerkrankungen assoziiert ist.

Aus Studien geht hervor, dass unter Inkretinmimetika ein deutlich größerer Anteil der verlorenen Kilos die Muskelmasse betrifft – verglichen mit dem Gewichtsverlust durch diätbedingte Methoden oder nach bariatrischer Chirurgie. Dr. Scholl betont deshalb den Stellenwert der Nahrungszusammensetzung im Rahmen einer Therapie mit Inkretinmimetika und die Bedeutung einer hochwertigen Proteinzufuhr.

Bisherige Studienergebnisse deuten darauf hin, dass Betroffene nach Absetzen von Semaglutid innerhalb weniger Monate wieder an Gewicht zulegen. Um einen langfristigen Effekt zu erzielen und Nebenwirkungen gering zu halten, wären Konzepte wünschenswert, durch die eine einmal erreichte Gewichtsreduktion auch ohne medikamentöse Unterstützung aufrechterhalten werden kann. 

Quelle: Scholl J. Hessisches Ärzteblatt 2024; 11: 592-595

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Wer mithilfe von In­kretinmimetika abspecken möchte, darf den Umgang mit einem Pen nicht scheuen. Wer mithilfe von In­kretinmimetika abspecken möchte, darf den Umgang mit einem Pen nicht scheuen. © Science Photo Library