Diabetes: Neue Therapieempfehlungen berücksichtigen Risikoorgane

Dr. Elke Ruchalla

Wichtig bei der Diabetestherapie ist es, das Profil und auch die persönlichen Präferenzen des Patienten zu berücksichtigen. Wichtig bei der Diabetestherapie ist es, das Profil und auch die persönlichen Präferenzen des Patienten zu berücksichtigen. © megaflopp – stock.adobe.com

Nach derzeitiger Praxis verordnet man einem Patienten mit Diabetes Typ 2 Veränderungen des Lebensstils, ggf. danach Metformin. Weitere Substanzen kommen normalerweise erst dann zum Zuge, wenn damit der Glukosespiegel zu hoch bleibt. Das ändert sich vielleicht bald.

Die „glukozentrische“ Herangehensweise an einen Diabetes Typ 2, bei der Glukose- und HbA1c-Konzentrationen im Vordergrund stehen, könnte bald out sein. Denn auch eine strenge Blutzucker­einstellung bringt nicht unbedingt Vorteile hinsichtlich der kardiovaskulären und renalen Komplikationen, schreiben Dr. Sheyu­ Li vom Department of Endocrinology and Metabolism am West China Hospital der Sichuan University in Chengdu und Kollegen.

Das internationale Expertenteam hat die Ergebnisse aktueller randomisierter Studien zur Diabetes­behandlung mit SGLT2-Inhibitoren oder GLP1-Rezeptor-Agonisten im Rahmen einer Praxisleitlinie neu evaluiert.

SGLT2 und GLP1, was steckt dahinter?

  • Die oral anwendbaren SGLT2-Inhibitoren (sodium-glucose cotransporter 2 inhibitors) verhindern in der Niere die Rückresorption von Natrium und Glukose, indem sie den dafür verantwortlichen Transportmechanismus lahmlegen. Zu dieser Gruppe gehören z. B. Empagliflozin und Dapagliflozin.
  • Die Agonisten am GLP1-Rezeptor (glucagon-like peptide 1) müssen injiziert werden und imitieren dann die Wirkung der Inkretine, indem sie sich an deren Rezeptor binden. Dadurch verlangsamen sie die Magenentleerung, stimulieren die Insulinfreisetzung, senken die Glukagonsekretion und steigern das Sättigungsgefühl. Eine gleichzeitige Gabe von DPP-4-Hemmern sollte nicht erfolgen.

Dabei berücksichtigten sie weniger die Stoffwechselkontrolle, sondern langfristige Auswirkungen auf das Herz-Kreislauf-System und die Nieren. Insgesamt gingen Daten von mehr als 421.000 Teilnehmern ein. Es zeigte sich mit hoher Evidenz, dass beide Substanzgruppen negative Outcomes verhindern. Dazu gehörten:
  • Todesfälle jeglicher Ursache
  • kardiovaskuläre Todesfälle
  • Myokardinfarkte
  • terminale Nierenerkrankungen
  • schwere Hyperglykämien
Gleichzeitig kommt es nicht zu mehr gefährlichen Unterzuckerungen. Möglicherweise senken die Substanzen auch das Körpergewicht, so richtig harte Beweise dafür gibt es bisher allerdings nicht. 

Mehr Genitalinfektionen bzw. Magen-Darm-Beschwerden

Bei genauerer Betrachtung erleiden die mit GLP1-Rezeptor-Agonisten behandelten Diabetiker seltener nicht-tödliche Schlaganfälle. Die Gliflozine dagegen schnitten etwas besser bei der Gesamtmortalität und den behandlungsbedürftigen Herzinsuffizenzen ab. Dennoch darf man auch zwei wichtige Nebenwirkungen nicht außer Acht lassen. Diabetiker unter SGLT2-Inhibition erleiden häufiger eine Ketoazidose und Genitalinfektionen (Vaginitis bzw. Balanitis). GLP1-Rezeptor-Agonisten dagegen können unter Umständen schwere gastrointestinale Nebenwirkungen auslösen, wie Übelkeit, Erbrechen und Durchfälle. Daher empfiehlt sich ein langsames Aufdosieren. Die absoluten (positiven und negativen) Effekte hängen jedoch vom individuellen Risikoprofil des Patienten ab. Solange dieser nicht an einer manifesten Herz-Kreislauf- und/oder Nierenerkrankung leidet, kommt es auf allgemeine Größen an: Unter anderem ein Alter über 60, männliches Geschlecht, eine positive Familienanamnese, Nikotinkonsum und ein unkontrollierter Bluthochdruck (über 140/90 mmHg) oder Blut­zucker (HbA1c ≥ 6,5 %) sowie eine Dyslipid­ämie sind eher ungünstig. Profiling-Hilfe leistet das RECODe-Tool. Zusammengefasst geben die Experten je nach Risikogruppe folgende Empfehlungen:
  • keine manifeste Erkrankung und maximal drei kardiovaskuläre Risikofaktoren: Es besteht keine Notwendigkeit für SGLT2-Inhibitoren oder GLP1-Rezeptor-Agonisten.
  • keine manifeste Erkrankung und mehr als drei kardiovaskuläre Risikofaktoren: jeweils eine schwache Empfehlung für die Therapie mit einem SGLT2-Inhibitor, aber gegen die Rezeptor-Agonisten
  • manifeste Herz-Kreislauf- oder Nierenerkrankung: schwache Empfehlung für eine Therapie mit SGLT2-Inhibitoren oder GLP1-Rezeptor-Agonisten
  • manifeste Herz-Kreislauf- und Nierenerkrankung: Therapie mit SGLT2-Hemmer wird auf jeden Fall empfohlen, könnte alternativ mit GLP1-Rezeptor-Agonisten erfolgen (schwächere Empfehlung).
Wenn Diabetiker sich selbst wünschen, ihr Risiko weiter zu reduzieren, ist eher ein SGLT2-Inhibitor angesagt. Bezüglich des Einsatzes bei nierenkranken Patienten sollten aber die aktuellen Zulassungen bzw. Kontraindikationen (eGFR) beachtet werden.

Angst vor Spritzen berücksichtigen

Auch persönliche Präferenzen können eine Rolle spielen. Manche Patienten haben Angst vor Spritzen: Ihnen ist, wenn nicht starke Gründe dagegen sprechen, mit den oralen SGLT2-Hemmern besser gedient. Alternativ können Sie eines der nur einmal wöchentlich notwendigen Inkretinmimetika (z.B. Albiglutid) vorschlagen. Die gebrauchsfertigen GLP1-Rezeptor-Agonisten müssen allerdings bei Temperaturen von 2–8 °C gelagert werden und dürfen keiner direkten Sonneneinstrahlung ausgesetzt werden – was bei Reisen schon mal problematisch sein kann. Wichtig ist aber zu beachten: Das Gremium hat sich lediglich mit der Wirkung der beiden Substanzgruppen auf Herz, Gefäße und Nieren befasst. Hyperglykämische Krisen, schwere systemische Infektionen, Retino- und Neuropathien sowie das diabetische Fußsyndrom sind nicht berücksichtigt, können bei manchen Patienten aber durchaus relevant sein.

Quelle: Li S et al. BMJ 2021; 373: n1091; DOI: 10.1136/bmj.n1091

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