Der Individualität gerechtwerden

Friederike Klein

Schon klinische Faktoren können als Prädiktoren der Therapieansprache bei Typ-2-Diabetes fungieren. Schon klinische Faktoren können als Prädiktoren der Therapieansprache bei Typ-2-Diabetes fungieren. © iStock/Ekaterina Vakhrameeva

Präzisionsmedizin verbindet man häufig mit kostspielig erhobenen Biomarkern, die einen dann durch die Therapieentscheidung leiten sollen. Doch eine auf den individuellen Patienten abgestimmte Behandlung kann sich auch einfach an klinischen Faktoren orientieren.

Molekulargenetische Untersuchungen helfen bislang kaum dabei, die für einen Patienten am besten wirkende, risikoärmste Behandlung zu identifizieren. Einzige Ausnahme: der monogenetische MODY*, erklärte Professor Dr. Miriam­ Udler­ von der Harvard Medical School in Boston. Bei Vorliegen einer HNF1a-Mutation kann die Gabe von Sulfonylharnstoffen oder GLP1-Rezeptoragonisten die durch die Mutation gestörten Signalwege zur Regulation der glukosestimulierten Insulinsekretion beeinflussen. In der Folge können Betroffene häufig eine Insulintherapie absetzen.  

Abseits dessen stützt man sich derzeit auf klinische Faktoren, um die Dia­betestherapie zu individualisieren. Dazu zählen entsprechend den aktuellen EASD/ADA-Leitlinien beispielsweise 

  • HbA1c und Therapieziel,
  • Vulnerabilität für Hypoglykämien,
  • Körpergewicht und
  • kardiovaskuläre oder renale Erkrankungen bzw. Risikofaktoren.

Die von Ahlqvist et al. klinisch-pathophysiologisch definierten Cluster unterschiedlicher Diabetes-Typ-2-Formen könnten ein anderer pathophysiologisch determinierter Schritt hin zur Präzisionsmedizin sein, beispielsweise um die Wahrscheinlichkeit des Ansprechens auf eine Therapie beim neu diagnostizierten Diabetes abzuschätzen.1 Allerdings gab es laut Prof. Udler hier Ernüchterung: In einer Studie ihres Nachredners Dr. John­ Dennis­, University of Exeter, war es durch die Parameter Geschlecht, Alter, BMI und HbA1c zum Zeitpunkt der Dia­gnose besser als mithilfe der Cluster gelungen, das Ansprechen auf die Therapie vorherzusagen.2 „Das Risiko eines Hyperglykämieprogresses zeigte das Diagnosealter ebenso gut an wie die Cluster und durch die geschätzte glomeruläre Filtrationsrate (eGFR) ließ sich ein guter Rückschluss auf die Wahrscheinlichkeit ziehen, eine chronische Nierenerkrankung zu entwickeln“, sagte Prof. Udler.

Unterschied zum Standard

Eine einheitliche Definition für die Präzisionsmedizin gibt es nicht. Nach einem Konsensuspapier der US-amerikanischen und europäischen Diabetesgesellschaften ADA und EASD umfasst sie in der Diabetologie alle Versorgungsbereiche – von der Prävention über die Diagnose und Prädiktion bis hin zur Therapie. Wesentlicher Unterschied zum „Standardansatz“ in der Medizin bildet die Nutzung komplexer, multidimensionaler Daten, um den individuellen Gesundheitsstatus, Prädisposition, Prognose und das wahrscheinliche Therapieansprechen zu beschreiben.

Individualisierte Empfehlungen nur für 15–20 % der Patienten

Reicht Metformin zur glykämischen Kontrolle nicht aus, stehen eine Reihe von Medikamentenklassen zur Verfügung. In den EASD/ADA-Leitlinien gibt man aber nur für Patienten mit kardiovaskulärer Vorbelastung oder chronischer Nierenerkrankung konkrete, individualisierte Empfehlungen. „Bei den übrigen 80–85 % bleibt die optimale Therapiewahl offen“, erklärte Dr. Dennis. Auf Basis klinischer Routinedaten hatte er bereits BMI und eGFR als Prädiktoren für ein Therapieansprechen auf DPP4-Hemmer, Glitazonen bzw. Sulfonylharnstoff etabliert, die Grundlage für die TriMASTER-Studie waren (s.u.). Patienten mit hohen HbA1c-Werten vor Behandlungsbeginn sprachen in neueren Analysen etwas besser auf SGLT2-Hemmer an als auf DPP4-Inhibitoren. Eine moderate Assoziation zu einem deutlicheren glykämischen Ansprechen auf SGLT2-Inhibitoren ließ sich auch bei höherer eGFR erkennen.  Gegenwärtig arbeitet Dr. Dennis an einem Modell, das kontinuierliche klinische Variablen mit Einfluss auf das Ansprechen in Algorithmen umsetzen soll.

* Maturity-Onset Diabetes of the Young

1. Ahlqvist E et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2018; 6: 361-369
2. Dennis JM et al. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: 442-451

Kongressbericht: EASD Annual Meeting 2021

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Schon klinische Faktoren können als Prädiktoren der Therapieansprache bei Typ-2-Diabetes fungieren. Schon klinische Faktoren können als Prädiktoren der Therapieansprache bei Typ-2-Diabetes fungieren. © iStock/Ekaterina Vakhrameeva