Ibrutinib half rätselhaftem Patienten

DGN 2023 Friederike Klein

Bei Morbus Waldenström produzieren entartete B-Zellen große Mengen des Immunglobulin M (IgM). Bei Morbus Waldenström produzieren entartete B-Zellen große Mengen des Immunglobulin M (IgM). © Love Employee – stock.adobe.com

Eine Waldenström-Makroglobulinämie war bereits bekannt, doch Symptome und Laborwerte eines Patienten gaben Erfurter Kollegen Rätsel auf. Letztlich fanden sie eine seltene Komplikation, die gut auf BTK-Inhibitoren anspricht.

Mehrfach war ein ehemaliger Chefarzt der Inneren Medizin schon in der Neurologischen Klinik in Erfurt vorstellig geworden. Über die Jahre gab er einige Rätsel auf. So erfolgte 2012 ein Kontakt aufgrund von Rückenschmerzen nach einer Cholezystektomie. In der spinalen Magnetresonanztomografie (MRT) zeigten sich verdickte Cauda­fasern mit Kontrastmittelaufnahme, aber kein intramedulläres pathologisches Signal. Das Labor ergab erhöhte Werte von IgM und stark erhöhte Werte von löslichem Interleukin-2-Rezeptor (sIL2-R).

PD Dr. ­Andreas ­Steinbrecher, Chefarzt der Klinik für Neurologie des Helios Klinikums Erfurt, führte das am ehesten auf den seit neun Jahren bekannten Morbus Waldenström zurück, der nach einer Therapie mit Bendamustin und Rituximab hämatologisch stabil in Teilremission war. Es wurden eine Kontrolle und eine Schädel-MRT empfohlen. 

Das nächste Mal stellte sich der Patient vor, als er nach Windpocken-Fällen in der Familie die Diagnose einer Varicella-Zoster-Infektion erhalten hatte. Die Aciclovir-Therapie habe die Abgeschlagenheit gebessert und neue Symptome seien nicht aufgetreten, berichtete er. Im spinalen MRT war der Befund im Bereich der lumbosaktralen Nervenwurzeln unverändert, eine MRT des Schädels lehnte der Patient ab. Seine Eigendiagnose: Es handele sich um eine Zosterradikulitis. 

Dreieinhalb Jahre später stellte er sich mit einer progredienten Gangstörung und einer allgemeinen Leistungsminderung vor. Die Gattin hatte ihn wegen einer zunehmenden kognitiven Verlangsamung zum Arzt geschickt, die nach der klinischen Untersuchung auch tatsächlich im Vordergrund stand. In der MRT war neben den bekannten kontrastmittelaufnehmenden Caudafasern eine Lyse im Sakrum erkennbar, die dem Morbus Waldenström zugerechnet wurde. Die nun akzeptierte Schädel-MRT ergab erweiterte Ventrikel und eine sulkale Kontrastmittelaufnahme entlang der pialen Oberflächen. Im Labor waren neben IgM und sIL2­-R auch Kappa-Leichtketten erhöht. Der Liquorbefund wies auf eine schwere Schrankenfunktionsstörung hin. Die Biopsie rechts frontal leptomeningeal ergab weder eine eitrige oder spezifisch granulomatöse Entzündung noch einen Nachweis für eine zerebrale Manifestation des Morbus Waldenström.

„Was macht man, wenn einem nichts mehr einfällt? Man macht das Gleiche wieder“, sagte Dr. Steinbrecher. Die erneute Durchflusszytometrie des Liquors ergab eine eindeutige Leichtkettenrestriktion für Kappa und einen Immunphänotyp mit lymphomtypischen Zellen (CD19-, CD20- und CD22-positiv). Daraufhin wurde die Diagnose eines Bing-Neel-Syndroms gestellt. Dabei handelt es sich um eine seltene ZNS-Komplikation des Morbus Waldenström, die auch die einzige Form einer Progression sein kann. Es gibt diffuse und tumoröse Formen, die klinischen Symptome sind meist sehr unspezifisch. 

Der Patient wurde mit Ibrutinib, einem oralen Inhibitor der Bruton-Tyrosinkinase des B-Zell-Signalwegs, behandelt. Nach wenigen Wochen berichtete er über eine deutliche Besserung des Gehens und der kognitiven Verarbeitungsgeschwindigkeit. Klinisch, radiologisch und laborchemisch war er in Vollremission. Seine Frau bescheinigte ihm, er sei „wieder ein anderer Mensch“. Entwickeln Patienten mit M. Waldenström ungewöhnliche neurologische Symptome, müsse man das Bing-Neel-Syndrom immer im Hinterkopf haben, so Dr. Steinbrecher.

* Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V.

Quelle: DGN*-Kongress 2023

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