Komplizierte Trauerstörung bald eigenständige Diagnose im ICD-11
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Trauer bedeutet für die Psyche Arbeit. Zu den Aufgaben gehören die Akzeptanz des Verlusts, die sukzessive Bewältigung des Schmerzes und das Hineinwachsen in eine neue Realität. Meistens betrauern Menschen Verstorbene, schreiben Professor Dr. Paul Boelen von der Klinischen Psychologie der Universität Utrecht und Dr. Geert Smid von der Arq Psychotrauma Expert Group in Diemen. Manchmal sind es aber auch eine aufgegebene Heimat und Kultur oder eine auf der Flucht zurückgelassene Familie, eine Scheidung oder ein Arbeitsplatzverlust, die eine komplizierte Trauerreaktion hervorrufen.
Komorbide Depression und Belastungsstörung
Trauer ist normal. Hält die Trauerbelastung jedoch länger als sechs Monate an, liegt eine komplizierte, prolongierte Trauerstörung (prolongend grief disorder, PGD) vor. Dieses Beschwerdebild wird im 2018 erscheinenden ICD-11 als eigenständige Diagnose aufgeführt sein.
Im Vordergrund der Symptomatik steht eine intensive gedanklich-emotionale und belastende Beschäftigung mit dem Verlust. Dazu kommen allgemeine psychische Probleme wie z.B. emotionale Taubheit, Bitterkeit, Wut, Schuld- und Sinnlosigkeitsgefühle sowie das Gefühl von Schock und Erstarrung. Der Patient kann aufgrund negativer Gedanken kaum oder gar nicht mehr am sozialen, kulturellen und beruflichen Leben teilnehmen. Oftmals geht die Trauerstörung mit einer Depression, Angsterkrankung oder einer posttraumatischen Belastungsstörung einher, sie lässt sich aber von dieser Komorbidität abgrenzen.
Kinder zeigen Symptome eher beim Spielen
Ein erhöhtes Risiko besteht bei plötzlichen und „unnatürlichen“ Todesfällen geliebter und nahe stehender Menschen. Psychisch und sozial vulnerable Personen sind besonders gefährdet: Vor allem ein hoher Neurotizismus oder ein unsicheres Bindungsverhalten prädestinieren für eine prolongierte Trauerstörung, ebenso wie ein niedriger Bildungsstand oder die Erfahrung von Flucht und Ausgegrenztsein. Das gilt auch für Kinder, die prinzipiell eine den Erwachsenen vergleichbare Symptomatik entwickeln können, diese aber nicht selten eher im Spiel ausdrücken.
Mittel der Wahl in der Therapie sind psychologische Interventionen. Dazu gehören exponierende Verfahren, mit denen die Patienten lernen, situative oder gedankliche Vermeidungsstrategien langsam aufzugeben und ihre Trauer- und Trennungsgefühle zu verbalisieren und zu erkunden. Die Patienten suchen dabei real oder gedanklich Plätze, Objekte oder Umstände auf, die sie mit dem Todesfall assoziieren, oder sie erzählen bzw. schreiben über den Verlust.
Verdacht schöpfen bei sechs Monate langer Trauerreaktion
Eher auf der Verstandesebene arbeiten die kognitiven Interventionen, mit denen negative, hemmende Gedanken und Annahmen über sich und die Welt identifiziert und modifiziert werden, um dann mit einer veränderten Lebenseinstellung den erlittenen Verlust adäquat verarbeiten zu können. Verhaltensaktivierende Interventionen schließlich zielen auf den Abbau von depressivem und passivem Verhalten ab und ermuntern zur Wiederaufnahme von zuvor als wichtig erlebten Aktivitäten.
Wann eine Trauerreaktion kompliziert bzw. behandlungsbedürftig ist, entscheidet am besten der Spezialist. Verdacht schöpfen sollte aber schon der Hausarzt. Dies gilt bei einer länger als sechs Monate anhaltenden isolierten trauerspezifischen Belastung, bei komorbider Depression oder posttraumatischer Belastungsstörung idealerweise auch schon früher. Studien zeigen, dass die meisten Patienten erleichtert sind, auf ihre Störung angesprochen zu werden. Menschen aus anderen Kulturkreisen finden möglicherweise bei spezialisierten Angeboten Hilfe – nicht nur psychologischer Art, sondern vielleicht auch mit Angeboten von kulturspezifischen Trauerritualen.
SSRI ja, Benzos nein
Quelle: Aus der Fachliteratur
Quelle: Boelen PA, Smid GE. BMJ 2017; 357: online first
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