Lokal fortgeschrittenes Rektumkarzinom: Was spricht für die totale neoadjuvante Therapie?

Dr. Judith Lorenz

Die totale neoadjuvante Therapie erwies sich als gute Alternative beim fortgeschrittenen Rektumkarzinom. Die totale neoadjuvante Therapie erwies sich als gute Alternative beim fortgeschrittenen Rektumkarzinom. © Anatomy Insider – stock.adobe.com

Die Standardtherapie des lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinoms umfasst die neoadjuvante Radiochemotherapie gefolgt von der totalen mesorektalen Exzision sowie der adjuvanten Chemotherapie. Eine totale neoadjuvante Therapie, bei welcher zusätzlich prä- statt postoperativ eine systemische Chemotherapie verabreicht wird, verbessert das Ansprechen und die Prognose.

Mehr als ein Viertel der Patienten mit einem lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom entwickelt trotz Standard­behandlung aus Radiochemotherapie, OP und adjuvanter Chemotherapie Fernmetastasen. Diese stellen mittlerweile die Haupt­ursache für die Morbidität und Mortalität der Betroffenen dar.

Trotz nicht eindeutiger Datenlage empfiehlt das National Comprehensive Cancer Network in seiner Leitlinie die totale neoadjuvante Therapie, bei der bereits vor dem chirurgischen Eingriff eine systemische Chemotherapie zusätzlich zur Chemoradiotherapie zum Tragen kommt. Ziel der Behandlung ist es, okkulte Mikrometastasen zu eradizieren.

Metaanalyse mit mehr als 2400 erkrankten Männern

Ob diese alternative Strategie im Vergleich zur Standardbehandlung mit einem besseren Outcome verbunden ist, untersuchten Forscher um Professor Dr. Anup­ Kasi­, Kansas University Medical Center, Westwood, im Rahmen einer Metaanalyse.

Mittels systematischer Literaturrecherche identifizierten sie sieben thematisch relevante Studien aus Europa und den USA. Das mediane Alter der Patienten umfasste je nach Studie zwischen 57–69 Jahren, 58–73 % waren Männer. 1206 der insgesamt 2416 Teilnehmer hatten vor der OP eine totale neoadjuvante Therapie erhalten, die übrigen absolvierten die Standardbehandlung aus Radiochemotherapie, chirurgischem Eingriff und adjuvanter Chemotherapie.

Die gepoolte Prävalenz der pathologischen Komplettremission betrug im Prüfarm 29,9 %, in der Kontrolle dagegen nur 14,9 %. Den Berechnungen der Arbeitsgruppe zufolge verdoppelte sich durch die totale neoadjuvante Therapie die Chance auf eine Komplettremission (Odds Ratio [OR] 2,44; 95%-KI 1,99–2,98). Auch im Hinblick auf das erkrankungsfreie Überleben erwies sich die totale neoadjuvante Behandlung als vorteilhaft (OR 2,07; 95%-KI 1,20–3,56). Jedoch befassten sich nur drei Studien mit diesem Endpunkt. Bezüglich des Anteils sphinktererhaltender Eingriffe sowie der Ileostomierate unterschieden sich die beiden Vorgehen hingegen nicht wesentlich. Belastbare Aussagen zum Gesamt­überleben waren laut den Autoren mangels Daten nicht möglich.

Unklar, ob eine OP überhaupt einen Vorteil verschafft

Beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom stellt die totale neo­adjuvante Therapie eine vielversprechende Alternative zur Standardbehandlung dar, da sie offenbar besser vor Fernmetastasen schützt, schlussfolgern die Kollegen. Langfristig könne man womöglich so die Krankheitskontrolle und die Prognose verbessern. Im Hinblick auf den Sphinkter- bzw. Kontinuitäts­erhalt bestehe hingegen kein wesentlicher Nutzen. 

Personalisierter Medizin gehört die Zukunft

Auch die Editorialisten Dr. Noam VanderWalde und Dr. Axel Grothey vom West Cancer Center and Research Institute in Memphis halten die Standardbehandlung aus Radiochemotherapie, OP und adjuvanter Chemotherapie beim lokal fortgeschrittenen Rektumkarzinom für überholt: Die Zukunft gehört ihrer Einschätzung nach der Individualmedizin, welche bei der Therapieplanung sowohl Lokalisation des Primärtumors als auch Symptomatik, bildgebenden Befunde, molekulargenetische Parameter sowie das Ansprechen – beispielsweise im Hinblick auf Biomarker wie zirkulierende Tumor-DNA – berücksichtigt. Trotz einiger ungeklärter Fragen passt ihrer Meinung nach die totale neoadjuvante Strategie genau in dieses personalisierte Konzept: Sie öffnet die Tür zur Zukunft der individualisierten Rektumkarzinomtherapie.

Quelle: VanderWalde N et al. JAMA Netw Open 2020; DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2020.30508

Zukünftige prospektive, randomisierte Studien müssen ihrer Ansicht nach die langfristigen Auswirkungen der totalen neoadjuvanten Strategie auf das Rezidivrisiko sowie das Gesamtüberleben der Betroffenen beleuchten. Insgesamt bestehen noch zahlreiche Wissenslücken, meinen Dr. Kasi und Kollegen, beispielsweise im Hinblick auf das optimale Regime, die Toxizität der Behandlung und ob eine OP überhaupt zusätzliche Vorteile verschafft. Ferner sei zu klären, anhand welcher Biomarker sich diejenigen identifizieren lassen, welche am stärksten von einer totalen neoadjuvanten Therapie profitieren.

Quelle: Kasi A et al. JAMA Netw Open 2020; 3: e2030097. DOI: 10.1001/jamanetworkopen.2020.30097

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