Größenwahn von der Syphilis: Neurolues geht mit psychischen Auffälligkeiten einher

Dr. Elke Ruchalla/Dr. Anja Braunwarth

Die Spirochäten dringen über Blut und Lymphe in diverse Gewebe ein. Im Spätstadium kann sich sogar der Schädel zersetzen. Die Spirochäten dringen über Blut und Lymphe in diverse Gewebe ein. Im Spätstadium kann sich sogar der Schädel zersetzen. © Christoph Burgstedt – stock.adobe.com; wikimedia/Canley (CC BY-SA 3.0)

Eine Neurosyphilis ist seit der Einführung von Penicillin selten geworden. Das hat dazu geführt, dass junge Mediziner die Erkrankung nicht mehr zu Gesicht bekommen und im Ernstfall eventuell übersehen.

Oft gilt die Neurosyphilis als Zeichen einer seit vielen Jahren bestehenden Erkrankung – das stimmt so aber nur eingeschränkt, erklärt Dr. Allan­ H. Ropper von der Abteilung für Neurologie des Brigham and Women’s Hospital in Boston: Treponema pallidum, der verantwortliche Erreger, dringt bereits innerhalb von wenigen Tagen nach der Ansteckung ins Zentralnervensystem ein. Daraus kann sowohl eine „frühe“ (in den ersten ein bis zwei Jahren) wie auch eine späte Form (nach 10–20 Jahren) der Infektion entstehen.

Erstere präsentiert sich allerdings klinisch meist als asymptomatische Meningitis. Sie kann aber auch dann schon Kopfschmerzen, Meningismus, Hirnnervenlähmungen, Blind- oder Taubheit verursachen. Zwischen dieser frühen Form und der späten gibt es noch eine mittlere, die meningovaskuläre Syphilis, die evtl. über Jahre anhält. Es handelt sich um eine Vaskulitis der kleinen und mittleren Blutgefäße von Gehirn oder Rückenmark, mögliche Folgen: Schlaganfälle sowie verschiedene Myelopathien.

Progressive Paralyse und Tabes dorsalis

Frühere Berichte aus der Prä-Penicillin-Ära sprechen davon, dass bis zu ein Fünftel der Infizierten das typische Stadium der späten symptomatischen Syphilis entwickelte.

Charakteristisch für diese Spätform sind die progressive Paralyse und die Tabes dorsalis. Beide sollen durch die Reaktionen der Meningen auf die Spirochäteninvasion und die damit zusammenhängende Zerstörung von Nervengewebe bedingt sein. Die Durchblutungsstörungen, die beim neurovaskulären Erscheinungsbild auftreten, tragen ebenfalls dazu bei.

Bei der progressiven Paralyse besteht eine frontotemporale Demenz mit ausgeprägten manischen Vorstellungen („Größenwahn“), dazu können sich Depressionen und Persönlichkeitsveränderungen gesellen. Die Tabes dorsalis kennzeichnet der unsichere, breitbeinige Gang, wie man ihn heute häufiger bei anderen Formen sensorischer Ataxien, z.B. einer diabetischen Polyneuropathie oder der spinalen multiplen Sklerose, sieht.

Zu weiteren Symptomen zählen eine Neuro-Arthropathie („Charcot-Gelenke“) und einschießende abdominelle Schmerzen, die an ein akutes Abdomen denken lassen und unter Umständen sogar zu einer Not-OP führen. Klassisch auch: die Argyll-Robertson-Pupille. Sie kann akkomodieren, reagiert aber nicht auf direkten Lichteinfall.

Wenn man aufgrund von Anamnese und eventuellen Begleit­erkrankungen (HIV-Infektion) eine Neurosyphilis vermutet, gibt nach dem orientierenden neurologischen Check die Untersuchung von Serum und Liquor Aufschluss. Im Liquor lassen sich schon wenige Wochen nach der Infektion nahezu immer die Zeichen einer aseptischen Meningitis mit erhöhten Leukos und erhöhtem Proteingehalt nachweisen, unabhängig von neurologischen Symptomen.

Allerdings beweisen sie die Spirochäteninfektion nicht – das HI-Virus kann ebenfalls solche Befunde hervorrufen. Daher sind genauere Methoden gefragt:

  • Nicht-Treponemen-spezifische (lipoidale) Untersuchungsverfahren wie der VDRL-Test (Venereal Disease Research Laboratories) fallen im Serum in allen Stadien der Neurosyphilis positiv aus, allerdings können die Titer im späten Verlauf wieder absinken. Im Liquor gilt der VDRL als spezifisch für eine Neurosyphilis, er fällt jedoch nicht selten falsch negativ aus.

  • Treponema-pallidum-spezifische Untersuchungen wie der Fluoreszenz-Treponema-Antikörper-Absorptions-Test. Er entlarvt hochsensitiv die Antikörper gegen den Erreger.

Steht die Diagnose, gilt in Europa weiterhin Penicillin G über 10–14 Tage, optimalerweise intravenös, als Mittel der Wahl. Lässt sich das nicht machen, kann man ein intramuskuläres Depotpräparat andenken. Dazu kommt dann Probenicid per os, das die Ausscheidung des Antibiotikums verzögert. Bei gesicherter Penicillinallergie empfiehlt sich in erster Linie eine Desensibilisierung und danach das Penicillin. Ceftriaxon, Tetracyclin und Doxycyclin wirken zwar möglicherweise auch, sind aber nicht optimal.

Quelle: Ropper AH. N Engl J Med 2019; 381: 1358-1363; DOI: 10.1056/NEJMra1906228

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Die Spirochäten dringen über Blut und Lymphe in diverse Gewebe ein. Im Spätstadium kann sich sogar der Schädel zersetzen. Die Spirochäten dringen über Blut und Lymphe in diverse Gewebe ein. Im Spätstadium kann sich sogar der Schädel zersetzen. © Christoph Burgstedt – stock.adobe.com; wikimedia/Canley (CC BY-SA 3.0)