
Dysphagie wird für viele neurologisch Kranke zur Bedrohung

Mindestens die Hälfte aller Schlaganfallpatienten leidet initial an einer Dysphagie, aber auch viele andere neurologische Erkrankungen gehen mit Schluckstörungen einher. Deshalb empfehlen die Autoren der frisch überarbeiteten Leitlinie „Neurogene Dysphagie“, schon im ersten Gespräch mit einem Patienten gezielt nach Dysphagiezeichen zu fragen.
Anamnestische Dysphagie-Spuren
- geändertes Ess- und Trinkverhalten
- Meiden bestimmter Nahrungsmittel bzw. bestimmter -konsistenzen
- Probleme bei der Einnahme oraler Medikamente
- verlängerte Dauer der Mahlzeiten
- Speisereste in Mundraum oder Rachen nach dem Schlucken
- Steckenbleiben von Nahrung im Halsbereich
- Globusgefühl beim Essen oder auch unabhängig davon
- veränderter Stimmklang
- Räuspern, Husten oder Atemnot während des Essens bzw. kurz danach
- orale Regurgitation des Bolus
- Austreten von Speisen und Flüssigkeiten aus der Nase
Videofluoroskopie setzt Kooperationsfähigkeit voraus
Die gezielte Dysphagie-Abklärung stützt sich auf die klinische Schluckuntersuchung durch entsprechend geschulte Logopäden bzw. Sprachtherapeuten und die instrumentelle Diagnostik. Dafür stehen zwei sich ergänzende Verfahren zur Verfügung: die fiberoptische endoskopische Evaluation des Schluckens (FEES) und die Videofluoroskopie (Videofluoroskopic Swallowing Study, VFSS). Für die endoskopische Diagnostik belegt eine aktuelle Registerstudie, dass sie bei allen relevanten Erkrankungen sicher durchführbar ist, gut toleriert wird und therapierelevante Ergebnisse liefert. Sie eignet sich besonders gut zur Einschätzung des pharyngealen Schluckakts und der laryngealen und pharyngealen Sensibilität. Sie kann auch bei motorisch stark eingeschränkten, wenig kooperationsfähigen Patienten angewandt werden. Die VFSS bzw. ihre heute gebräuchliche digitale Version (DFSS) bietet Vorteile bei der Beurteilung der pharyngealen und ösophagealen Schluckphase – vor allem wenn die Öffnung des oberen Ösophagussphinkters gestört ist. Sie setzt allerdings eine gute Kooperationsfähigkeit des Patienten voraus. Mittels Manometrie lassen sich Relaxationsstörungen des oberen Ösophagussphinkters und Motilitätsstörungen der Speiseröhre gut nachweisen. Den Schluckakt mittels Sonographie, MRT, CCT oder EMG darzustellen, ist bislang keine Routine.Mit Schlucktherapie frühzeitig beginnen
Die Behandlung der Dysphagie erfolgt häufig mit texturmodifizierter Kost und angedickten Flüssigkeiten, weil sich diese leichter und sicherer schlucken lassen. Dennoch leiden zahlreiche Patienten an Mangelernährung, Dehydratation und Aspirationspneumonien und sollten diesbezüglich regelmäßig untersucht werden. Außerdem empfehlen die Leitlinienautoren, so früh wie möglich mit einer logopädischen bzw. sprachtherapeutischen Schlucktherapie zu beginnen, wobei sich die Wahl des Verfahrens nach Ätiologie und Störungsmuster richtet.Neurogene Schluckstörung in Zahlen
- Bei ≥ 50 % der Schlaganfallpatienten lässt sich initial eine Dysphagie nachweisen. Sie erhöht das Risiko für eine Aspirationspneumonie um mehr als das Vierfache.
- Eine klinisch relevante Schluckstörung findet sich bei etwa 60 % der Patienten mit schwerem Schädel-Hirn-Trauma.
- Demente Patienten entwickeln zu 20–30 % schwere Dysphagien mit stiller Aspiration.
- Mehr als 30 % der MS-Patienten bekommen mit der Zeit Schluckprobleme.
- Wird eine amyotrophe Lateralsklerose diagnostiziert, besteht in bis zu 30 % der Fälle bereits eine Dysphagie.
- Die Myasthenia gravis macht sich bei jedem siebten Patienten mit einer Schluckstörung bemerkbar. Im weiteren Verlauf entwickelt mindestens jeder zweite eine Dysphagie.
- Die Häufigkeit der Dysphagie beträgt bei der Dermatomyositis ca. 20 %, bei der Polymyositis 30–60 % und bei der Einschlusskörpermyositis 65–86 %.
Anticholinergika bremsen den Speichelfluss
Uneinheitlich ist die Studienlage zum Nutzen von ACE-Hemmern. Sie verkürzen die Latenz des Schluckreflexes, erhöhen die unwillkürliche Schluckfrequenz und vermindern so die Gefahr nächtlicher Aspirationen. Drei randomisierte kontrollierte Studien sprechen dafür, dass Schlaganfallpatienten im Hinblick auf ihre Schluckstörung von L-Dopa, Cabergolin und Amantadin profitieren können. Zur Behandlung der störenden Hypersalivation bei neurogener Dysphagie werden häufig Anticholinergika eingesetzt. Speziell für diese Indikation zugelassen ist bisher allerdings nur Glykopyrrolat (bei Kindern ab drei Jahren und Jugendlichen). Neuerdings darf auch eine intraglanduläre Injektionstherapie mit Incobotulinumtoxin A offiziell angewandt werden. Bei unzureichender Besserung oder wenn wiederholte Injektionen nicht möglich sind, kommt eventuell eine Radiotherapie infrage.Invasive Verfahren erst nach erfolgloser Vortherapie
Chronische Öffnungsstörungen des oberen Ösophagussphinkters können in spezialisierten Zentren auch minimal-invasiv oder operativ behandelt werden. Neben Myotomie und Dilatation kommt hierfür ebenfalls die Injektion von Botulinumtoxin in Betracht. Voraussetzung ist, dass ein konservativer Therapieversuch über zirka ein Jahr nicht die erwünschte Besserung erzielt hat.Quelle: Leitlinie „Neurogene Dysphagie“, AWMF-Register-Nr. 030/111, www.awmf.org
Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).