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Eingreifen, bevor der Chirurg es tut
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Muskarinantagonisten wie Tiotropium haben sich in der Behandlung obstruktiver Atemwegserkrankungen bewährt. Die Daten zum perioperativen Einsatz sind zwar noch begrenzt, heißt es in einem Konsensuspapier der SPAQI*. Aber zumindest zwei Studien zu Tiotropium allein oder in Kombination mit Formoterol bzw. Budesonid kommen zu dem Ergebnis, dass die präoperative Anwendung des Anticholinergikums das Risiko für pulmonale Komplikationen senkt. Deshalb empfiehlt die Expertengruppe um Professor Dr. Kurt Pfeifer vom Medical College of Wisconsin in Milwaukee, eine entsprechende Medikation auch am Tag des Eingriffs beizubehalten.
Grünes Licht geben die Autoren auch für kurz- und langwirksame Betamimetika. Denn bisher gibt es keine Hinweise auf ein perioperatives Schadenspotenzial, und in einer Studie zur Ösophagektomie senkte das Inhalieren von Salmeterol unmittelbar vor der Operation das Pneumonierisiko.
Generell ist der Einsatz von Theophyllin aufgrund negativer Begleiteffekte bereits deutlich zurückgegangen. Am Tag der Operation sollte die Einnahme aber auf jeden Fall ausgesetzt werden. Als Gründe nennen die Autoren die geringe therapeutische Breite des Wirkstoffs, potenzielle Medikamenteninteraktionen und kardiale Nebenwirkungen.
Inhalative Steroide nutzen mehr, als dass sie schaden
Bei Patienten mit chronisch-obstruktiver Lungenerkrankung kann Roflumilast die Lungenfunktion bessern und die Exazerbationsrate senken. Gründe für eine Therapieunterbrechung gibt es keine, der Phosphodiesterase-4-Hemmer darf am OP-Tag genommen werden.
Auch die Therapie mit inhalativen Glukokortikoiden sollte uneingeschränkt weiterlaufen. Diese Wirkstoffe gehören schließlich zu den Grundpfeilern der Therapie obstruktiver Lungenerkrankungen und lösen allenfalls in sehr hohen Dosen systemische Effekte aus, schreiben Prof. Pfeifer und Kollegen. Perioperative Risiken wurden bisher nicht gefunden, wohl aber Hinweise auf einen Nutzen in dieser Situation. Auch Kombinationstherapien von inhalierten Steroiden, Betamimetika und Anticholinergika dürfen ohne Pause fortgeführt werden. Gleichfalls keine Einschränkungen gibt es für Leukotrienantagonisten und das Sekretolytikum N-Acetylcystein.
Bei den H1-Rezeptorantagonisten werden zwei Gruppen unterschieden: Die Antihistaminika der ersten Generation wirken sedierend und anticholinerg. Substanzen der zweiten Generation zeigen diese Effekte nicht und können mit Ausnahme von Cetirizin die Blut-Hirn-Schranke nicht passieren. Die Expertengruppe plädiert dafür, H1-Rezeptorantagonisten der ersten Generation sowie Cetirizin am Tag des Eingriffs wegzulassen, um einem postoperativen Delir und anticholinergen Begleiteffekten vorzubeugen. Die Einnahme der übrigen Zweitgenerationspräparate hingegen darf fortgesetzt werden.
Dekongestiv wirkende Sympathomimetika wie Phenylephrin und Pseudoephedrin sind z.B. als Nasentropfen frei verkäuflich. Sie werden von vielen Patienten irrtümlich als harmlos eingestuft, können aber kardiovaskuläre Nebenwirkungen zeigen, insbesondere einen Blutdruckanstieg. Am Tag der Operation ist deshalb Verzicht geboten.
Ein besonderes hohes perioperatives Risiko tragen Patienten mit pulmonaler Hypertension. Die Anwendung von Prostazyklinanaloga sollte bei ihnen am Tag der Operation fortgesetzt werden. Denn die Unterbrechung der Therapie kann ein potenziell tödliches Rechtsherzversagen auslösen.
Das Risiko für eine kardiale Dekompensation ist unter dem selektiven Prostazyklin-Rezeptoragonisten Selexipag zwar etwas geringer. Dennoch ist auch bei diesem Arzneistoff die kontinuierliche Therapie indiziert, auch am Tag des Eingriffs. Gleiches gilt für Endothelin-Rezeptorantagonisten wie Macitentan, Bosentan oder Ambrisentan sowie die PDE-5-Inhibitoren Sildenafil und Tadalafil.
Zur Behandlung der thromboembolisch bedingten pulmonalen Hypertension eignet sich Riociguat, ein Stimulator der löslichen Guanylatzyklase. Grundsätzlich sollte die Einnahme trotz Operation weiterlaufen. Bei Eingriffen mit hohem Hämorrhagierisiko raten die Autoren des Konsensuspapiers aber, das Aussetzen zu erwägen.
Zur Behandlung von Patienten mit idiopathischer pulmonaler Fibrose werden Pirfenidon und Nintedanib eingesetzt. Beide können hepatotoxisch wirken. Pirfenidon wird über CYP1A2 metabolisiert, was zur Interaktion mit Fluconazol, Ciprofloxacin und Paroxetin führen kann. Der Einsatz des Tyrosinkinasehemmers Nintedanib ist mit einem erhöhten Risiko für arterielle Thromboembolien und Blutungen verbunden.
Therapie mit Pirfenidon und Nintedanib nicht unterbrechen
Die antifibrotische Wirkung der beiden Pharmaka hat zu Befürchtungen Anlass gegeben, sie könnten die Wundheilung beeinträchtigen. Entsprechende Hinweise aus einer einzelnen Studie ließen sich in anderen Arbeiten jedoch nicht bestätigen. Zudem zeigte sich, dass beide Wirkstoffe Exazerbationen einer ideopathischen Lungenfibrose verhindern. Deshalb raten die Kollegen, die Therapie am Operationstag fortzuführen.
* Society for Perioperative Assessment and Quality Improvement
Quelle: Pfeifer KJ et al. Mayo Clin Proc 2021; DOI: 10.1016/j.mayocp.2021.08.008
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