Herztransplantation: Paradoxes Verteilungssytem für die Ersatzpumpe soll abgelöst werden

Michael Brendler

15 % auf der Warteliste gelten als „High Urgency“ und können ein neues Herz erhalten. 15 % auf der Warteliste gelten als „High Urgency“ und können ein neues Herz erhalten. © fotolia/luuuusa

Im Vergleich zu den Kollegen in anderen Ländern haben deutsche Herzchirurgen schlechtere Erfolgsraten bei der Transplantation – trotz beachtlicher Fortschritte in der Behandlung. Ein neues Verteilungssystem mit anderen Selektionskriterien soll das ändern.

Spenderherzen sind knapp, auf der langen Warteliste kommen deshalb nur die Allerkränkesten zum Zuge. High Urgency, abgekürzt HU, nennt sich der Status, der es einem Betroffenen erlaubt, sich realistische Chancen auf eines der begehrten Organe auszurechnen. 85 % der Transplantate erhält in Deutschland diese Gruppe, zu der unter der Gesamtzahl der Wartenden gerade mal 15 % der Patienten zählen.

Um das Label zu bekommen, setzt Eurotransplant einen „besonders schweren Verlauf der Erkrankung mit hämodynamischer Instabilität“ voraus, wie Dr. Andreas Rieth­, Oberarzt in der Kardiologie der Kerckhoff-Klinik in Bad Nauheim, und Kollegen erklären. Um es zu behalten, müsse der entsprechende Patient unter fortlaufender Inotropikatherapie in der Klinik bei intensivartigen Bedingungen teils bis zu zwölf Monate und länger warten. Und sein Arzt den HU-Antrag alle acht Wochen aufs Neue stellen.

Das Prozedere ist nicht nur wegen der wochenlangen Katecholamintherapie umstritten. Denn um die langen Wartezeiten zu überbrücken, ist die Hälfte der Patienten irgendwann auf die Unterstützung durch ein Kunstherz angewiesen. Was aber, so die Autoren, „gleichzeitig das Ende des HU-Status nach sich zieht“.

Zu häufig werden zu kranke Personen operiert

Die deutschen Herzchirurgen machen das vorherrschende Primat der Dringlichkeit für ihre vergleichsweise schlechten Ergebnisse verantwortlich. Ihr Argument: Aufgrund der Wartelistenkriterien operieren sie zu häufig zu kranke Patienten, die auch mit neuem Herz eine schlechte Prognose haben. Aktuell werde daher auf Bundesebene intensiv an einer Neuordnung des Vergabesystems gearbeitet und ein sogenannter Cardiac Allocation Score, kurz CAS, entworfen.

Kein Herz für alte, dicke und untreue Menschen

Infrage für eine Herztransplantation kommen vor allem Patienten mit einer ausgeprägten und irreversiblen chronischen Linksherzinsuffizienz, wenn die anderen medikamentösen oder medizintechnischen Therapiemöglichkeiten ausgeschöpft sind. Eine isolierte Rechtsherzinsuffizienz stellt meist keine Indikation dar. Es gibt noch zahlreiche relativen Kontraindikationen. Dazu zählen eine negative Einschätzung in der psychokardiologischen Untersuchung hinsichtlich der Compliance, Suchterkrankungen wie Alkoholabusus und Nikotinkonsum, extreme Adipositas, Alter jenseits von 70 Jahren, schwere sekundäre Organschädigungen oder ernste Begleiterkrankungen wie aktive maligne Tumoren. Die Entscheidung über eine Meldung bei Eurotransplant trifft nach gründlichen Untersuchungen eine interdisziplinäre Transplantationskonferenz im Sechs-Augen-Prinzip.

Angesichts der ansonsten „exzellenten Überlebensraten und guten Langzeitergebnisse“, wie die Experten betonen, könnte dies tatsächlich einen Schritt nach vorne bedeuten. Immerhin beträgt die Funktionsrate der Transplantate ein halbes Jahrhundert nach Christiaan Barnards wegweisender Operation rund 70 % nach drei Jahren. Dank der immunsuppressiven Dreierkombi – meist bestehend aus dem Calcineurininhibitor Tacrolimus, dem Antimetaboliten Mycophenolat und einem Steroid – gelingt es immer besser, das erste Vierteljahr zu überbrücken, in dem das Abstoßungsrisiko am größten ist. Grundsätzlich wird unter stabilem Verlauf nach einem halben Jahr eine steroidfreie Behandlung angestrebt. Die Ärzte um Dr. Rieth betonen, dass andere Zentren jedoch auch in der Erhaltungstherapie auf Calcineurinihibitoren und Steroide verzichten.

Chronische Abstoßung bei jedem zweiten Patienten

Im Langzeitverlauf kommt es oft zu einer Adaptation des Empfängers an das Spenderorgan. Allerdings leiden auch heute noch 50 % der Patienten nach zehn Jahren unter einer chronischen Abstoßungsreaktion mit typischen Komplikationen wie der gefürchteten Transplantatvaskulopathie. Zudem müssen sie mit einem deutlich erhöhten Risiko für Karzinome – vor allem Hautkrebs –, Hypertonie, Stoffwechselerkrankungen und Niereninsuffizienz rechnen. Noch dieses Jahr soll das Bundesgesundheitsministerium seine Zustimmung zum neuen CAS-Score geben. Über den Platz an der Spitze der Wartelisten würde dann auch die Abschätzung des individuellen Mortalitätsrisikos entscheiden. Quelle Text und Abb.: Rieth A et al. Hessisches Ärztebl 2017; 78: 208-213, © Hessisches Ärzteblatt, Frankfurt a.M.

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15 % auf der Warteliste gelten als „High Urgency“ und können ein neues Herz erhalten. 15 % auf der Warteliste gelten als „High Urgency“ und können ein neues Herz erhalten. © fotolia/luuuusa