Dysphagie wird für viele neurologisch Kranke zur Bedrohung

Dr. Dorothea Ranft

Die Abklärung der Dysphagie stützt sich auf klinische Schluckuntersuchung und instrumentelle Diagnostik. Die Abklärung der Dysphagie stützt sich auf klinische Schluckuntersuchung und instrumentelle Diagnostik. © Science Photo Library/Marazzi Dr. P.

Eine neurogene Schluckstörung macht sich oft nur sehr diskret bemerkbar durch vermehrtes Räuspern, Hüsteln oder verlängerte Mahlzeiten. Fragen Sie daher Ihren Patienten nach den Dysphagie-Zeichen und nutzen Sie die diagnostischen und therapeutischen Möglichkeiten! Schließlich gilt es, eine potenziell tödliche Aspirationspneumonie zu verhindern.

Mindestens die Hälfte aller Schlaganfallpatienten leidet initial an einer Dysphagie, aber auch viele andere neurologische Erkrankungen gehen mit Schluckstörungen einher. Deshalb empfehlen die Autoren der frisch überarbeiteten Leitlinie „Neurogene Dysphagie“, schon im ersten Gespräch mit einem Patienten gezielt nach Dysphagiezeichen zu fragen.

Anamnestische Dysphagie-Spuren

  • geändertes Ess- und Trinkverhalten
  • Meiden bestimmter Nahrungsmittel bzw. bestimmter -konsistenzen
  • Probleme bei der Einnahme oraler Medikamente
  • verlängerte Dauer der Mahl­zeiten
  • Speisereste in Mundraum oder Rachen nach dem Schlucken
  • Steckenbleiben von Nahrung im Halsbereich
  • Globusgefühl beim Essen oder auch unabhängig davon
  • veränderter Stimmklang
  • Räuspern, Husten oder Atemnot während des Essens bzw. kurz danach
  • orale Regurgitation des Bolus
  • Austreten von Speisen und Flüssigkeiten aus der Nase

Relevant ist in diesem Zusammenhang auch die Medikamentenanamnese, denn Neuroleptika, Opiate und eventuell Benzodiazepin-Rezeptoragonisten können die Schluckfunktion beeinträchtigen. Ob für einen neurologischen Patienten eine erhöhte Aspirationsgefahr besteht, lässt sich rasch mit Hilfe eines standardisierten Screenings ermitteln. Der Wasserschluck-Test kommt dann in Betracht, wenn primär die Schlucksicherheit evaluiert werden soll und die Schluckfunktion „sehr zeitnah“ weiter geprüft werden kann. Ein Mehrkonsistenzen-Test ist zu bevorzugen, „wenn neben der Schlucksicherheit auch die Schluck­effizienz beurteilt werden soll und ein differenziertes Assessment zur Festlegung der Ernährungsform nicht oder nur mit einer klinisch relevanten zeitlichen Latenz möglich ist“, heißt es in der Leitlinie. Die Pulsoxymetrie spielt hingegen beim Screening keine Rolle.

Videofluoroskopie setzt Kooperationsfähigkeit voraus

Die gezielte Dysphagie-Abklärung stützt sich auf die klinische Schluck­untersuchung durch entsprechend geschulte Logopäden bzw. Sprach­therapeuten und die instrumentelle Diagnostik. Dafür stehen zwei sich ergänzende Verfahren zur Verfügung: die fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) und die Videofluoroskopie (Videofluoroskopic Swallowing Study, VFSS). Für die endoskopische Diagnostik belegt eine aktuelle Registerstudie, dass sie bei allen relevanten Erkrankungen sicher durchführbar ist, gut toleriert wird und therapierelevante Ergebnisse liefert. Sie eignet sich besonders gut zur Einschätzung des pharyngealen Schluckakts und der laryngealen und pharyngealen Sensibilität. Sie kann auch bei motorisch stark eingeschränkten, wenig kooperationsfähigen Patienten angewandt werden. Die VFSS bzw. ihre heute gebräuchliche digitale Version (DFSS) bietet Vorteile bei der Beurteilung der pharyngealen und ösophagealen Schluckphase – vor allem wenn die Öffnung des oberen Ösophagussphinkters gestört ist. Sie setzt allerdings eine gute Kooperationsfähigkeit des Patienten voraus. Mittels Manometrie lassen sich Relaxationsstörungen des oberen Ösophagussphinkters und Motilitätsstörungen der Speiseröhre gut nachweisen. Den Schluckakt mittels Sonographie, MRT, CCT oder EMG darzustellen, ist bislang keine Routine.

Mit Schlucktherapie frühzeitig beginnen

Die Behandlung der Dysphagie erfolgt häufig mit texturmodifizierter Kost und angedickten Flüssigkeiten, weil sich diese leichter und sicherer schlucken lassen. Dennoch leiden zahlreiche Patienten an Mangelernährung, Dehydratation und Aspirationspneumonien und sollten diesbezüglich regelmäßig untersucht werden. Außerdem empfehlen die Leitlinienautoren, so früh wie möglich mit einer logopädischen bzw. sprachtherapeutischen Schlucktherapie zu beginnen, wobei sich die Wahl des Verfahrens nach Ätiologie und Störungsmuster richtet.

Neurogene Schluckstörung in Zahlen

  • Bei ≥ 50 % der Schlaganfallpatienten lässt sich initial eine Dysphagie nachweisen. Sie erhöht das Risiko für eine Aspirationspneumonie um mehr als das Vierfache.
  • Eine klinisch relevante Schluckstörung findet sich bei etwa 60 % der Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma.
  • Demente Patienten entwickeln zu 20–30 % schwere Dysphagien mit stiller Aspiration.
  • Mehr als 30 % der MS-Patienten bekommen mit der Zeit Schluckprobleme.
  • Wird eine amyotrophe Lateralsklerose diagnostiziert, besteht in bis zu 30 % der Fälle bereits eine Dysphagie.
  • Die Myasthenia gravis macht sich bei jedem siebten Patienten mit einer Schluckstörung bemerkbar. Im weiteren Verlauf entwickelt mindestens jeder zweite eine Dysphagie.
  • Die Häufigkeit der Dysphagie beträgt bei der Dermatomyositis ca. 20 %, bei der Polymyositis 30–60 % und bei der Einschlusskörpermyositis 65–86 %.

Ergänzend kann man Neurostimulationsverfahren einsetzen. Die besten Daten gibt es bisher für die pharyngeale elektrische Stimulation (PES). Dabei werden Zungengrund und Rachenhinterwand über einen transnasal eingeführten, mit zwei Ringelektroden bestückten Katheter gereizt mit dem Ziel einer Neuromodulation des Schlucknetzwerks. Die Behandlung wird für tracheotomierte Schlaganfallpatienten mit supratentorieller Läsion empfohlen, für die ein signifikanter Effekt gezeigt werden konnte. Auch für die transkutan applizierte neuromuskuläre Elektrostimulation (NMES) ergaben Studien nach Schlaganfall bzw. Schädelhirntrauma einen moderaten Benefit zusätzlich zur Schlucktherapie. Ähnliches wurde für zwei transkranielle Verfahren, die Gleichstromstimulation (tDCS) und die repetitive Magnetstimulation (rMTS) gezeigt. Allerdings werden diese drei Methoden noch nicht ausdrücklich empfohlen. In Einzelfällen könnten Patienten mit verzögertem Schluckreflex auch von einer medikamentösen Therapie profitieren. TRPV1-Agonisten wie die Capsaicinoide stimulieren sensible Äste des Nervus laryngeus recurrens und des Nervus glossopharyngeus und verkürzen so die Reflexlatenz. Studien zu harten klinischen Endpunkten stehen allerdings noch aus.

Anticholinergika bremsen den Speichelfluss

Uneinheitlich ist die Studienlage zum Nutzen von ACE-Hemmern. Sie verkürzen die Latenz des Schluckreflexes, erhöhen die unwillkürliche Schluckfrequenz und vermindern so die Gefahr nächtlicher Aspirationen. Drei randomisierte kontrollierte Studien sprechen dafür, dass Schlaganfallpatienten im Hinblick auf ihre Schluckstörung von L-Dopa, Cabergolin und Amantadin profitieren können. Zur Behandlung der störenden Hypersalivation bei neurogener Dysphagie werden häufig Anticholinergika eingesetzt. Speziell für diese Indikation zugelassen ist bisher allerdings nur Glykopyrrolat (bei Kindern ab drei Jahren und Jugendlichen). Neuerdings darf auch eine intraglanduläre Injektionstherapie mit Incobotulinumtoxin A offiziell angewandt werden. Bei unzureichender Besserung oder wenn wiederholte Injektionen nicht möglich sind, kommt eventuell eine Radiotherapie infrage.

Invasive Verfahren erst nach erfolgloser Vortherapie

Chronische Öffnungsstörungen des oberen Ösophagussphinkters können in spezialisierten Zentren auch minimal-invasiv oder operativ behandelt werden. Neben Myotomie und Dilatation kommt hierfür ebenfalls die Injektion von Botulinumtoxin in Betracht. Voraussetzung ist, dass ein konservativer Therapieversuch über zirka ein Jahr nicht die erwünschte Besserung erzielt hat.

Quelle: Leitlinie „Neurogene Dysphagie“, AWMF-­Register-Nr. 030/111, www.awmf.org

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Die Abklärung der Dysphagie stützt sich auf klinische Schluckuntersuchung und instrumentelle Diagnostik. Die Abklärung der Dysphagie stützt sich auf klinische Schluckuntersuchung und instrumentelle Diagnostik. © Science Photo Library/Marazzi Dr. P.
In der kolorierten Röntgenthoraxaufnahme einer 76 Jahre alten Patientin mit Hirnblutung zeigt sich eine Aspirationspneumonie (dunkle Bereiche). In der kolorierten Röntgenthoraxaufnahme einer 76 Jahre alten Patientin mit Hirnblutung zeigt sich eine Aspirationspneumonie (dunkle Bereiche). © Science Photo Library/Marazzi Dr. P.