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Feststellen statt ruhigstellen

Um eine Insomnie zu diagnostizieren, reicht oft schon die Anamnese. Abzufragen sind Häufigkeit und Dauer von Ein- und Durchschlafstörungen sowie die daraus hervorgehenden Defizite am Tag (s. Kasten). Wertvolle Hinweise liefern auch die Aussagen von Mitbewohnern oder Pflegern, z.B. zu Bewegungen im Schlaf oder Schnarchen. Im Rahmen neurologischer Erkrankungen helfen spezielle Fragebögen wie der PDSS-2 (Parkinson’s Disease Sleep Scale) weiter. Um somatischen Ursachen auf den Grund zu gehen, dürfen Begleitbeschwerden wie Luftnot, Herzrasen oder Schmerzen nicht außer Acht gelassen werden, betont Dr. Moritz Brandt von der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.
Kennzeichen der Insomnie
- Der Patient hat Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen.
- Sein Schlaf ist an mindestens drei Nächten in der Woche gestört.
- Das Problem liegt seit mindestens vier Wochen vor.
- Der Patient fühlt sich tagsüber beeinträchtigt.
- Tagesschläfrigkeit
- Konzentrationsprobleme
- Vergesslichkeit
- Verminderte (berufliche) Leistungsfähigkeit
- leichte Reizbarkeit
- Affektlabilität
Restless-Legs-Syndrom
Unter dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) leiden 8–10 % der Allgemeinbevölkerung, vor allem Frauen ab dem 65. Lebensjahr (10–15 %). Es handelt sich um eine chronisch fortschreitende Erkrankung, die sich nur symptomatisch behandeln lässt. Als Diagnosekriterien müssen erfüllt sein:- Der Patient berichtet über unangenehme Missempfindungen in den Beinen und ggf. auch Armen mit Bewegungsdrang.
- Bewegung bessert die Symptome deutlich.
- Die Beschwerden treten in Ruhe, am Abend und in der Nacht auf.
- Andere Erkrankungen als Ursache sind ausgeschlossen.
Schlaganfall
Zwei von drei Schlaganfallpatienten leiden bereits vor dem Insult an einer Insomnie. Dass diese tatsächlich ein Risikofaktor für das zerebrovaskuläre Ereignis ist, konnte aber bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden. Bei jedem Dritten tritt die Insomnie erst nach dem Schlaganfall auf und ist dann häufig mit Angst und Depressionen assoziiert, die wiederum den Schlaf stören. Die Post-Schlaganfall-Insomnie kann chronifizieren und Genesung und Rehabilitation negativ beeinflussen. Spezifische Therapieansätze für schlafgestörte Schlaganfallpatienten fehlen. Die Behandlung erfolgt gemäß der generellen Leitlinie zur Insomnie bevorzugt mit kognitiver Verhaltenstherapie. Bei gleichzeitig bestehender Depression empfiehlt sich der Einsatz eines schlafanstoßenden Antidepressivums.Multiple Sklerose
Auch MS-Patienten werden sehr häufig von Insomnie geplagt. Eine Durchschlafstörung mit morgendlichem Früherwachen kann auf eine Depression hindeuten. In vielen Fällen liegt ein RLS vor oder es kommt zu Symptomen, die ein RLS imitieren. Als Beispiele nennt der Neurologe nächtliche Dysästhesien und Spasmen. Letztere können wiederum durch periodische Beinbewegungen im Schlaf ausgelöst werden. Als weiterer Störer der Nachtruhe gilt die Nykturie. Es gibt Hinweise darauf, dass beeinträchtigter Schlaf das Risiko für die Entwicklung einer MS und die Schwere einer bereits bestehenden Erkrankung erhöhen könnte. Die Therapie zielt vor allem auf die insomnieauslösenden Faktoren RLS (s.o.), Dysästhesien, Spastik und Depressionen. Bei schmerzhaften Sensibilitätsstörungen kann Pregabalin oder Gabapentin verordnet werden. Beide Substanzen haben auch positive Effekte beim RLS. Sedierend wirkende Spasmolytika (Baclofen, Sirdalud) sollte der Patient abends einnehmen. Viele Antidepressiva haben den Nachteil, dass sie das RLS verstärken können. Liegt keine der genannten Beschwerden vor, bleibt als Behandlungsoption die kognitive Verhaltenstherapie.Morbus Parkinson
Ein Großteil der Parkinsonpatienten leidet unter Ein- und Durchschlafstörungen. Sie machen sich zum Teil schon Jahre vor dem Auftreten der extrapyramidal-motorischen Bewegungsstörung bemerkbar und nehmen im Verlauf zu. Dies lässt vermuten, dass sie u.a. auf neurodegenerative Prozesse zurückzuführen sind. Nicht-motorische Parkinsonsymptome wie nächtliche Hypokinesien, die das Drehen im Bett erschweren und zum Aufwachen führen, Halluzinationen, Depressionen, Schmerzen und Nykturie tragen ebenfalls zur Insomnie bei. Dazu kommt, dass der Parkinson häufig mit schlafbezogenen Atemstörungen, dem RLS und REM-Schlaf-Verhaltensstörungen assoziiert ist. Letztere entstehen ebenfalls meist schon in der Prodromalphase der Erkrankung. Therapeutisch stehen die motorischen Symptome im Vordergrund. Lindert man sie mit lang wirksamen Dopaminagonisten oder tiefer Hirnstimulation, bessert sich die Schlafqualität deutlich. Bei Verdacht auf Schlafapnoe, RLS oder REM-Schlaf-Verhaltensstörung sollte eine Poly(somno)graphie erfolgen. Für Patienten mit Atemaussetzern empfiehlt sich die CPAP-Beatmung.Alzheimerdemenz
Viele Demenzkranke schlafen schlecht ein, wachen nachts immer wieder auf und liegen längere Zeit wach. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung gerät der Schlaf-Wach-Rhythmus zunehmend aus den Fugen, bis es schließlich zur Tag-Nacht-Umkehr kommt. Als wahrscheinlicher Auslöser gilt der Nervenzellverlust in den schlafregulatorischen Hirnbereichen. Nicht selten liegt zusätzlich eine schlafbezogene Atmungsstörung vor. Verhaltenstherapeutische Ansätze und Schlafhygiene sind bei Alzheimerkranken meist nicht umsetzbar. Bewährt haben sich die Behandlung mit Trazodon sowie nicht-pharmakologische Ansätze. Die Gabe von Benzodiazepinen und Neuroleptika sieht Dr. Brandt aufgrund des stark erhöhten Sturzrisikos bei oft geringem Nutzen kritisch. Obwohl die Wirksamkeit von Melatonin in Studien bisher nicht überzeugt hat, kann sich ein Therapieversuch mit dem gut verträglichen Mittel lohnen. Der größte Erfolg ist von einer festen Tagesstruktur zu erwarten. Das heißt: viel Licht und Aktivität, aber kein Schlaf am Tag sowie wenig Licht am Abend.* International RLS Study Group
Quelle: Brandt MD. Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89: 314-328; DOI: 10.1055/a-1309-0793
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