
Hormone gegen menstruelle Migräne

Die rein menstruelle Migräne entspricht Kopfschmerzattacken, die in mindestens zwei von drei Zyklen und ausschließlich an Tag 1 der Blutung (±2 Tage) auftreten. Davon abzugrenzen ist die menstruationsassoziierte Migräne, bei der die Betroffenen zusätzlich zu anderen Zeitpunkten an Kopfschmerzen leiden. Beiden Formen gibt es mit und ohne Aura, schreiben Prof. Dr. Hartmut Göbel von der Schmerzklinik Kiel und Kollegen. Mehr als die Hälfte der Migränepatientinnen berichtet, dass ihre Schmerzen (auch) in Zusammenhang mit der Regelblutung auftreten. Es könnte jedoch sein, dass manche Frauen diesen Zusammenhang überbewerten. Um in diesem Punkt Klarheit zu schaffen, hilft die Dokumentation der Attacken mittels Migräne-App oder Schmerztagebuch weiter.
Der Östrogenspiegel steigt im Menstruationszyklus um den Eisprung herum an, um dann kurz vor der Blutung abrupt abzufallen. Dieser Hormonentzug ist zumindest bei einem Teil der Frauen mit menstrueller Migräne die Schmerzursache. Aber auch ein Absetzen exogener Hormone kann Kopfschmerzen induzieren. Die Diagnose Östrogenentzugskopfschmerz wird gestellt, wenn Kopfschmerzen innerhalb von fünf Tagen nach Absetzen des Östrogens auftreten.
Für die Entstehung der Migräne spielt wahrscheinlich eine erhöhte Aktivität im nozizeptiven trigeminovaskulären System eine wichtige Rolle. Hierdurch wird u.a. Calcitonin Gene-Related-Peptide (CGRP) freigesetzt, eine pathophysiologisch wohl entscheidende Substanz bei Migräne. Diese bewirkt, dass intrakranielle Gefäße dilatieren und eine Inflammation der Hirnhäute entsteht. Östrogen kann die Spiegel von CGRP reduzieren und wirkt somit protektiv gegen Migräne. Das wichtigste Östrogen, 17β-Estradiol, überwindet durch Diffusion passiv die Blut-Hirn-Schranke, wird zudem lokal im Gehirn synthetisiert und findet dort zahlreiche Östrogenrezeptoren vor. Im Trigeminusganglion befinden sich vor allem bei Frauen viele Östrogenrezeptoren, deren Aktivierung möglicherweise Schmerzreize moduliert.
Östrogen wirkt auf das endogene Opioidsystem
Östrogenrezeptoren werden von weiteren Hirnstrukturen exprimiert, die ebenfalls bei Migräne oder der Schmerzmodulation allgemein eine Rolle spielen. Neben verschiedenen Neurotransmittersystemen beeinflusst Östrogen auch das endogene Opioidsystem; unter Östrogen wird mehr Enkephalin, ein körpereigenes „Schmerzmittel“,
produziert.
Zusammenfassend lässt sich sagen: Östrogen selbst scheint nicht direkt vor Migräne zu schützen, aber beeinflusst offenbar verschiedene Mechanismen, die bei Migräne eine Rolle spielen − mit der Folge, dass Schmerzattacken gehemmt werden.
Vor diesem Hintergrund kommen zur Therapie der menstruellen Migräne auch hormonelle Interventionen infrage. Ziel ist es, die Hormonschwankungen auszugleichen und dem schnellen Östrogenabfall entgegenzuwirken. Geprüft wurden ganz verschiedene Optionen, darunter die Gabe von Östrogen und/oder Gestagen unabhängig von einer Kontrazeption oder im Rahmen einer gewünschten Verhütung. Die untersuchten Therapien zeigten oft keine eindeutige Evidenz. Deutlich wirksam bei menstrueller Migräne ist jedoch die hormonell induzierte Amenorrhoe; positive Effekte zeigten sich auch für Gestagen-Monopräparate sowie kombinierte Kontrazeptiva.
So heißt es in der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, dass neben Naproxen oder einem Triptan zur Kurzzeitprophylaxe die kontinuierliche Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva oder von Desogestrel erwogen werden könnte. Von perkutanen Präparaten wird eher abgeraten beziehungsweise sie gelten nur als Zweitlinientherapie.
Bei der Verordnung ist insbesondere das kardiovaskuläre Risiko der Frauen zu beachten: Migräne, v.a. in Verbindung mit einer Aura, gilt als eigenständiger Risikofaktor für einen Schlaganfall. Die Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva mit einem Ethinylestradiolgehalt von mehr als 35 µg steigert dieses Risiko zusätzlich enorm.
Kardiovaskuläres Risiko ist ausschlaggebend
Europäische Fachgesellschaften empfehlen daher: Leidet eine Frau mit normalem kardiovaskulärem Risikoprofil an Migräne ohne Aura, wird zu einem kontinuierlich verabreichten kombinierten oralen Präparat mit einem Ethinylestradiolgehalt von weniger als 35 µg geraten. Nicht empfohlen werden kombinierte Hormone bei Migränepatientinnen mit Aura und bei denjenigen ohne Aura, die weitere kardiovaskuläre Risikofaktoren aufweisen. Bestehen eine hochaktive Migräne mit Aura und ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, sind kombinierte orale Kontrazeptiva eindeutig kontraindiziert. Alternativ kommen dann nicht-hormonelle Verhütungsmethoden oder reine Gestagenpräparate infrage.
Quelle: Göbel H et al. DNP 2023; 24: 68-79; DOI: 10.1007/s15202-023-5780-8
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