Die Chancen der Cannabinoide optimal nutzen

Bianca Lorenz

Die Hürden für die Bewilligung sind mittlerweile gesunken. Die Hürden für die Bewilligung sind mittlerweile gesunken. © cendeced – stock.adobe.com

Die Verordnung von medizinischem Cannabis ist einfacher geworden. Doch viele Hausärzte sind nach wie vor unsicher, welches Präparat sie ihren Patienten wann und in welcher Dosierung verschreiben sollen. Zwei Schmerz­therapeuten geben Antworten.

Seit das Gesetz „Cannabis als Medizin“ 2017 in Kraft trat, ­regelt der § 31 Abs. 6 des Sozial­gesetzbuchs V (SGB V), wann die gesetzliche Krankenversicherung die Kosten für cannabinoidhaltige Arzneimittel übernimmt. Die Hürden für die Bewilligung sind mittlerweile gesunken, die Zeiten, in denen die Krankenkassen umfassend Rechenschaft verlangten, inzwischen vorbei. Trotzdem wird das Thema in der Hausarztpraxis immer noch skeptisch beäugt: Gründe sind die Angst vor Regressen und die Sorge angesichts unkalkulierbarer Nebenwirkungen. Doch auch ganz praktische Fragen treiben die Ärzte um: Wer kommt für die Therapie überhaupt infrage? Welches Präparat soll ich verordnen? Und wie dosiere ich korrekt?

Dr. Franjo­ Grotenhermen­, niedergelassener Arzt und Geschäftsführer der International Association for Cannabinoid Medicines (IACM)­ rät dazu, sich vor der Therapie zwei grundsätzliche Fragen zu stellen: Kann ich Medizinalcannabis rechtlich gesehen überhaupt verordnen, wird also der § 31 Abs. 6 SGB V erfüllt (s. Kasten)? Liegen triftige medizinische Gründe für die Verordnung vor, ist sie nach § 13 Abs. 1 Betäubungsmittel­gesetz (BtMG) zulässig? Erst wenn beides der Fall ist, sollte man sich über Anträge, die Aufklärung des Patienten und das Therapie­schema Gedanken machen.

Der einzige Spielraum für Reglementierungen seitens der Kassen bietet die Formulierung „schwerwiegende Erkrankung“, sagte PD Dr. Michael­ Überall­, Schmerztherapeut und Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Schmerzmedizin. Alles andere seien Entscheidungen, die der Arzt zu treffen habe.

Aber wie definiert man „schwerwiegend“? Das Bundessozialgericht hat vorgegeben, dass man sich dabei nach dem Grad der Schädigungsfolge, dem Grad der Behinderung und der Minderung der Erwerbsfähigkeit um 50 % und mehr sowie einer Dauer von mindestens sechs Monaten orientieren solle. Für die meisten Patienten mit chronischen Schmerzen seien diese Voraussetzungen recht schnell erfüllt, meinte Dr. Überall. Er rät, für die Bewertung den Deutschen Schmerzfragebogen heranzuziehen.

Die Rechtslage zur Verordnung von medizinischem Cannabis

Die Verordnungsfähigkeit von medizinischem Cannabis ist im § 31 Abs. 6 SGB V geregelt. Die Bedingungen für eine Kostenübernahme durch die gesetzliche Krankenversicherung sind erfüllt, wenn

  • eine schwerwiegende Erkrankung vorliegt,
  • eine dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsoption nicht verfügbar ist oder nicht zur Anwendung kommen kann und
  • die Aussicht auf spürbare positive Einwirkungen auf den Krankheitsverlauf besteht.

Die Bearbeitungsfristen liegen bei den Krankenkassen zwischen drei und fünf Wochen, bei spezialisierter ambulanter Palliativversorgung und ambulanter Weiterverordnung nach stationärer Einstellung sind es drei Tage.

Bei Privatpatienten besteht kein Genehmigungsvorbehalt. Ob die Kosten übernommen werden, bleibt allerdings auch bei der privaten Krankenversicherung eine Einzelfallentscheidung. Für Selbstzahler genügt ein Privatrezept.

Info-Broschüre des BPC – Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V.

Während Dr. Grotenhermen bei ausreichender Vorerfahrung von Arzt und Patient sowohl Cannabisblüten als auch Extrakte einsetzt, rät Dr. Überall vor allem Hausärzten zum Prinzip „Keep it simple“. Und das erfüllen in seinen Augen nur oral eingenommene Fertigarzneimittel: „Ein Extrakt mit einer definierten Zusammensetzung und eine definierte Tropfenanzahl – das ist simpel und für die meisten Patienten gut durchzuführen. Der Einsatz von Blüten ist nicht simpel.“

Nach Inhalation schnellerer, aber kürzerer Effekt

Ganz gleich, ob Blüten oder Tropfen verwendet werden: Das Behandlungsergebnis hängt auch von der Art der Darreichung ab. Als Faustregel gilt, dass die Substanzen bei Inhalation schnell wirken, wobei die Effekte nur kurz anhalten. Die Wirkung oraler Präparate tritt verzögert ein, hält aber länger an. „Man sieht, dass die systemische Wirkverfügbarkeit nach der Inhalation größer ist als nach der oralen Aufnahme. Trotzdem erzielt man mit ähnlichen Dosen ähnliche Effekte“, so der Schmerzmediziner.

Lösung vorsichtig Tropfen für Tropfen aufdosieren

Ärzte sollten sich deshalb an die richtige Dosis herantasten. So beginnt Dr. Grotenhermen bei oraler Einnahme bei 2 x 2 Tropfen in 2,5%iger Lösung und steigert die Dosis mit jedem Tag allmählich über 2 x 3 und 2 x 4 Tropfen. „Manchmal sage ich auch, wir machen nur eine abendliche Dosis, um rauszukriegen, was gut vertragen wird. Also zwei Tropfen, dann drei Tropfen, dann vier Tropfen nach dem Abendessen. Das Gleiche mit der Inhalation: erst 10 mg, dann 20 mg, dann 30 mg.“

Die maximale Wirkung wird nach der Inhalation bereits nach 20 bis 30 Minuten erzielt, bei oraler Einnahme nach zwei bis vier Stunden. Dr. Überall sieht die Zieldosis bei Vollspektrum- und Teilspektrumextrakten bei 15 mg erreicht: „Wenn es darunter nicht funktioniert, muss man sich Gedanken machen über verschiedene Kombinationen.“

Trotz der Vorbehalte und der zurzeit schwachen Evidenz für den Einsatz von Medizinalhanf sollte man sich immer wieder die Chancen und das Ziel der Cannabistherapie vor Augen halten, meinte Dr. Überall abschließend: Nämlich den Patien­ten einerseits weitgehende Schmerzfreiheit zu verschaffen und damit Lebensqualität zurück­zugeben, und andererseits die Verordnung größerer Mengen an Opioiden­ zu ­vermeiden.

Quelle: Fachsymposium Cannabinoide in der Medizin 2023, Veranstalter: BPC Bundesverband pharmazeutischer Cannabinoidunternehmen e.V., ACM Arbeitsgemeinschaft Cannabis als Medizin e.V., Frankfurt a. Main, 28. Oktober 2023

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