Durcheinander wegen Patientenverfügung: 75-Jährige wurde wohl zu Recht reanimiert

Dr. Elisabeth Nolde

Im Falle einer nicht gewollten Reanimation empfiehlt es sich, Kopien des letzten Willens bei sich zu führen. Im Falle einer nicht gewollten Reanimation empfiehlt es sich, Kopien des letzten Willens bei sich zu führen. © fotolia/WavebreakMediaMicro

Für den Fall der Fälle schien alles gut vorbereitet: Eine Patientenverfügung und weitere Vollmachten sollten sicherstellen, dass bei der 75-Jährigen lebensverlängernde Maßnahmen unterbleiben. Doch in der Notfallsituation wurden die Schriften weder beachtet noch hätten sie irgendeine Konsequenz gehabt.

Fallgeschichte: Die 75 Jahre alte Frau, langjährige Raucherin, wurde wegen einer akuten Exazerbation einer COPD in ein kommunales Krankenhaus (A) eingewiesen. Sie hatte eine Patientenfügung und ihr Sohn zudem Vollmachten; diese Papiere wurden dem Klinikpersonal übergeben. Am darauf folgenden Tag musste die Frau aufgrund der Schwere ihrer Erkrankung in die Fachabteilung eines anderen Krankenhauses (B) verlegt werden.

In der Notaufnahme war für Papierkam keine Zeit

Weitere acht Tage später war geplant, die 75-Jährige in einem heimat­nahen Seniorenheim aufzunehmen. Doch der Allgemeinzustand verschlechterte sich derart, dass die Heimleitung des neuen Domizils und die begleitenden Sanitäter eine weitere stationäre Versorgung für erforderlich hielten. Daraufhin erfolgte erneut die Aufnahme in dem nahegelegenen Krankenhaus (A). Dort erlitt die Frau in der Notaufnahme einen Kreislaufstillstand, wurde reanimiert und auf die Intensivstation verlegt – wo sie einige Tage später verstarb.

Vorwurf: Der Sohn der Patientin beschuldigt die Ärzte, dass die Re-animation gegen den Willen seiner Mutter erfolgt sei, heißt es in der Rubrik „Aus der Gutachter- und Schlichtungsstelle“ des Hessischen Ärzteblatts.

Entgegnung: Den behandelnden Ärzten zufolge war die Frau bei der Ankunft im Krankenhaus respiratorisch insuffizient; Apnoe und Asystolie wurden festgestellt. Aufgrund der akuten Notsituation sei keine Zeit gewesen, nach einer Patientenverfügung zu fragen. Die klinische Situation entsprach einer plötzlichen Verschlimmerung einer COPD und nicht einem unumkehrbaren Sterbeprozess.

Gutachterliche Stellungnahme: Gemäß der zwei Jahre zuvor unterzeichneten Patientenverfügung sollte bei langem und absehbarem Sterben auf lebensverlängernde Maßnahmen verzichtet werden (u.a. bei unabwendbarem unmittelbarem Sterbeprozess, im Endstadium einer unheilbaren, tödlich verlaufenden Krankheit). In der Notfallsituation (Asystolie und Atemstillstand) im Aufnahmebereich war es sicher nicht möglich, die ggf. bereits in einem archivierten Krankenblatt abgeheftete Patientenverfügung zu lesen, schreibt der medizinische Sachverständige.

Bekannte Erkrankung in Verfügung nicht aufgelistet

Zudem weist er darauf hin, dass die bekannte chronische obstruktive Lungenerkrankung und deren akute Exazerbation nicht eigens in der Patientenverfügung aufgelistet waren. Angesichts dieser Tatsache und vor dem Hintergrund statistischer Abschätzungen – die Frau hatte noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von über zehn Jahren – hätte sich der Aufnahmearzt ohne Reanimationsmaßnahmen der unterlassenen Hilfeleistung schuldig gemacht.

Juristische Stellungnahme: In Anbetracht der akuten lebensgefährlichen Zustandsverschlechterung bei der gesundheitlich sehr angeschlagenen Patientin war der Arzt verpflichtet, die gebotenen ärztlichen Maßnahmen zu ergreifen (auch wenn die Patientin sich nicht dazu äußern kann, ob sie ärztliche Hilfe wünscht). Andernfalls kann sich der Arzt wegen unterlassener ärztlicher Hilfeleistung strafbar machen (§ 323 a StGB). Der Arzt hatte unverzüglich Leben zu retten und durfte nicht wertvolle Zeit durch Aktenstudium vergehen lassen. Außerdem: Die akute, lebensgefährliche Gesundheitsverschlechterung fiel nicht unter die in der Patientenverfügung der 75-Jährigen genannten Situationen, die auf ein langes und absehbares Sterben fokussierten.

Willenserklärung am besten griffbereit mit sich führen

Klargestellt wird zudem, dass die Entscheidungskompetenz generell von einem Patienten auf einen Bevollmächtigten übertragen werden kann. Doch in diesem Fall standen die schriftlichen Dokumente des Sohnes (offenbar laienhaft aus dem Internet zusammengestellt) einer Reanimation nicht entgegen. So bezog sich die „Gesundheitsvollmacht“ nur auf formale Rechte, z.B. Akteneinsicht und Schweigepflichtentbindung. Und die „Generalvollmacht“ erwies sich als reine rechtsgeschäftliche Vollmacht ohne Bezug auf Entscheidungskompetenz in gesundheitlichen Angelegenheiten, schreibt der juristische Sachverständige.

Schlusskommentar: In diesem Fall hätte die Situation entschärft werden können, wenn die Kopien der Patientenverfügung griffbereit gewesen wären. Um Missverständnisse bei der ärztlichen Behandlung zu verhindern, könnte man Kopien des „letzten Willens“, z.B. in Analogie zum Organspendeausweis, mit sich führen. Wenn Wiederbelebungsmaßnahmen oder eine intensivmedizinische Behandlung abgelehnt werden, gibt es in anglo-amerikanischen Ländern einen Vermerk auf der Krankenakte: DNR – gewissermaßen als Eyecatcher für „Do Not Resuscitate“ („Nicht re­animieren!“).

Hessisches Ärzteblatt 2017; 2: 118-119

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Im Falle einer nicht gewollten Reanimation empfiehlt es sich, Kopien des letzten Willens bei sich zu führen. Im Falle einer nicht gewollten Reanimation empfiehlt es sich, Kopien des letzten Willens bei sich zu führen. © fotolia/WavebreakMediaMicro