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Die Must-haves für Anamnese, Diagnostik und Therapie

Anamnese
Klagt ein Patient über Beschwerden, die zu Long COVID passen könnten, muss natürlich nach einer vorangegangenen Coronainfektion, aber auch nach anderen Infektionen, etwa durch das Epstein-Barr-Virus, sowie zurückliegende Impfungen gefragt werden. Auch die Information, ob Vorerkrankungen bestehen, ist wichtig, sagt Gert Liffers, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin aus Ulm. Schwindel oder Benommenheit nach dem Aufstehen können auf ein posturales Tachykardiesyndrom (POTS) hindeuten, das einige Patienten mit Long COVID entwickeln.
Diagnostisch relevant sind zudem Angaben zu Müdigkeit und Erschöpfung. Wie lange halten diese Symptome an, bessern sie sich durch Schlaf? Liegt eine Belastungsintoleranz im Sinne einer postexertionalen Malaise (PEM) vor? Da viele Long-COVID-Patienten unter Schlafstörungen leiden, sollte man auch das abfragen, ergänzt Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen von der Charité –Universitätsmedizin Berlin.
„Ich persönlich habe den Eindruck, dass es bei Long COVID eine starke genetische Komponente gibt“, so Liffers weiter. Er hakt daher bei seinen Patienten nach, ob ähnliche Beschwerden aus der Verwandtschaft bekannt sind. „Und selbstverständlich frage ich nach dem psychischen Befinden.“ Dies gehöre zur psychosomatischen Grundversorgung und bedeute nicht, dass man die Beschwerden für psychogen hält. Prof. Scheibenbogen empfiehlt den PHQ-4. Mit nur vier Fragen könne man damit die psychische Gesundheit recht gut einschätzen und eine Basis für das weitere Vorgehen erhalten.
Für die Hausarztpraxis ist nach Aussage der Kollegin auch der ME/CFS-Bogen der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) nützlich. Ergebe sich daraus ein Anfangsverdacht auf Long COVID oder ME/CFS, sei es sicherlich sinnvoll, weitere Fragebogen heranzuziehen. Auf der Webseite des Charité Fatigue Centrums (s. Kasten) findet sich eine Sammlung der wichtigsten Diagnosekriterien und Checklisten.
Weiterführende Informationen zum Thema Long COVID
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Charité Fatigue Centrum: cfc.charite.de/fuer_aerzte/
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Deutsche Gesellschaft für ME/CFS e.V.: mecfs.de
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Ärzt:innenverband Long COVID: long-covid-verband.de
Diagnostik
Zur Basisdiagnostik in der Hausarztpraxis bei Verdacht auf Long COVID gehören aus Sicht von Regina Wittmann, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Erbach, das Überprüfen der Vitalparameter, eine körperliche Untersuchung, EKG und LuFu (falls Luftnot besteht) sowie das Messen der Handkraft. Zudem sollte der Patient einen Schellong-Test machen. Das geht auch zu Hause. Anleitungen dafür kann man auf der Praxiswebseite oder als Handreichung in der Praxis zur Verfügung stellen.
Beim Labor sind primär Entzündungsmarker, Blutbild, Leber-, Nieren- und Schilddrüsenwerte zu checken. Auch ein Blick auf die Elektrolyte kann lohnen. Da COVID-19 die Gefäße angreift, gehört die Bestimmung der D-Dimere ebenfalls dazu. Eine Pankreasbeteiligung kann ggf. via Pankreas-Elastase und Lipase überprüft werden, ergänzt Liffers. Und schließlich gilt bei potenziellen Long-COVID-Patienten wie bei allen anderen auch: „Wenn ein Patient mit der Atmung oder mit dem Herz Probleme hat oder neurologisch stark auffällig ist, dann schicke ich ihn weiter zum Facharzt“, so Wittmann.
Therapie
Eine kurative Therapie existiert für Long COVID bislang nicht. Doch es gibt Möglichkeiten, die Beschwerden der Patienten zu lindern. Das ist Aufgabe des Hausarztes, betont Dr. Cornelia Werner, Fachärztin für Allgemeinmedizin in Erbach. Man muss den Patienten klar machen, welche entscheidende Rolle die Schonung spielt, erklärt sie. Wer sich zu schnell zu viel zumutet, riskiert eine Verschlechterung und/oder Chronifizierung. Das gilt insbesondere für Patienten mit PEM. Mit konsequentem Pacing lässt sich eine Verschlechterung am wirkungsvollsten aufhalten, sagt Dr. Werner.
Zu den weiteren Basismaßnahmen, insbesondere beim posturalen Tachykardiesyndrom, gehören erhöhte Trinkmengen und vermehrte Salzaufnahme, Kompressionsstrümpfe und Bauchkompressionsbinden bei Patienten mit Hypotonie, Wadentraining und Kneippkuren. Manche Long-COVID-Patienten profitieren außerdem davon, z.B. Histaminliberatoren wie Kaffee oder Alkohol zu meiden. Auch die Atemtherapie kann Patienten weiterbringen. In Bezug auf die psychische Belastung durch die Erkrankung benötigen die Patienten ebenfalls häufig Unterstützung. Als ICD-Code eignet sich F.54 gut, erklärt die Kollegin. Dieser sage aus, dass man durch eine organische Erkrankung psychische Symptome hat.
Die medikamentöse Therapie erfolgt in den meisten Fällen nach dem Trial-and-Error-Prinzip, da es bislang zu den wenigsten Substanzen adäquate Studien für den Einsatz bei Long COVID gibt. Ein guter Ansatz ist, zunächst nur das den Patienten belastendste Symptom anzugehen und erst nach und nach auf die weiteren Beschwerden zu fokussieren, so Prof. Scheibenbogen.
Bei allen Patienten lohnt es sich, Antihistaminika zu probieren, darin sind sich die Kollegen einig: Am besten eignet sich die Kombination aus einem H1- (z.B. Ketotifen, Rupatadin) und einem H2-Blocker (z.B. Famotidin). Es empfiehlt sich, mit einer niedrigen Dosierung zu starten und dann langsam hochzutitrieren.
Schlafstörungen lassen sich i.d.R. erst mal pragmatisch behandeln, so Prof. Scheibenbogen. „Da ist Melatonin das Mittel der Wahl für uns.“ Der nächste Schritt sei, sehr niedrig dosierte Antidepressiva (z.B. Mirtazapin oder Trimipramin) zu geben.
Statine sind vor allem bei älteren Patienten eine Überlegung wert. Das gilt insbesondere dann, wenn sowieso eine entsprechende Indikation besteht.
Auch das Antibiotikum Minocyclin könnte bei ME/CFS- und Long-COVID-Patienten zu Verbesserungen führen, erklärt Prof. Scheibenbogen. Das gilt vor allem bei neurokognitiven Beschwerden.
Gegen Long-COVID-bedingte Schmerzen helfen NSAR oft nicht. Dr. Werner rät dazu, auf Pregabalin oder Duloxetin auszuweichen.
Klagen Patienten über Übelkeit, sollte man zuallererst abklären, ob diese mit einer orthostatischen Intoleranz einhergeht. Ansonsten gilt es, die Beschwerden mit den gängigen Medikamenten zu behandeln.
Beim posturalen Tachykardiesyndrom kommen laut Dr. Werner Ivabradin oder Betablocker wie Bisoprolol infrage. Es lohne sich allerdings, einen Kardiologen mit ins Boot zu holen. Cave: Möglicherweise werden durch die Gabe Fatigue und Müdigkeit verstärkt.
Bei Hypotonieneigung kann man Pyridostigmin ausprobieren. Prof. Scheibenbogen empfiehlt, die Substanz einzuschleichen. Eine weitere Substanz, die bei Hypotonie versucht werden kann, ist das schnell wirksame Midodrin. Man merkt gleich, ob es hilft oder nicht, sagt Prof. Scheibenbogen.
Für den Hausarzt eher wenig relevant sind aus Frau Dr. Werners Sicht Antikoagulanzien. Zumindest, wenn der Patient keine erhöhten D-Dimere hat, hält sie nichts vom Einsatz von Gerinnungshemmern. Ob vasodilatativ wirkende Substanzen wie Guanylatzyklase-Aktivatoren und Phosphodiesterasehemmer bei Long COVID etwas bewirken können, wird in einer Studie der Charité untersucht werden, verrät Prof. Scheibenbogen. Auch zum Einsatz von Steroiden werde es eine Studie geben.
Wenn alles Genannte ausgereizt ist und die Patienten noch immer stark vor allem unter Brainfog und PEM leiden, kann man Low-Dose-Naltrexon oder -Aripiprazol probieren. In der Minimalstdosierung, die bei Long-COVID-Patienten eingesetzt wird, sind diese Substanzen i.d.R. gut verträglich, so Dr. Werner.
Die Immunadsorption und andere Verfahren, die zumindest bislang nur im Rahmen individueller Heilversuche probiert werden, spielen in der Versorgung durch den Hausarzt vorerst eher keine Rolle, meint Dr. Werner. Denn bislang stehen solche Methoden nur einem kleinen Teil der Patienten zur Verfügung.
Quelle: Medical-Tribune-Bericht*
* Dieser Bericht basiert auf Folge 7 von „O-Ton Allgemeinmedizin“, Staffel 1: „Über kurz oder lang“, ein Podcast der Medical Tribune.
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