Vielseitige Seelentröster: Nebenwirkungen von Antidepressiva können Begleitbeschwerden lindern

Michael Brendler / Maria Fett

Mit Antidepressiva können nicht nur die Depressionen, sondern auch weitere Begleiterscheinungen behandelt werden. Mit Antidepressiva können nicht nur die Depressionen, sondern auch weitere Begleiterscheinungen behandelt werden. © fotolia/TanyaJoy

In bis zu zehn Substanzklassen können Therapeuten nach einem passenden Antidepressivum für ihre Patienten suchen. Doch wonach sollte sich die Entscheidung im Zweifel richten? Ein paar Grundregeln erleichtern die Wahl.

In den 1960er-Jahren stellte die Zulassung von Imipramin und Iproniazid einen Meilenstein der Depressionstherapie dar. Kein Wunder, dass die Reaktionen euphorisch waren. Diese Sichtweise hat sich mittlerweile gelegt. Aufgrund seiner schweren Nebenwirkungen wurde Iproniazid vom Markt genommen. Auch wenn mittlerweile weitaus effektivere und sichere Optionen existieren, gehören die neueren Antidepressiva eher zu den unbeliebten Medikamenten – besonders aus Patientensicht. Viele Betroffene brechen Therapien aufgrund der teils beträchtlichen Nebenwirkungen oder falscher Annahmen über die Wirkungsweise ab.

Neben einem ausführlichen Aufklärungsgespräch müssen Kollegen anhand von Faktoren wie Begleitumständen (z.B. Schwangerschaft), Vorerkrankungen und Erfahrungen der Patienten entscheiden, welches der vielen Präparate sich individuell eignet. Die Oberärztin der Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie Wien, Professor Dr. Nicole­ Praschak-Rieder­, gibt hierzu einige Tipps.

Schmerz gleich mit behandeln

Vor allem trizyklische Medikamente und Serotonin-Noradrenalin­Wiederaufnahmehemmer (SNRI) aktivieren schmerzdämpfende Zentren im ZNS. Begleiten also Schmerzen die Depression, kann man die analgetische Wirkung der Substanzen nutzen.

Antikoagulanzien reduzieren

Manche Ärzte setzen die Nebenwirkung selektiver Serotonin­-Auf­nahme­hemmer (SSRI) gezielt ein, um die Thrombozytenaggregation zu hemmen und so entsprechende Präparate einzusparen. SSRI zeigen eine eigenständige gerinnungshemmende Wirkung. Bei Patienten mit Blutungsneigung sollte man den Einsatz entsprechend gründlich überdenken.

Auf Gewicht und Schlaf achten

Antihistaminerge Medikamente wirken zum einen appetitanregend, weshalb Kollegen bei Patienten mit „Gewichtsproblemen“ besser zu anderen Substanzen greifen. Ein weiterer Effekt ist deren sedierende Eigenschaft. Wenn gerade diese erwünscht ist, sollte man nach Meinung von Prof. Praschak-Rieder eher zusätzlich Benzodiazepine geben. Nach einer stationären Therapie gehen viele Betroffene zurück in ihren Beruf und den Straßenverkehr, was v.a. in Kombination mit Alkohol ernsthafte Folgen nach sich ziehen kann.

Flaute im Bett ansprechen

Bis zu 60 % der SSRI-Konsumenten berichten von sexuellen Funktionsstörungen – wenn man sie danach fragt. Viele Betroffene erzählen nur selten spontan davon, weshalb es sinnvoll ist, in der ersten Kontrollvisite gezielt nachzuhaken. Noradrenalin-­ und Dopamin­Wiederaufnahmehemmer wie Wellbutrin könnten hier die bessere Wahl darstellen.

Temporäre Symptome beachten

Unangenehm, wenn auch harmlos, sind Probleme wie Übelkeit, Erbrechen oder abdominale Schmerzen, wiederum oft durch SSRI verur­sacht. In den meisten Fällen bilden sie sich jedoch innerhalb weniger Tage komplett zurück, schreibt Prof. Praschak-Rieder. Trotzdem sollte man diese Nebenwirkungen mit den Patienten besprechen. Abschließend gibt die Autorin noch einen Rat: Kollegen sollten bitte nicht einem der typischen Fehler aufsitzen und die Antidepressiva „zu kurz oder zu wenig davon“ geben.

Interaktionen setzen Alten und Multimorbiden zu

Nach der Erfahrung von Prof. Praschak-­Rieder geben manche Kollegen Antidepressiva nur in geringen Dosen und enthalten dadurch den Senioren die volle therapeutische Wirkung vor. Weniger Nebenwirkungen treten deshalb keineswegs auf. Außerdem befürworten Fachinformationen höhere Gaben. Bei multimorbiden Patienten stellen insbesondere Medikamenteninteraktionen eine Herausforderung dar. Viele Präparate werden über die CYP-Isoenzyme abgebaut. Deshalb kann die Gabe mancher Antidepressiva einige Pharmaka sogar wirkungslos machen. Für beide Gruppen rät die Autorin zu Mitteln mit möglichst geringem Nebenwirkungs-­ und Interaktionspotenzial wie Milnacipran, Tianeptin, Mirtazapin und Sertralin.

Mitunter vergehen mehrere Wochen, bis die Mittel ihre volle Wirkung entfalten. Zudem kann man (Verträglichkeit vorausgesetzt) eine Monotherapie ruhig bis zur Höchstdosis ausreizen, um deren pharmakologisches Potenzial zu nutzen, bevor man das Medikament wechselt oder kombiniert.

Quelle: Praschak-Rieder N. J Neurol Neurochir Psychiatr 2017; 18: 144-150

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