Hinter der Hypersalivation steckt oft eine Schluckstörung

Dr. Dorothea Ranft

Wenn Kleinkinder sabbern, ist das durchaus normal, nicht aber bei Erwachsenen. Wenn Kleinkinder sabbern, ist das durchaus normal, nicht aber bei Erwachsenen. © iStock.com/Stolk

Die Hypersalivation treibt viele Patienten in die soziale Isolation. Und nicht nur das: Es drohen auch lebensgefährliche Aspirationen. Zur Therapie werden meist Muskarinrezeptor-Antagonisten eingesetzt, doch die Autoren der aktualisierten Leitlinie raten ausdrücklich davon ab.

Im strengen Wortsinn bezeichnet der Begriff der Hypersalivation die vermehrte Speichelproduktion. Meist besteht jedoch eine „funktionelle“ Hypersalivation, das heißt, das Abschlucken und/oder die Speichelflusskontrolle sind beeinträchtigt. Häufig betroffen sind Patienten mit neurologischen Erkrankungen, z.B. nach einem Schlaganfall oder Schädelhirntrauma. Auch Multiple Sklerose, amyotrophe Lateralsklerose, Morbus Parkinson und Tumoren können zu einer Hypersalivation führen.

Bei Kindern gehen die Zerebralparese und eine Vielzahl angeborener Syndrome mit einem teils stark erhöhten Speichelfluss einher. Allerdings neigen auch gesunde Kinder zum „Sabbern“. Ab dem 4. Lebensjahr wird eine im Wachzustand anhaltende Hypersalivation als „auffällig“ gewertet.

Falls keine therapiebedürftige Aspirationsneigung besteht, entscheidet die subjektive Beeinträchtigung des Patienten über das Ausmaß der weiteren Diagnostik und Behandlung. Eine wichtige Therapieindikation ist dabei auch die soziale Isolation durch das Stigma des Speichelverlusts. Schwerpunkte der Diagnostik sind die Abklärung von Schluckstörungen mit Speichelaspiration und von orofazialen motorischen Defiziten, heißt es in der Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde, Kopf- und Hals-Chirurgie.

Kinder vom Kieferorthopäden untersuchen lassen

Zum klinischen Screening gehört je nach vermuteter Ätiologie die gezielte Untersuchung des Mund-Rachen-Raums und des Kehlkopfs sowie der Schluck- und Sprechfunktionen und der inneren Nase. Bei neurogenen Dysphagien empfehlen die Experten eine entsprechende Abklärung einschließlich fiberendoskopischer Schluckuntersuchung. Radiologische Verfahren wie die Videofluoroskopie können wichtige Zusatzinformationen zu Genese und Therapie liefern.

Wird die Hypersalivation durch eine gestörte Fähigkeit zum Speichelschlucken ausgelöst, ist meist auch die Nahrungs- und Flüssigkeitsaufnahme beeinträchtigt. Ein grundlegender Bestandteil der Therapie sollte bei Erwachsenen die funktionelle Dysphagietherapie sein. Die Übungsbehandlung verringert nachweislich das Aspirationsrisiko. Das Erlernen von Ersatzstrategien ermöglicht ein effektives und sicheres Abschlucken trotz verbleibender Störung.

Auch Kieferfehlstellungen mit gestörter Okklusion können die orofaziale Motorik erheblich beeinträchtigen und eine vorbestehende Hypersalivation verstärken. Vor allem Kinder mit vermehrtem Speichelfluss und frontal offenem Biss sollten deshalb kieferorthopädisch behandelt werden, so der Tenor der Leitlinie. Kinder mit kognitiven Defiziten können zudem von oralen Stimulationsplatten profitieren, die z.B. den Mundschluss verbessern.

Zur medikamentösen Behandlung der Hypersalivation werden in Deutschland vor allem anticholinerge Muskarinrezeptor-Antagonisten wie Atropin, Skopolamin, Pirenzepin und Glykopyrrolat eingesetzt, auch wenn deren Einsatz meist außerhalb der Zulassung erfolgt.

 Nur für Kinder und Jugendliche zugelassen

Glykopyrroniumbromid erhielt 2017 die europaweite Zulassung zur symptomatischen Behandlung der schweren Hypersalivation bei Jugendlichen und Kindern ab drei Jahre. Bei Erwachsenen ist der Einsatz nach wie vor nur off label möglich.

Therapie mit Botulinumtoxin wirkt langfristig

Außerdem schränken Nebenwirkungen (z.B. Sedierung, Verwirrtheit) und Kontraindikationen die Anwendung ein. Nicht zuletzt wegen potenzieller Langzeitfolgen für die Kognition raten die Leitlinienautoren von einer Dauertherapie ausdrücklich ab. Eine weitere Option bietet die sonographisch kontrollierte Injektion von Botulinumtoxin in die großen Speicheldrüsen. Sie sorgt für eine lang anhaltende Speichelreduktion. durch eine verringerte Aktivierbarkeit der Drüsen. Diese Therapie wird für ein breites Alters- und Krankheitsspektrum empfohlen, darunter auch die medikamentös induzierte Hypersalivation. Zuvor muss man den Patienten aber über Risiken wie posttherapeutische Dysphagien, Misserfolge und die Notwendigkeit wiederholter Behandlungen aufklären. Eine OP der Speicheldrüsen sollte nur in ausgewählten Fällen erfolgen und nur, wenn die konservative Therapie versagt. Eine Ausnahme ist die Hypersalivation aufgrund eines frontal offenen Bisses. Hier kann die Kombination von Kieferorthopädie und -chirurgie sehr erfolgreich sein. Auch eine externe Bestrahlung der Speicheldrüsen ist möglich. Sie kommt vornehmlich für Patienten infrage, bei denen die bisherige Behandlung mit Übungen, Medikamenten und Operationen nicht gefruchtet hat.

Quelle: S2k-Leitlinie „Hypersalivation“; AWMF-Register Nr. 017-075, www.awmf.org

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Wenn Kleinkinder sabbern, ist das durchaus normal, nicht aber bei Erwachsenen. Wenn Kleinkinder sabbern, ist das durchaus normal, nicht aber bei Erwachsenen. © iStock.com/Stolk