Feststellen statt ruhigstellen

Dr. Anna-Lena Krause

Häufig liegt der Insomnie mangelnde Schlafhygiene zugrunde. Diese lässt sich mit psychoedukativen Maßnahmen verbessern. Häufig liegt der Insomnie mangelnde Schlafhygiene zugrunde. Diese lässt sich mit psychoedukativen Maßnahmen verbessern. © iStock/PonyWang

Zwischen Insomnie und neurologischen Grund­erkrankungen besteht oft ein kausaler Zusammenhang. Folglich besteht die Möglichkeit, Schlafstörungen ursächlich zu behandeln – ganz ohne Sedativa.

Um eine Insomnie zu diagnostizieren, reicht oft schon die Anamnese. Abzufragen sind Häufigkeit und Dauer von Ein- und Durchschlafstörungen sowie die daraus hervorgehenden Defizite am Tag (s. Kasten). Wertvolle Hinweise liefern auch die Aussagen von Mitbewohnern oder Pflegern, z.B. zu Bewegungen im Schlaf oder Schnarchen. Im Rahmen neurologischer Erkrankungen helfen spezielle Fragebögen wie der PDSS-2 (Parkinson’s Disease Sleep Scale) weiter. Um somatischen Ursachen auf den Grund zu gehen, dürfen Begleitbeschwerden wie Luftnot, Herzrasen oder Schmerzen nicht außer Acht gelassen werden, betont Dr. Moritz Brandt von der Klinik und Poliklinik für Neurologie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden.

Kennzeichen der Insomnie

  • Der Patient hat Schwierigkeiten, ein- oder durchzuschlafen.
  • Sein Schlaf ist an mindestens drei Nächten in der Woche gestört.
  • Das Problem liegt seit mindestens vier Wochen vor.
  • Der Patient fühlt sich tagsüber beeinträchtigt.

Bei stark kognitiv eingeschränkten Patienten ist die Anamnese vielleicht nicht das zuverlässigste Diagnose­instrument. In diesem Fall kann eine Aktigraphie (Messgerät am Handgelenk) über sieben bis zehn Tage erwogen werden. Die Polysomnographie, die eine bis zwei Nächte im Schlaflabor durchgeführt wird, bildet das Schlafverhalten weniger repräsentativ ab. Dafür liefert sie zusätzlich Daten zu Herz-, Atem- und Muskelaktivität. Diese Untersuchung sollte vor allem dann erfolgen, wenn eine schlafbezogene somatische Störung als Ursache der Insomnie vermutet wird. Eine Therapieindikation besteht insbesondere bei schlafmangel­bedingten Beschwerden tagsüber. Zu diesen zählen u.a.:
  • Tagesschläfrigkeit
  • Konzentrationsprobleme
  • Vergesslichkeit
  • Verminderte (berufliche) Leistungsfähigkeit
  • leichte Reizbarkeit
  • Affektlabilität
Häufig liegt der Insomnie mangelnde Schlafhygiene zugrunde. Diese lässt sich mit psychoedukativen Maßnahmen verbessern. In vielen Fällen können Medikamente oder andere Substanzen als Auslöser identifiziert werden. Alkoholkonsum z.B. erleichtert zwar das Einschlafen, geht aber mit Durchschlafstörungen einher. Sind diese Faktoren als Ursache auszuschließen, beginnt die Suche nach Erkrankungen, welche die Insomnie bedingen oder verstärken. Lässt sich keine relevante (Ko-)Morbidität identifizieren, gilt die kognitive Verhaltenstherapie als Maßnahme der ersten Wahl. Erst wenn sie die Beschwerden nicht bessern kann, kommen Z-Substanzen oder sedierende Antidepressiva infrage. Die Einnahme dieser Medikamente erfolgt grundsätzlich nur zeitlich begrenzt. In vielen Fällen wird der Arzt jedoch auf Grunderkrankungen stoßen, die mit Insomnie einhergehen und Ansatzpunkte für eine gezielte Therapie bieten – unter anderem im neurologischen Bereich.

Restless-Legs-Syndrom

Unter dem Restless-Legs-Syndrom (RLS) leiden 8–10 % der Allgemeinbevölkerung, vor allem Frauen ab dem 65. Lebensjahr (10–15 %). Es handelt sich um eine chronisch fortschreitende Erkrankung, die sich nur symptomatisch behandeln lässt. Als Diagnosekriterien müssen erfüllt sein:
  • Der Patient berichtet über unangenehme Missempfindungen in den Beinen und ggf. auch Armen mit Bewegungsdrang.
  • Bewegung bessert die Symptome deutlich.
  • Die Beschwerden treten in Ruhe, am Abend und in der Nacht auf.
  • Andere Erkrankungen als Ursache sind ausgeschlossen.
Als wichtiges supportives Kennzeichen gilt das Ansprechen auf dop­aminerge Medikamente. Antidepressiva wie SSRI, SNRI, Mirtazapin, Amitriptylin sowie Neuroleptika können das RLS auslösen oder die Symptome verstärken. Auch Urämie, Polyneuro-, Myelo- und Radikulopathie gelten als potenzielle Ursachen eines sekundären RLS. Eine Untersuchung des betroffenen Patienten im Schlaflabor ist in der Regel nicht nötig. Als Beurteilungsbogen eignet sich die IRLS* Rating Scale. Zur Therapie des RLS sind Levo­dopa/Benserazid sowie bei (mittel-)schwerer Ausprägung die Dopamin­agonisten Praxipexol, Ropinirol und Rotigotin zugelassen. Diese Substanzen können allerdings zur Augmentation führen, d.h. die Symptome treten dann früher am Tag und in anderen Körperpartien auf. Deshalb sollten sie möglichst gering dosiert werden. Ein niedriger Ferritinspiegel (< 50 µg/l) kann das Phänomen begünstigen. Der Wert sollte daher regelmäßig kontrolliert werden. Als Präparat der zweiten Wahl kommt Oxycodon/Naloxon infrage.

Schlaganfall

Zwei von drei Schlaganfallpatienten leiden bereits vor dem Insult an einer Insomnie. Dass diese tatsächlich ein Risikofaktor für das zerebrovaskuläre Ereignis ist, konnte aber bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden. Bei jedem Dritten tritt die Insomnie erst nach dem Schlaganfall auf und ist dann häufig mit Angst und Depressionen assoziiert, die wiederum den Schlaf stören. Die Post-Schlaganfall-Insomnie kann chronifizieren und Genesung und Rehabilitation negativ beeinflussen. Spezifische Therapieansätze für schlafgestörte Schlaganfallpatienten fehlen. Die Behandlung erfolgt gemäß der generellen Leitlinie zur Insomnie bevorzugt mit kognitiver Verhaltenstherapie. Bei gleichzeitig bestehender Depression empfiehlt sich der Einsatz eines schlafanstoßenden Antidepressivums.

Multiple Sklerose

Auch MS-Patienten werden sehr häufig von Insomnie geplagt. Eine Durchschlafstörung mit morgendlichem Früherwachen kann auf eine Depression hindeuten. In vielen Fällen liegt ein RLS vor oder es kommt zu Symptomen, die ein RLS imitieren. Als Beispiele nennt der Neurologe nächtliche Dys­ästhesien und Spasmen. Letztere können wiederum durch periodische Beinbewegungen im Schlaf ausgelöst werden. Als weiterer Störer der Nachtruhe gilt die Nykturie. Es gibt Hinweise darauf, dass beeinträchtigter Schlaf das Risiko für die Entwicklung einer MS und die Schwere einer bereits bestehenden Erkrankung erhöhen könnte. Die Therapie zielt vor allem auf die insomnieauslösenden Faktoren RLS (s.o.), Dysästhesien, Spastik und Depressionen. Bei schmerzhaften Sensibilitätsstörungen kann Prega­balin oder Gabapentin verordnet werden. Beide Substanzen haben auch positive Effekte beim RLS. Sedierend wirkende Spasmolytika (Baclofen, Sirdalud) sollte der Patient abends einnehmen. Viele Antidepressiva haben den Nachteil, dass sie das RLS verstärken können. Liegt keine der genannten Beschwerden vor, bleibt als Behandlungsoption die kognitive Verhaltenstherapie.

Morbus Parkinson

Ein Großteil der Parkinsonpatienten leidet unter Ein- und Durchschlafstörungen. Sie machen sich zum Teil schon Jahre vor dem Auftreten der extrapyramidal-motorischen Bewegungsstörung bemerkbar und nehmen im Verlauf zu. Dies lässt vermuten, dass sie u.a. auf neurodegenerative Prozesse zurückzuführen sind. Nicht-motorische Parkinsonsymptome wie nächtliche Hypokinesien, die das Drehen im Bett erschweren und zum Aufwachen führen, Halluzinationen, Depressionen, Schmerzen und Nykturie tragen ebenfalls zur Insomnie bei. Dazu kommt, dass der Parkinson häufig mit schlafbezogenen Atemstörungen, dem RLS und REM-Schlaf-Verhaltensstörungen assoziiert ist. Letztere entstehen ebenfalls meist schon in der Prodromalphase der Erkrankung. Therapeutisch stehen die motorischen Symptome im Vordergrund. Lindert man sie mit lang wirksamen Dopaminagonisten oder tiefer Hirnstimulation, bessert sich die Schlafqualität deutlich. Bei Verdacht auf Schlafapnoe, RLS oder REM-Schlaf-Verhaltensstörung sollte eine Poly(somno)graphie erfolgen. Für Patienten mit Atemaussetzern empfiehlt sich die CPAP-Beatmung.

Alzheimerdemenz

Viele Demenzkranke schlafen schlecht ein, wachen nachts immer wieder auf und liegen längere Zeit wach. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung gerät der Schlaf-Wach-Rhythmus zunehmend aus den Fugen, bis es schließlich zur Tag-Nacht-Umkehr kommt. Als wahrscheinlicher Auslöser gilt der Nervenzellverlust in den schlafregulatorischen Hirnbereichen. Nicht selten liegt zusätzlich eine schlafbezogene Atmungsstörung vor. Verhaltenstherapeutische Ansätze und Schlafhygiene sind bei Alzheimerkranken meist nicht umsetzbar. Bewährt haben sich die Behandlung mit Trazodon sowie nicht-pharmakologische Ansätze. Die Gabe von Benzodiazepinen und Neuroleptika sieht Dr. Brandt aufgrund des stark erhöhten Sturzrisikos bei oft geringem Nutzen kritisch. Obwohl die Wirksamkeit von Melatonin in Studien bisher nicht überzeugt hat, kann sich ein Therapieversuch mit dem gut verträglichen Mittel lohnen. Der größte Erfolg ist von einer festen Tagesstruktur zu erwarten. Das heißt: viel Licht und Aktivität, aber kein Schlaf am Tag sowie wenig Licht am Abend.

* International RLS Study Group

Quelle: Brandt MD. Fortschr Neurol Psychiatr 2021; 89: 314-328; DOI: 10.1055/a-1309-0793

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Häufig liegt der Insomnie mangelnde Schlafhygiene zugrunde. Diese lässt sich mit psychoedukativen Maßnahmen verbessern. Häufig liegt der Insomnie mangelnde Schlafhygiene zugrunde. Diese lässt sich mit psychoedukativen Maßnahmen verbessern. © iStock/PonyWang