Hormone gegen menstruelle Migräne

Dr. Susanne Meinrenken

Bei einem Teil der Frauen mit menstrueller Migräne ist der Hormonentzug die Schmerzursache. Bei einem Teil der Frauen mit menstrueller Migräne ist der Hormonentzug die Schmerzursache. © primipil – stock.adobe.com

Schwankungen des Östrogenspiegels spielen in der Pathophysiologie der menstruellen Migräne eine wichtige Rolle. Daher liegt es nahe, Östrogene bzw. hormonelle Kon­trazeptiva therapeutisch zu nutzen. Allerdings gelten sowohl Migräne als auch Östrogene als unabhängige Risikofaktoren für einen Schlaganfall, sodass Schaden und Nutzen gegeneinander abzuwägen sind.

Die rein menstruelle Migräne entspricht Kopfschmerzattacken, die in mindestens zwei von drei Zyklen und ausschließlich an Tag 1 der Blutung (±2 Tage) auftreten. Davon abzugrenzen ist die menstruationsassoziierte Migräne, bei der die Betroffenen zusätzlich zu anderen Zeitpunkten an Kopfschmerzen leiden. Beiden Formen gibt es mit und ohne Aura, schreiben Prof. Dr. ­Hartmut ­Göbel von der Schmerzklinik Kiel und Kollegen. Mehr als die Hälfte der Migränepa­tientinnen berichtet, dass ihre Schmerzen (auch) in Zusammenhang mit der Regelblutung auftreten. Es könnte jedoch sein, dass manche Frauen diesen Zusammenhang überbewerten. Um in diesem Punkt Klarheit zu schaffen, hilft die Dokumentation der Attacken mittels Migräne-App oder Schmerztagebuch weiter. 

Der Östrogenspiegel steigt im Menstruationszyklus um den Eisprung herum an, um dann kurz vor der Blutung abrupt abzufallen. Dieser Hormonentzug ist zumindest bei einem Teil der Frauen mit menstrueller Migräne die Schmerz­ursache. Aber auch ein Absetzen exogener Hormone kann Kopfschmerzen induzieren. Die ­Diagnose Östrogenentzugskopfschmerz wird gestellt, wenn Kopfschmerzen innerhalb von fünf Tagen nach Absetzen des Östrogens auftreten.

Für die Entstehung der Migräne spielt wahrscheinlich eine erhöhte Aktivität im nozizeptiven trigemino­vaskulären System eine wichtige Rolle. Hierdurch wird u.a. Calcitonin Gene-Related-Peptide (CGRP) freigesetzt, eine pathophysiologisch wohl entscheidende Substanz bei Migräne. Diese bewirkt, dass intrakranielle Gefäße dilatieren und eine Inflammation der Hirnhäute entsteht. Östrogen kann die Spiegel von CGRP reduzieren und wirkt somit protektiv gegen Migräne. Das wichtigste Östrogen, 17β-Estradiol, überwindet durch Diffusion passiv die Blut-Hirn-Schranke, wird zudem lokal im Gehirn synthetisiert und findet dort zahlreiche Östrogenrezeptoren vor. Im Trigeminusganglion befinden sich vor allem bei Frauen viele Östro­genrezeptoren, deren Aktivierung möglicherweise Schmerzreize moduliert

Östrogen wirkt auf das endogene Opioidsystem

Östrogenrezeptoren werden von weiteren Hirnstrukturen exprimiert, die ebenfalls bei Migräne oder der Schmerzmodulation allgemein eine Rolle spielen. Neben verschiedenen Neurotransmitter­systemen beeinflusst Östrogen auch das endogene Opioidsystem; unter Östrogen wird mehr Enkephalin, ein körpereigenes „Schmerzmittel“
produziert. 

Zusammenfassend lässt sich sagen: Östrogen selbst scheint nicht direkt vor Migräne zu schützen, aber beeinflusst offenbar verschiedene Mechanismen, die bei Migräne eine Rolle spielen − mit der Folge, dass Schmerzattacken gehemmt werden.

Vor diesem Hintergrund kommen zur Therapie der menstruellen Migräne auch hormonelle Interventionen infrage. Ziel ist es, die Hormonschwankungen auszugleichen und dem schnellen Östrogenabfall entgegenzuwirken. Geprüft wurden ganz verschiedene Optionen, darunter die Gabe von Östrogen und/oder Gestagen unabhängig von einer Kontrazeption oder im Rahmen einer gewünschten Verhütung. Die untersuchten Therapien zeigten oft keine eindeutige Evidenz. Deutlich wirksam bei menstrueller Migräne ist jedoch die hormonell induzierte Amenorrhoe; positive Effekte zeigten sich auch für Gestagen-Monopräparate sowie kombinierte Kontra­zeptiva. 

So heißt es in der aktuellen Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie und der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft, dass neben Naproxen oder einem Triptan zur Kurzzeitprophylaxe die kontinuierliche Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva oder von Desogestrel erwogen werden könnte. Von perkutanen Präparaten wird eher abgeraten beziehungsweise sie gelten nur als Zweitlinien­therapie. 

Bei der Verordnung ist insbesondere das kardiovaskuläre Risiko der Frauen zu beachten: Migräne, v.a. in Verbindung mit einer Aura, gilt als eigenständiger Risikofaktor für einen Schlaganfall. Die Einnahme kombinierter oraler Kontrazeptiva mit einem Ethinylestra­diolgehalt von mehr als 35 µg steigert dieses Risiko zusätzlich enorm. 

Kardiovaskuläres Risiko ist ausschlaggebend

Europäische Fachgesellschaften empfehlen daher: Leidet eine Frau mit normalem kardiovaskulärem Risikoprofil an Migräne ohne Aura, wird zu einem kontinuierlich verabreichten kombinierten oralen Präparat mit einem Ethinylestradiolgehalt von weniger als 35 µg geraten. Nicht empfohlen werden kombinierte Hormone bei Migränepatientinnen mit Aura und bei denjenigen ohne Aura, die weitere kardiovaskuläre Risiko­faktoren aufweisen. Bestehen eine hochaktive Migräne mit Aura und ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko, sind kombinierte orale Kontrazeptiva eindeutig kontraindiziert. Alternativ kommen dann nicht-hormonelle Verhütungsmethoden oder reine Gestagenpräparate infrage.

Quelle: Göbel H et al. DNP 2023; 24: 68-79; DOI: 10.1007/s15202-023-5780-8

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Bei einem Teil der Frauen mit menstrueller Migräne ist der Hormonentzug die Schmerzursache. Bei einem Teil der Frauen mit menstrueller Migräne ist der Hormonentzug die Schmerzursache. © primipil – stock.adobe.com