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Demenztherapie: Kausal und früh statt symptomatisch und spät behandeln

Mit dem demografischen Wandel wird es Schätzungen zufolge 2055 knapp drei Millionen Demente hierzulange geben. Die Zahl der Antidementiva stagniert jedoch seit Jahren auf einem sehr überschaubaren Niveau, stellen Dr. Patrick Müller vom Deutschen Zentrum für neurodegenerative Erkrankungen in Magdeburg und Kollegen fest. Zur Verfügung stehen in den frühen klinisch manifesten Phasen derzeit die Acetylcholinesterasehemmer Galantamin, Donezepil und Rivastigmin, in den mittleren und späten Phasen kommt der NMDA*-Rezeptorantagonist Memantin zum Einsatz. In den Frühstadien können laut deutscher S3-Demenzleitlinie zusätzlich hoch dosierte Ginkgo-biloba-Präparate probiert werden.
Die Antidementiva wirken nur symptomatisch, eher schwach und haben allenfalls moderate Langzeiteffekte. Bei immerhin 25 % verbessern sie Gedächtnisleistung und Alltagskompetenz deutlich, sodass ein Therapieversuch lohnt. Von Kombinationen rät die nationale S3-Leitlinie ab. Internationale Leitlinien sehen dies anders aufgrund der in Studien beschriebenen positiven Effekte von Memantin plus Donepezil in mittleren und fortgeschrittenen Stadien. Für Piracetam und Nimodipin besteht hingegen keine Evidenz, von ihnen sollte man absehen.
Neue Arzneien zielen auf Beta-Amyloid und Tau
Während der Behandlung von Begleiterkrankungen hilft ein Blick auf Beipackzettel und PRISCUS- oder FORTA-Liste. Es gibt eine ganze Reihe von Medikamenten, die entweder mit Antidementiva interagieren oder aufgrund einer anticholinergen Wirkkomponente und damit potenziell demenzfördernder Effekte die Wirkung der Antidementiva konterkarieren. Dazu gehören neben trizyklischen Antidepressiva auch Betablocker, Betalaktamantibiotika, Glukokortikoide, Furosemid und Fentanyl.
Dass seit der Zulassung von Memantin im Jahr 2003 trotz der rentablen Absatzchancen keine weiteren Therapieoptionen mehr auf den Markt gekommen sind, liegt wohl u.a. an der sehr komplexen und noch immer nicht richtig verstandenen Pathophysiologie der Krankheit, diskutieren die Demenzexperten. Als derzeitige Ansatzpunkte einer krankheitsmodifizierenden Behandlung gelten die Ablagerungen von intrazellulären Tau-Neurofibrillen und extrazellulärem Beta-Amyloid.
Die größten Erfolge verspricht man sich trotz wiederholter herber Rückschläge von den Anti-Amyloid-Medikamenten, die entweder die Aktivität der Beta- und Gamma-Sekretase modulieren oder passiv gegen Beta-Amyloid immunisieren. 15 klinische Prüfungen befinden sich in der Schlussphase und wollen mit besseren Ergebnissen aufwarten als z.B. Aducanumab: Die Phase-3-Studie mit dem als vielversprechend eingestuften monoklonalen Anti-Beta-Amyloid-Antikörper wurde im März dieses Jahres wegen mangelnder Effektivität abgebrochen. Ein grundsätzlicher Knackpunkt: Die beiden Amyloide sind an vielen essenziellen Prozessen im Körper beteiligt, wie z.B. der Myelinisierung.
Antidiabetikum als potenzielle Therapieoption
Bei den gegen die Tau-Akkumulation gerichteten Therapeutika befinden sich derzeit vier Substanzen im Endspurt, erste Ergebnisse werden bis 2020 erwartet. Impulse aus einer ganz anderen Richtung bieten die positiven Resultate mit modernen Antidiabetika wie GLP1**-Rezeptoragonisten. Sie zeigten im Mausmodell verbesserte kognitive Leistungen. Klinische Untersuchungen stehen aber noch aus, betont das Team um Dr. Müller.
Warum Antidementiva außerdem scheitern, liegt vermutlich am späten Interventionszeitpunkt. Denn Schätzungen zufolge treten klinische Symptome erst nach rund 20 Jahre neuronaler Fehlentwicklungen auf. Und wie man frühe krankheitsfördernde Dysbalancen erkennt, ist noch nicht bekannt. Einen Ansatz für die Früherkennung könnte z.B. die nicht-invasive Messung von Betaamyloiden im Blut mithilfe von Immuno-Infrarot-Sensoren darstellen.
Umso wichtiger ist jedoch die Prävention von Demenzen, u.a. durch einen angepassten Lebensstil mit Rauchverzicht und Sport. Diabetes und Bluthochdruck fördern ebenfalls die Erkrankung und sollten dementsprechend verhindert werden.
* N-Methyl-D-Aspartat
** Glucagon-like peptide 1
Quelle: Müller P et al. Internist 2019; 60: 761-768; DOI: doi.org/10.1007/s00108-019-0625-4
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