Kasuistik zeigt ungewöhnliche Demenzfolge

Dr. Dorothea Ranft

Aufgrund der Knochenbeteiligung vermuten die behandelnden Kollegen zuerst ein Malignom. Aufgrund der Knochenbeteiligung vermuten die behandelnden Kollegen zuerst ein Malignom. © Orawan– stock.adobe.com

Eine 72-jährige Patientin erscheint mit einem großen Defekt an der Kopfhaut in der Klinik. Die Kollegen vor Ort vermuteten zunächst ein Malignom, doch die Ursache hatte eher mit der Geistesfunktion zu tun.

Wegen eines großen Hautdefekts inklusive Destruktion der Schädelkalotte kommt eine 72-jährige Demenzpatientin ins Universitätsklinikum Halle. Bei der körperlichen Untersuchung der älteren Dame fällt ein kreisrundes, ca. 6 cm großes und sauber granuliertes Ulkus in der Scheitelregion auf – ohne entzündliche Reaktion in der Umgebung.

Eine Eigenanamnese ist wegen der Demenz der Frau nicht möglich. Körperlich zeigt sich die Patientin kaum beeinträchtigt, sie hat weder Fieber noch Meningitissymptome, schreiben Dr. Alexandra Meyer und Dr. Volker Stadie vom Universitätsklinikum Halle/Saale.

Knochenbeteiligung legte onkologische Genese nahe

Aufgrund der Knochenbeteiligung vermuten die behandelnden Kollegen zuerst ein Malignom. Unter der Verdachtsdiagnose Basalzellkarzinom vom Typ Ulcus terebrans entnehmen sie mehrere Biopsien aus dem Randsaum des Defekts. Die Histo­logie zeigt eine pseudokarzinomatöse Hyperplasie der Epidermis über Narbengewebe. Es gibt keinen Hinweis auf einen malignen Tumor. Auf der CT-Aufnahme wird das Ausmaß des Knochenschadens deutlich: Ein Defekt von 2,6 x 3,3 cm Größe ohne Beteiligung der allerdings freiliegenden Dura. Weitere Auffälligkeiten lassen sich in der Bildgebung nicht feststellen. 

Der Sohn der Demenzpatientin berichtet, dass sich seine Mutter seit vielen Monaten mehrmals täglich mit den Fingern, aber auch mit harten Gegenständen, beispielsweise Löffeln, am Kopf kratzt. Zur Protektion der noch intakten Dura mater erhält sie zunächst einen Schutzhelm. Doch dieser kann weitere Kratzattacken nicht verhindern, weil ihn die Patientin binnen weniger Minuten abzieht. 

Einen Ausweg bietet die operative Versorgung. Dabei implantieren die Kollegen zum Verschluss der Knochenlücke eine Titanplatte und verschließen den Defekt mittels Transpositionsplastik. Doch die Frau kratzt auch nach dem Eingriff unbeirrt weiter.

Weil verhaltenstherapeutische Ansätze sowie medikamentöse Therapien durch die Demenz wenig erfolgversprechend scheinen, stellt man die 72-Jährige in der Psychiatrie vor. Die Empfehlung der Spezialisten dort lautet, die Manipulation mit mechanischen Mitteln zu verhindern. Außerdem sediert man die Frau mit Melperon (25–100 mg/d), die Läsion heilt unter den eingeleiteten Maßnahmen ab.

Niedrigere Schmerzschwelle aufgrund der Demenz

Auch in der zweijährigen Nachbeob­achtungszeit wurde kein Malignom detektiert. Deshalb sehen sich die Kollegen in ihrer Diagnose bestätigt, dass es sich um ein artifizielles Ulkus handelte. Zwar sind derartige Läsionen überwiegend tumorbedingt, selbst beigebrachte Kratzverletzungen sollte man aber differenzialdiagnostisch erwägen, betonen sie. Insbesondere wenn die Betroffenen Hilfsmittel wie Besteck oder Scheren einsetzen, können die Verletzungen auch so tief reichen wie im vorgestellten Fall. Ursächlich könnte bei der vorgestellten Patientin eine demenzbedingte Absenkung der Schmerzschwelle die Entwicklung des Geschwürs begünstigt haben, spekulieren die Kollegen. Es wäre ebenfalls denkbar, dass zusätzliche Faktoren wie ein vorausgegangener postherpetischer Juckreiz eine Rolle gespielt haben.Dr.

Quelle: Meyer A, Stadie V „Artifizielles Ulkus mit perforierendem Knochendefekt an der Schädelkalotte durch wiederholte Kratzattacken bei demenziellem Syndrom“, Dtsch Med Wochenschr 2022; 147: 720-723; 
DOI: 10.1055/a-1828-6505 © Georg Thieme Verlag KG Stuttgart, New York

Falls Sie diesen Medizin Cartoon gerne für Ihr nicht-kommerzielles Projekt oder Ihre Arzt-Homepage nutzen möchten, ist dies möglich: Bitte nennen Sie hierzu jeweils als Copyright den Namen des jeweiligen Cartoonisten, sowie die „MedTriX GmbH“ als Quelle und verlinken Sie zu unserer Seite https://www.medical-tribune.de oder direkt zum Cartoon auf dieser Seite. Bei weiteren Fragen, melden Sie sich gerne bei uns (Kontakt).


Aufgrund der Knochenbeteiligung vermuten die behandelnden Kollegen zuerst ein Malignom. Aufgrund der Knochenbeteiligung vermuten die behandelnden Kollegen zuerst ein Malignom. © Orawan– stock.adobe.com