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Intensiviertes Schema Watch and Wait möglich
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Unter einer totalen neoadjuvanten Therapie (TNT) beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom versteht man die Erweiterung der präoperativen Radiochemo- oder Radiotherapie um eine zusätzliche präoperative Chemotherapie. Eine der wegbereitenden Studien dafür ist die RAPIDO-Studie.1 An ihr nahmen Patienten mit großen Rektumkarzinomen und hohem Rezidivrisiko teil, definiert durch Lymphknotenbefall, vergrößerte laterale Lymphknoten oder eine extramurale venöse Invasion.
Im Standard-Studienarm erhielten sie erst eine Strahlenchemotherapie. Nach acht Wochen erfolgte die totale mesorektale Exzision (TME) mit anschließender adjuvanter Chemotherapie. Im TNT-Arm wurden die Patienten zunächst mit 5x5 Gy bestrahlt, dann mit einer intensivierten Chemotherapie behandelt. Der Effekt der TNT wurde nach 22 bis 24 Wochen untersucht – es braucht fast ein halbes Jahr, bis das Ansprechen voll erreicht wird, betonte Prof. Dr. Claus Rödel von der Klinik für Strahlentherapie und Onkologie am Universitätsklinikum Frankfurt. Anschließend wurde operiert.
Verdoppelte Rate der Komplettremissionen
Gegenüber dem herkömmlichen Vorgehen reduzierte sich durch die TNT die Rate des krankheits-assoziierten Behandlungsversagens nach drei Jahren signifikant von 30 % auf 23,7 %. Das entsprach einer relativen Risikoreduktion von 25 %. Gleichzeitig verdoppelte sich die Rate der Patienten mit pathologischer Komplettremission (pCR) von 14,3 % unter Standardtherapie auf 28,4 % bei TNT.
Der Preis für die höhere Wirksamkeit waren mehr höhergradige Toxizitäten und eine etwas schlechtere OP-Qualität in der TNT-Gruppe. Zwar wurde in 90 % der Fälle eine R0-Resektion erzielt, aber die mesorektale Faszie blieb nur bei 78 % der Fälle intakt. 85 % sind nach dem Standardvorgehen machbar, meinte Prof. Rödel.
Der Anteil von Patienten, die eine pathologische Komplettremission erreichen, kann mit intensiveren TNT-Regimen noch deutlich höher ausfallen als in der RAPIDO-Studie und sogar ein beobachtendes Zuwarten erlauben.
In der noch nicht publizierten Studie OPRA bestand die TNT aus einem Chemotherapie-Anteil und einem Radiochemotherapie-Anteil mit 50 Gy Gesamtdosis plus einem Boost von 4–6 Gy und 5-Fluorouracil plus Capecitabin. In einem Arm erfolgte die Chemotherapie zur Induktion vor der Strahlenchemotherapie, im anderen Arm als Konsolidierung nach der Strahlenchemotherapie.
Das Ansprechen wurde in dieser Studie in Woche 34 ermittelt. Bei einer klinisch kompletten Remission (cCR) wurde auf die TME erst einmal verzichtet und unter Beobachtung abgewartet (Watch-and-Wait). Nur wenn das klinisch komplette Ansprechen ausblieb erfolgte wie gewohnt die TME.
Intensivierte TNT ist noch kein Standard
Nach der klinischen Befundung empfahl man nach Induktionschemotherapie in 71 % der Fälle eine Watch-and-Wait-Strategie, nach konsolidierender Chemotherapie in 76 % der Fälle. Ein lokales erneutes Auswachsen des Tumors trat in der Folge bei 40 % bzw. 27 % der Patienten auf. Krankheitsfrei überlebten in beiden Gruppen 76 % der Teilnehmer drei Jahre, nach Strahlenchemotherapie zu Beginn mit konsolidierender Chemotherapie waren mehr als die Hälfte (53 %) auch nach drei Jahren ohne TME, hatten also mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Organerhalt erreicht.
Noch ist ein solches Vorgehen aber kein Standard für Patienten, die ein derart intensives TNT-Regime tolerieren können. Die Beurteilung des Ansprechens ohne Resektat birgt Unsicherheiten und erfordert eine hohe diagnostische Qualität. Laut Prof. Rödel reicht dafür die MRT-Bewertungsqualität in Deutschland oft nicht aus.
Auch die Konsequenzen müssen bedacht werden. Wächst der Tumor wieder, ist eine Operation zwar möglich und die R0-Resektionsrate mit über 90 % hoch, wie Prof. Dr. Stefan Fichtner-Feigl von der Klinik für Allgemein- und Viszeralchirurgie am Universitätsklinikum Freiburg erläuterte. Es benötigen dann aber fast zwei Drittel der Patienten ein permanentes Stoma. Am Ende erkauft man sich einen möglichen Organerhalt folglich mit einem relativ hohen Risiko für ein solches Stoma.
Quellen:
1. Bahadoer RR et al. Lancet Oncol 2021; 22: 29-42; DOI: 10.1016/S1470-2045(20)30555-6
2. 48. Deutscher Koloproktologen-Kongress
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