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Wertlose Metaanalyse zu Antidepressiva?

In der Metaanalyse wurden 522 randomisierte und kontrollierte Studien zu 21 Antidepressiva mit insgesamt 116 477 behandelten Patienten ausgewertet. Viele sahen einen Placeboarm vor. „Das bestuntersuchte Medikament bei Depressionen ist Placebo“, sagte Professor Dr. Tom Bschor von der Psychiatrie an der Schlosspark Klinik in Berlin. Gerade bei dieser Erkrankung würden die Placeboeffekte hoch ausfallen. Er hält es deshalb für ein sehr wichtiges Ergebnis der Metaanalyse, dass alle eingesetzten Antidepressiva stärker wirkten als Placebo.
In der Rangfolge erreichte Amitriptylin den Spitzenplatz mit einer 2,13-fach höheren Wahrscheinlichkeit für eine Wirksamkeit gegenüber Placebo, gefolgt von Mirtazapin (Odds Ratio, OR 1,89) und Duloxetin (OR 1,85). Am Ende der Hitliste fanden sich Fluoxetin, Citalopram, Trazodon, Clomipramin, Desvenlafaxin und Reboxetin. Auch diese Antidepressiva schnitten aber noch deutlich besser ab als Placebo.
Geringe Effektstärken durch gute Placebowirksamkeit
Die Auswertung der Therapieabbrüche stellte diese Rangfolge allerdings auf den Kopf. Das nur mäßig effektive Agomelatin erreichte als einziges Antidepressivum die Spitze des Rankings, da es vergleichbar selten wie Placebo wegen Nebenwirkungen zum Absetzen führte. Dagegen fanden sich Amitriptylin mit hohen Abbruchraten auf dem vorletzten Platz und Mirtazapin irgendwo im Mittelfeld wieder.
Die Autoren der Metaanalyse empfehlen zur antidepressiven Therapie auf Basis eines vergleichsweise günstigen Nutzen-Abbruchverhältnisses Escitalopram, Mirtazapin, Paroxetin, Agomelatin oder Sertralin.
Kritiker der Auswertung kommen dagegen zu dem Schluss, dass auf Basis dieser Evidenz immer noch nicht klar feststeht, dass Antidepressiva überhaupt wirksamer sind als Placebo. Sie bemängeln vor allem methodologische Aspekte. Prof. Bschor konnte die Argumente nachvollziehen, hält die Kritik allerdings für extrem detailliert. Einer derartig strengen Prüfung könne wahrscheinlich wenig Wissen in der Medizin überhaupt standhalten.
Er beklagte mehr die klinische Relevanz der Ergebnisse. Die Effektstärke im Sinne der Mittelwertunterschiede lag in der Metaanalyse über alle Antidepressiva hinweg bei geringen 0,3. Das sieht er auch in seiner klinischen Praxis bestätigt: Zu wenig Patienten sprechen an, die Zeit bis zum Ansprechen dauert zu lange und es gibt zu viele Kranke mit Restsymptomen.
Das wollte Professor Dr. Klaus Lieb, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsmedizin Mainz, so nicht stehen lassen. Alle Antidepressiva würden eine deutliche Wirksamkeit zeigen, nur seien eben die Placeboeffekte auch hoch, weshalb dann in den Studien relativ geringe Effektstärken resultierten.
Major Depression per Stufenschema behandeln
Er schlug zur Therapie der Major Depression ein Stufenschema unter Abwägung von zu erwartendem Erfolg und Verträglichkeit vor. Gestartet wird mit den selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern (SSRI) Escitalopram oder Sertralin, ggfs. ergänzt durch ein Benzodiazepin oder ein niederpotentes Antipsychotikum und Johanniskraut.
Wenn sich in vier Wochen keine Besserung zeigt, sollte man umstellen. Auf Stufe 2 stehen hoch dosiertes Venlafaxin, evtl. Milnacipran oder eine SSRI-Augmentierung mit Mirtazapin. Als dritte Stufe schlug Prof. Lieb eine Augmentation mit Lithium vor. Ggfs. könne vorher auf Amitriptylin gewechselt werden.
Kongressbericht: Kongress der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) 2019
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