Generation Schlankheitswahn - Essgestörte werden immer jünger

Dr. Alexandra Bischoff

Ess-Brech-Sucht tritt doppelt so häufig auf wie Magersucht. Ess-Brech-Sucht tritt doppelt so häufig auf wie Magersucht. © fotolia/VadimGuzhva

Zu Großmutters Zeiten gab es weder Magersucht noch Bulimie. Diese Probleme unserer heutigen Wohlstandsgesellschaft zeigen eine steigende Inzidenz. Was mit einer harmlosen Diät in der Pubertät beginnt, entwickelt sich schnell zu einer Essstörung.

Essstörungen sind Krankheitsbilder moderner Industriegesellschaften des 21. Jahrhunderts. Aber wie kommt es überhaupt zu Anorexie oder Bulimie? Verschiedene Faktoren wie Nahrungsüberfluss, Bewegungsmangel, Leis­tungsdruck und Perfektionismus begünstigen die Entstehung genauso wie Probleme in der Familie, Traumata und eigene Unsicherheiten wie ein mangelndes Selbstwertgefühl.

Jugendliche auf Diät dreifach gefährdet

Bei der Anorexia nervosa spielen zudem genetische Faktoren eine Rolle, die Konkordanzrate eineiiger Zwillinge liegt bei 50 %. Meist lösen Stress, Mobbing oder negative Bemerkungen über die eigene Figur ein verändertes Essverhalten aus. Diäten in der Pubertät gelten als äußerst gefährlich, da sie das Risiko einer späteren Essstörung um das Dreifache erhöhen.

Anorexia nervosa

Ein normaler BMI zwischen 18,5 bis < 25 kg/m2 ist gesund und mit der höchs­ten Lebenserwartung assoziiert, sagte Professor Dr. Ulrich Voderholzer,­ Ärztlicher Direktor der Schön Klinik Roseneck für Psychosomatik in Prien am Chiemsee. Bereits mäßiges Untergewicht korreliert mit einer geringeren Lebenserwartung. Eine Anorexie tritt überwiegend bei jungen Frauen auf, eine von 200 besitzt dabei massives Untergewicht. Nur selten leiden Männer unter der Erkrankung, das Geschlechterverhältnis beträgt 10:1. Zwar liegt das Ersterkrankungsalter durchschnittlich bei 15 bis 19 Jahren, jedoch hat die Inzidenz insbesondere bei 12- bis 15-Jährigen in den letzten 15 Jahren stark zugenommen – mehr als bei anderen psychischen Erkrankungen. Die Mortalität beträgt etwa 10–15 %. Damit besitzt die Magersucht unter den psychiatrischen Erkrankung noch immer die höchste Sterberate!

Durch restriktives Essverhalten oder andere Maßnahmen zur Gewichtsreduktion, z.B. Erbrechen, Abführmittel, exzessives Sportverhalten, kommt es zu einem signifikanten Gewichtsverlust mit teilweise unterschiedlich stark ausgeprägter Körperschemastörung wie der Angst, zu dick zu werden. Häufig leiden die Betroffenen zudem an Komorbiditäten, bei 70 % tritt eine Depression auf, bei 10 % eine Zwangsstörung.

Zu den typischen somatischen Folgen zählen Organschäden bis hin zu Leberversagen, Osteoporose, Haarausfall und Zahnschäden. Zudem verzögern hormonelle Funktionsstörungen die pubertäre Entwicklung.

Bulimia nervosa

Die Bulimie kommt zwar häufiger vor als die Magersucht (1 % versus 0,4 %), weist aber mit 1,6 % eine viel geringere Mortalitätsrate auf. Bei den Betroffenen handelt es sich meist um junge Frauen im Alter von 20–24 Jahren, nur etwa 1/20 der Patienten sind männlich. Erkrankte beschäftigen sich exzessiv mit dem Essen bis hin zu Essanfällen.

Danach erbrechen sie den Mageninhalt wieder oder nehmen Abführmittel ein. Typischerweise finden diese Essattacken mit Erbrechen meist abends statt und dauern oft mehrere Stunden. Neben der krankhaften Furcht, dick zu werden, ist der Hass auf den eigenen Körper das zentrale Thema dieser Erkrankung. Nicht selten findet man in der Vorgeschichte der Patienten eine Anorexie.

Kranken und Angehörigen die Patientenleitlinie ans Herz legen

Dr. Vorderholzer empfiehlt Kollegen, sich bei der Diagnose und Therapie an die S3-Leitlinie zu halten sowie Betroffenen und Angehörigen die Patientenleitlinie im Internet ans Herz zu legen. Die Primärbehandlung erfolgt bei der Anorexie in Form einer multimodalen Psychotherapie, einzelne Verfahren haben keine Überlegenheit bewiesen. Bei der Bulimie sollte eine kognitive Verhaltenstherapie erfolgen.

Diese Aspekte gehören zur Behandlung beider Erkrankungen:

  • normales Essverhalten erlernen (Mahlzeitenstruktur)
  • Essen ist Notwendigkeit und Genuss und keine Regulationsstrategie von Emotionen
  • intensive Arbeit mit Gefühlen (Expositionsverfahren, Körperbildtherapie, Fertigkeitentraining)
  • zweigleisiges Vorgehen: symptom- und ursachenorientiert

Fixe Vorgaben zur Gewichtsregulation führen anfangs zu einer besseren Gewichtszunahme als individuelle. Später muss man jedoch teilweise individuell adaptieren (bei exzessivem Kalorienbedarf bis zu 5000 Kalorien pro Tag). Reicht eine Verhaltenstherapie alleine nicht aus, kann Fluoxetin die Rückfallquote von Bulimie senken. Bei der Anorexie existiert bis dato kein Medikament, das evidenzbasierte positive Resultate aufweist.

Quelle: 18. Interdisziplinärer Kongress für Sucht­medizin

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Ess-Brech-Sucht tritt doppelt so häufig auf wie Magersucht. Ess-Brech-Sucht tritt doppelt so häufig auf wie Magersucht. © fotolia/VadimGuzhva