Neue Behandlungsstrategien fürs Rektumkarzinom

DGHO 2021 Friederike Klein

Wichtig scheint es zu sein, lange genug nach der neoadjuvanten Therapie zu warten, bevor die Operation erfolgt. Wichtig scheint es zu sein, lange genug nach der neoadjuvanten Therapie zu warten, bevor die Operation erfolgt. © iStock/Dr_Microbe

Nicht immer müssen Patienten mit Rektumkarzinom gleich unters Messer – teilweise kann man mit der Operation auch warten. Wann dies angezeigt ist und für welche Betroffenen eine totale neoadjuvante Therapie infrage kommt, wurde auf der diesjährigen DGHO-Jahrestagung diskutiert.

Für Erkrankte mit Rektumkarzinom gibt es neue Konzepte, die die Effektivität der Behandlung verbessern sollen. So stünden im Hinblick auf Radiatio, Chemotherapie und Chirurgie Eskalations- und Deeskalationsmöglichkeiten zur Verfügung, erklärte Professor Dr. Ralf-Dieter Hofheinz­ von der Universitätsmedizin Mannheim. Von besonderem Interesse ist aber die Verbesserung der Neoadjuvanz. Einige wenige Patienten könnten möglicherweise von Oxaliplatin zusätzlich zu 5-Fluorouracil (5-FU) profitieren, allerdings geht dies mit relevant mehr Grad 3/4 Diarrhöen einher. Wahrscheinlich haben eher jüngere Erkrankte einen Vorteil, so der Referent. Er verwies auf eine Metaanalyse, in der unter 60-Jährige durch die Addition von Oxaliplatin ein längeres krankheitsfreies Überleben aufwiesen.1

Patienten für die totale Neoadjuvanz selektieren

Eine totale neoadjuvante Therapie (TNT) kann für Hochrisikopatienten mit unterschiedlichen Regimen nach einer Radiochemotherapie erfolgen. Wichtig ist, mit eben dieser anzufangen, betonte der Referent. Anhand der Patientencharakteristika der RAPIDO-Studie2 erläuterte er, wie das hohe Risiko der Betroffenen definiert ist, die am ehesten für die TNT infrage kommen:

  • T4-Tumor
  • N2-Situation (mind. vier sicher befallene Lymphknoten)
  • Vergrößerung der lateralen Lymphknoten außerhalb des Resektionsfeldes
  • Invasion einer extramuralen Vene
  • Befall der mesorektalen Faszie

Wenn mindestens eine dieser Bedingungen erfüllt ist, ergibt es laut Prof. Hofheinz Sinn, Patienten eine TNT – d.h. Bestrahlung/Radiochemotherapie und eine drei bis vier Monate dauernde konsolidierende Chemo – anzubieten. Diese kann das krankheitsfreie Überleben verbessern. Auch wenn es noch keine Evidenz für eine Verlängerung des Gesamtüberlebens gibt, sieht der Referent keinen Grund, Erkrankten mit den genannten Kriterien diese Behandlung vorzuenthalten – es sei denn, andere Argumente wie ein höheres Alter sprechen dagegen.

Aktuell untersuchen die Autoren der deutschen Studie ACO/ARO/AIO 18.1 eine Induktion mit einer längeren Radiochemotherapie und einer verkürzten Konsolidierung mit dem RAPIDO-Schema. Sie beziehen darin bereits das Ziel Watch & Wait und damit die Option einer chirurgiefreien Behandlung mit ein.

Abwarten, auch wenn Remission nicht komplett ist

Wichtig scheint es zu sein, lange genug nach der neoadjuvanten Therapie zu warten, bevor die Operation erfolgt. In einer Studie mit einer langen Konsolidierung gab es nicht nur für Patienten mit klinischer Komplettremission die Empfehlung zu Watch & Wait. Es konnte auch im Fall einer fast kompletten Remission – d.h. irreguläre Mukosa, kleine Gefäßinjektionen, kleine Ulzerationen, leichte Induration beim Tasten, nicht ganz saubere Wände in der MRT – weitere vier bis acht Wochen bis zur OP-Entscheidung gewartet werden. So gelang es, bei 45 % dieser Teilnehmer ein Watch & Wait und einen Organerhalt zu erreichen.

In rund einem Viertel der Erkrankten kommt es unter Watch & Wait zu einem „local regrowth“ des nicht-entfernten Tumors. Diese Patienten können fast immer gut operiert werden, berichtete Prof. Hofheinz­. Das Karzinomgewebe sei üblicherweise in der MRT endoluminal und intramural zu sehen. Ein internationaler Konsensus hat kürzlich Vorschläge gemacht, wie das Monitoring während Watch & Wait erfolgen sollte (siehe Tabelle).

Monitoring während Watch&Wait3
JahrsCEADREEndoskopieBecken-MRTCT Thorax und/ oder Abdomen
13-monatlichalle 3–4 Monatealle 3–4 Monatealle 3–4 Monatealle 6–12 Monate
23-monatlichalle 3–4 Monatealle 3–4 Monatealle 3–4 Monatejährlich
33-monatlichhalbjährlichhalbjährlichhalbjährlichjährlich
4halbjährlichhalbjährlichhalbjährlichhalbjährlichjährlich
5halbjährlichhalbjährlichhalbjährlichhalbjährlichjährlich
sCEA: Carcinogenes Antigen im Serum
DRE: digitale rektale Untersuchung

Manchmal geht es auch ganz ohne Radiatio

Es ist auch möglich, ganz auf die Bestrahlung zu verzichten, sagte Prof. Hofheinz. Eine primäre Resektion kann laut der S3-Leitlinie ausnahmsweise erfolgen bei Patienten im UICC-Stadium II/III mit:
  • cT1/2-Tumoren im unteren und mittleren Drittel mit bildgebend fraglichen Lymphknotenbefall
  • cT3a/b-Tumoren im mittleren Drittel mit in der MRT nur limitierter Infiltration ins perirektale Fettgewebe (cT3a: < 1 mm, cT3b: 1–5 mm) und ohne bildgebenden Verdacht auf Lymphknotenmetastasen oder extramuraler Gefäßinvasion bei adäquater Qualitätssicherung der MRT-Diagnostik und der TME-Chirurgie.4
Die Forscher der ACO/ARO/AIO 18.2-Studie vergleichen derzeit eine neoadjuvante Chemotherapie mit FOLFOX ohne Radiatio mit einer primären Operation und nachfolgend einer risikoadaptierten Chemotherapie bzw. im Fall von freien Lymphknoten keiner Behandlung.

Qualitätsgesichertes MRT

Relevant zur Therapieplanung beim Rektumkarzinom sind folgende Angaben aus der qualitätsgesicherten MRT:
  • Eindringtiefe
  • Nodalstatus nach klaren Kriterien
  • Bezug zum zirkulären Resektionsrand
  • Laterale Lymphknoten außerhalb des Resektionsfelds vergrößert?
  • Involvierung extramuraler Venen
  • Abstand anokutan
Behandler sollten sich auch immer die Bildgebung selbst anschauen, empfahl Prof. Hofheinz. Ein Tumor T3a kann nach dem MRT-Befund beispielsweise schlechter operabel sein als ein Karzinom T3c.

Quellen:
1. Fontana E. et al. ASCO Annual Meeting 2020; Abstract 4074
2. Bahadoer RR et al. Lancet Oncol 2021; 22: 29-42; DOI: 10.1016/S1470-2045(20)30555-6.
3. Fokas E et al. Nat Rev Clin Oncol 2021; DOI: 10.1038/s41571-021-00538-5.
4. S3-Leitlinie Kolorektales Karzinom, AWMF-Registernr: 021-007OL, www.awmf.org

Hofheinz RD et al. DGHO-Jahrestagung 2021; Wissenschaftliches Symposium „Klinische Forschung zur Therapieoptimierung kolorektaler Karzinome“

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