Jeder Dritte verlässt die Klinik nach einem größeren Eingriff mit kognitiven Defiziten

Dr. Alexandra Bischoff

Nach größeren chirurgischen Eingriffen weist jeder Dritte zum Zeitpunkt der Entlassung bereits postoperative kognitive Defizite auf. Nach größeren chirurgischen Eingriffen weist jeder Dritte zum Zeitpunkt der Entlassung bereits postoperative kognitive Defizite auf. © iStock/alvarez

Ihr Patient muss operiert werden, ist aber nicht mehr der Jüngste. Obacht! Denn mit dem Alter nimmt das perioperative Risiko für kognitive Störungen zu. Wie beugen Sie vor? Und was ist zu tun, wenn der Operierte verwirrt scheint oder gar deliriert?

Bewusstseins-, Denk- und Aufmerksamkeitsstörungen nach einer Narkose sind gar nicht so selten: Bei etwa einem Drittel der Patienten treten nach größeren chirurgischen Eingriffen schon zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Klinik solche postoperativen kognitiven Defizite (POCD) auf. Aus den anfangs nur leichten Einschränkungen der Merk- und Konzentrationsfähigkeit können sich im Laufe der Zeit schwere Gedächtnis- und Lernstörungen entwickeln.

Mit zunehmendem Alter der Patienten steigt auch deren Risiko für derartige geistige Beeinträchtigungen infolge der Anästhesie: Jeder fünfte bis jeder zweite der über 70-jährigen Frisch­operierten leidet bereits im Aufwachraum an einem postoperativen Delir (POD), das neben den kognitiven Auffälligkeiten noch von Unruhe, Angst oder Halluzinationen begleitet sein kann.

Bis heute ist unklar, warum es nach einem chirurgischen Eingriff zu kognitiven Defiziten kommt. Je nach individueller Vulnerabilität – von Bedeutung sind etwa das Alter des Patienten oder seine Vorerkrankungen – handelt es sich wohl um ein Zusammenspiel mehrerer Faktoren: Inflammatorische Prozesse düften eine Rolle spielen, eine Störung der Stressachse und neuronale Schädigungen. In der Vergangenheit hatte häufig die Allgemeinanästhesie den schwarzen Peter zugeschoben bekommen.

Risikofaktoren
Delirpostoperative kognitive Defizite
  • höheres Lebensalter (> 65 Jahre)
  • Komorbidität
  • anticholinerge Medikamente
  • lange präoperative Nüchternheit
  • Alkoholerkrankung
  • Störungen des Elektrolythaushalts
  • Ort und Dauer des operativen Eingriffs
  • langwirksame Anästhetika
  • höheres Lebensalter (> 65 Jahre)
  • Komorbidität
  • milde kognitive Einschränkungen
  • geringer Bildungsgrad
  • Alkoholerkrankung
  • ausgedehnte Eingriffe
  • perioperative Komplikationen
  • Revisionseingriffe
  • langwirksame Anästhetika
  • Homöostasestörung
  • Hypoxie

Vor und während dem Eingriff möglichst keine Benzos

Neuere Forschungsergebnisse jedoch sehen die Ursache für die kognitiven Fehlfunktionen in der Gesamtheit von perioperativem Stress und operativem Trauma, schreiben Dr. Thomas­ Saller und seine Kollegen von der Klinik für Anaesthesiologie der LMU München. Präventive Maßnahmen und eine Risikostratifizierung können den behandelnden Ärzten aber helfen, gefährdete Patienten bereits im Vorfeld zu identifizieren und das perioperative Management speziell auf sie abzustimmen. Experten empfehlen deshalb, bei älteren Patienten im anästhesiologischen Prämedikationsgespräch zusätzlich eine Art Mini-Assessment durchzuführen, um die individuelle Mobilität und Belastbarkeit besser einschätzen zu können. Diese Befragung sollte folgende Punkte beinhalten:
  • Anamnese nach einer Hör- und Seheinschränkung
  • kurzer Kognitionstest mittels Suchtest (z.B. MMSE, „Mini-Cog“)
  • Nachweis einer Mangelernährung (Hypalbuminämie), Gewichtsabnahme
  • Evaluierung der Gebrechlichkeit
  • Gang- und Standunsicherheit
Nach Möglichkeit sollte auf eine Prämedikation mit Benzodiazepinen (außer bei Angst!) oder anticholinergen Wirkstoffen verzichtet werden. Die Gabe von Alpha-2-Agonisten hingegen kann erwogen werden. Zudem scheint eine kurze Nüchternzeit und die Erhaltung des Tag-Nacht-Rhythmus die Delirinzidenz zu senken. Während des operativen Eingriffs sollten Benzodiazepine nur in Ausnahmefällen (z.B. bei Entzug) verabreicht werden sowie auf eine gute und effiziente Schmerzkontrolle geachtet werden. Intraoperative Messungen helfen dabei, eine zu tiefe Narkose zu vermeiden. Generell soll mit der Mobilisation und Ernährung früh begonnen werden. Insbesondere auf Intensivpflegestationen oder in der Herzchirurgie ist die Zahl der deliranten Patienten hoch (> 50 %).

Delir-Screening alle acht Stunden fünf Tage lang

Die europäische Anästhesiegesellschaft (European Society of Anaesthesiology, ESA) empfiehlt deshalb, bei allen Patienten beginnend im Aufwachraum bis zum fünften Tag nach der Operation ein Delir-Screening (z.B. NuDeSc) durchzuführen. Dieses soll einmal pro Schicht erfolgen, also alle acht Stunden. Weist ein Patient Symptome eines Delirs auf, sollte die Re-Orientierung unverzüglich mit Hör- oder Sehhilfen unterstützt werden. Als medikamentöse Basistherapie eignen sich Alpha-Agonisten (z.B. Clonidin als Einzeldosis bzw. Dauerinfusion) oder bei hyperaktivem Delir kleine Bolusgaben Propofol (10–30 mg). Während bei Ängsten kurzwirksame Benzodiazepine (z.B. Midazolam) gegeben werden können, sind typische und auch vermehrt atypische Neuroleptika (z.B. Haloperidol) bei ausgeprägter produktiver Symptomatik hilfreich. 

Quelle: Saller T et al. klinikarzt 2018; 47: 199-204

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Nach größeren chirurgischen Eingriffen weist jeder Dritte zum Zeitpunkt der Entlassung bereits postoperative kognitive Defizite auf. Nach größeren chirurgischen Eingriffen weist jeder Dritte zum Zeitpunkt der Entlassung bereits postoperative kognitive Defizite auf. © iStock/alvarez