Gesundheitsökonomie: Was ist uns Gesundheit wert?

Symposium Vision-Zero Günter Löffelmann

Professor Dr. Michael Schlander, Leiter der Gesundheitsökonomie am DKFZ Heidelberg, im Interview zu gesundheitsökonomischen Fragen. Professor Dr. Michael Schlander, Leiter der Gesundheitsökonomie am DKFZ Heidelberg, im Interview zu gesundheitsökonomischen Fragen. © john9595 – stock.adobe.com; J. Jung, DKFZ

Professor Dr. Michael Schlander zufolge sollten bei der Preisbildung für Therapieinnovationen auch soziale Präferenzen berücksichtigt werden. Eine unbeherrschbare, durch Onkologika ausgelöste Kostenwelle sieht er nicht auf uns zurollen.

Herr Professor Schlander, was ist dran an den immer wieder geäußerten Befürchtungen, die Kosten für eine moderne Krebsmedizin könnten jeglichen Rahmen sprengen?

Professor Dr. Michael Schlander: Der Anteil der Krebsmedizin an den Gesundheitskosten liegt seit etwa 15 Jahren recht stabil bei rund 7 %. Insofern haben wir keinen Anlass, von Kosten-Tsunamis oder -Explosionen zu sprechen. Auch von einer Unverhältnismäßigkeit der Ausgaben kann nicht die Rede sein. Denn das Geld, das hinter diesen 7 % steht, wird für Erkrankungen aufgewendet, die für knapp 20 % der gesamten Krankheitslast in Deutschland verantwortlich sind und auf Rang zwei der Todesursachenstatistik stehen. Die Ausgaben für psychische Störungen, Magen-Darm-Erkrankungen und Muskel-Skelett-Erkrankungen sind beispielsweise deutlich höher, obwohl sie weniger zur Krankheitslast beitragen.

Übrigens ist die Kostenentwicklung im Bereich der Krebsmedizin in anderen europäischen Ländern vergleichbar mit der unsrigen. Auch dort – wie übrigens auch in den USA – finden wir für Krebserkrankungen einen stabilen Anteil zwischen 6 und 8 % an den gesamten Gesundheitskosten.

Wie beurteilen Sie den Einfluss der Demografie und neuartiger Therapien auf die künftige Kostenentwicklung?

Prof. Schlander: Die demografische Entwicklung für sich genommen wird allen vorliegenden Projektionen zufolge einen überschaubaren Einfluss auf die Ausgabensituation haben. Man darf jedoch davon ausgehen, dass innovative Verfahren eine weitaus wichtigere Rolle als Kostentreiber spielen. Ich denke da beispielsweise an die CAR-T-Zell-Therapie, an Gentherapien und diverse andere Ansätze, die sehr stark auf den einzelnen Patienten zugeschnitten sind. Auch diagnostische Verfahren können im Einzelfall sehr teuer sein. Bei derartigen Innovationen müssen wir das Kosten-Nutzen-Verhältnis sicherlich im Auge behalten und intelligente Verfahren entwickeln, um die Höhe der Erstattung festzulegen.

Welche Verfahren könnten dies sein?

Prof. Schlander: Momentan steht uns nur die Nutzenbewertung zur Verfügung. Es gibt jedoch verschiedene Vorschläge, wie wir sie ergänzen könnten, beispielsweise um einen Parameter, der abbildet, inwieweit eine Leistung von den Krankenkassen erstattet werden sollte – die soziale Erwünschtheit. So hat die Bevölkerung etwa ein ausgeprägtes Interesse daran, dass jedes Individuum nach seinem Bedarf Zugang zur Gesundheitsversorgung erhalten sollte. Das lässt sich empirisch belegen.

In Studien zeigte sich zum Beispiel eine breite Akzeptanz dafür, dass Menschen mit sehr seltenen Erkrankungen ihre in der Regel sehr teure Behandlung erstattet bekommen. Ein Gegenbeispiel wäre die Entfernung von Tätowierungen. Wenn Sie in diesem Fall die Bevölkerung danach fragen, ob dies die Krankenkasse bezahlen soll, werden Sie auf Ablehnung stoßen; die soziale Erwünschtheit ist in diesem Fall gering.

Wie weit sind wir von der Anwendung solcher Parameter entfernt?

Prof. Schlander: Es ist alles andere als trivial, soziale Präferenzen verlässlich zu messen. Dennoch gibt es einige Kriterien, wie die Schwere einer Erkrankung oder die Wirksamkeit, die wir schon jetzt einbinden könnten – nicht im Sinne einer vollwertigen ökonomischen Analyse, sondern eher im Sinne einer Entscheidungsanalyse.

Eine mögliche Konsequenz wäre: Je schwerer eine Gesundheitsstörung ist und je besser eine Therapie wirkt, umso mehr sind wir bereit zu bezahlen. Wir könnten auch akzeptieren, dass bei seltenen Erkrankungen die Kosten pro behandeltem Patienten höher ausfallen. Dann würde das Risiko, das der Unternehmer bei der Entwicklung eingegangen ist, entlohnt.

Wir könnten uns aber auch darauf verständigen, dass die Preisbildung bei einem zunehmenden Fallzahlvolumen degressiv verläuft. Bei einer derartigen Herangehensweise würde man die Diskussion darüber, wie viel Gesundheit wert ist, tatsächlich in die Gesellschaft tragen.

Welche Erkrankungen würden denn am besten abschneiden, wenn es um soziale Präferenzen geht?

Prof. Schlander: Ich denke, akute lebensbedrohliche Störungen sowie schwerwiegende nachhaltige Störungen würden relativ gewinnen; ebenso seltene Störungen. Im Vergleich dazu würden Volkskrankheiten und Bagatellerkrankungen verlieren.

Das klingt nun aber nicht so, als ob sich damit Kosten sparen ließen. Hat das Gesundheitssystem denn Reserven, die noch nicht genutzt werden?

Prof. Schlander: In der Tat, Innovationen ersetzen nicht unbedingt bestehende Verfahren, sondern ergänzen sie. Sie gehen daher in der Regel auch nicht mit Einsparungen einher. Allerdings stecken im Gesundheitssystem meiner Meinung nach tatsächlich erhebliche Reserven. So ist etwa das Sparpotenzial von Biosimilars noch lange nicht ausgeschöpft. Die Nutzenbewertung hilft, wirksame von weniger wirksamen Interventionen zu unterscheiden und die Erstattung dementsprechend auszuhandeln.

Auch über neue Erstattungsmodelle muss man sprechen, beispielsweise dem „Pay per Outcome“. Offen ist jedoch, welche Outcomes hier wirklich relevant sind. In den USA wurde bei den Erstattungsvereinbarungen für die CAR-T-Zell-Therapie die Annahme zugrunde gelegt, dass das Ansprechen nach 30 Tagen ein Prädiktor für eine Heilung sei. Das ist aus meiner Sicht sehr fragwürdig.

Aber zurück zu den Sparpotenzialen. Vielleicht lassen sich auch Kosten senken, wenn Therapien verträglicher werden oder wenn wir die Möglichkeiten der Digitalisierung intelligent nutzen. Abgesehen davon steckt in der Prävention und Früherkennung von Erkrankungen ein erhebliches Potenzial, das bislang nicht annähernd ausgeschöpft wurde. 2016 wurden von den gesamten Gesundheitsausgaben in Höhe von knapp 360 Milliarden Euro lediglich 11,7 Milliarden Euro für präventive Maßnahmen und 2,0 Milliarden Euro für die Früherkennung von Krankheiten ausgegeben. Das entspricht gerade einmal 3,3 bzw. 0,6 % des Gesamtbudgets.

Damit man am Ende spart, müssen die Maßnahmen aber auch kosteneffektiv sein.

Prof. Schlander: Die Wirtschaftlichkeit sollte zu den anerkannten Evalua­tionskriterien für Präventions- und Früherkennungsmaßnahmen gehören. Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit ist jedoch nicht einfach zu führen, weil wir sehr viele Menschen erreichen müssen, um dann – hoffentlich – einige Jahrzehnte später einen Effekt festzustellen. Modellierungen können hier weiterhelfen.

Bezogen auf Krebsfrüherkennungsprogramme weisen sie auf ein sehr gutes Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Tests auf okkultes Blut und bei Koloskopien zur Früherkennung von Darmkrebs hin. Beim Mammographie-Screening ist das Kosten-Nutzen-Verhältnis immer noch günstig, während wir für die Low-Dose-Computertomographie zur Früherkennung von Lungenkrebs noch nicht genügend Belege für einen wirtschaftlichen Nutzen haben. Und der PSA-Test ist aus gesundheitsökonomischer Sicht nicht zu unterstützen.

5. Internationales Symposium„Innovations in Oncology“

Freuen Sie sich auf spannende Vorträge und Diskussionen:
  • Voraussetzungen für die ­Vision-Zero
  • Prävention und Früherkennung
  • ASCO-Hotline mit Highlights vom amerikanischen Krebskongress und vom EHA
  • Innovative Therapiekonzepte
  • Smart Data in der Onkologie
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Vorbericht – Symposium „Innovations in Oncology“

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Professor Dr. Michael Schlander, Leiter der Gesundheitsökonomie am DKFZ Heidelberg, im Interview zu gesundheitsökonomischen Fragen. Professor Dr. Michael Schlander, Leiter der Gesundheitsökonomie am DKFZ Heidelberg, im Interview zu gesundheitsökonomischen Fragen. © john9595 – stock.adobe.com; J. Jung, DKFZ