Bei leichten Depressionen erst mal auf Antidepressiva verzichten

Maria Fett

Erst wenn die Depression schlimmer wird, sollte man an eine medikamentöse Behandlung denken. Erst wenn die Depression schlimmer wird, sollte man an eine medikamentöse Behandlung denken. © fotolia/Black Brush

Viele verschreiben schon bei milden Depressionen ein Antidepressivum, obwohl das den Betroffenen nicht viel mehr hilft als ein Placebo, meinen Psychiater. Erst bei stärkeren Episoden sollten Sie in die Pharma-Kiste greifen.

Bis zu 75 % der Wirkung von Antidepressiva gehen auf Placebo- und unspezifische Effekte zurück. Das bedeutet nicht, dass Sie Ihre depressiven Patienten fortan nur noch mit Zuckerpillen behandeln sollen. Allerdings konnte man die pharmakologische Überlegenheit gegenüber Placebo bislang nur bei schweren Verläufen nachweisen, schreiben die Psychologen um Johanna­ Gehrisch von der Schlosspark-Klinik Berlin. Die Experten fassen zusammen, wie die leitliniengerechte Pharmakobehandlung von Einzelepisoden und unipolarer Depressionen Erwachsener aussieht.

Indikation und Medikamentenwahl

Neben Psycho- und Soziotherapie gelten Psychopharmaka als dritte Säule der Depressionstherapie. Im Gegensatz zu mittelgradigen und schweren Verläufen sollten Ärzte den Rezeptblock bei milden Symptomen aber zunächst in der Schublade lassen und kritisch abwarten – Stichwort: Spontanremission. Für mittelgradige Episoden eignen sich Antidepressiva genauso wie eine Psychotherapie. Bei schweren Episoden empfiehlt die S3-Leitlinie zur unipolaren Depression generell eine medikamentöse Behandlung, unterstützt durch psychologische Interventionen.

Depressiven fehlt weder Serotonin noch Noradrenalin

Fast alle der knapp 30 in Deutschland zugelassenen Präparate erhöhen die Konzentration von Serotonin bzw. Noradrenalin im synaptischen Spalt. Ob dadurch der antidepressive Effekt erzielt wird, bleibt für die Autoren fraglich. Weder weisen depressive Patienten nennenswerte Defizite im Serotonin- bzw. Noradrenalinhaushalt auf, noch konnte die Frage geklärt werden, weshalb sich klinische Effekte erst Wochen später zeigen, obwohl intrasynaptische Veränderungen bereits binnen Stunden eintreten. Die Medikamente unterscheiden sich allerdings deutlich hinsichtlich ihrer Nebenwirkungen. Die Wahl des geeigneten Pharmakons sollte sich folglich vorrangig daran orientieren, raten die Autoren.

Drei Phasen der Behandlung

1. Ist das Präparat gewählt, gilt es zeitnah dessen empfohlene Standarddosis zu erreichen. Startet man unterhalb der wirksamen Menge, muss diesbezüglich schnell aufdosiert werden. In dieser ersten Phase der Akuttherapie sollten Ärzte drei bis vier Wochen warten  – bei älteren Patienten kann es auch mal sechs Wochen dauern –, ehe sie über Ansprechen oder Nicht-Ansprechen urteilen. Psychopathologische Befunde sowie Fremd- oder Selbstbeurteilungsbögen helfen dem behandelnden Arzt, sich zu entscheiden. Auf subjektive Vergleiche anhand eigener Erinnerungen (von Arzt oder Patient) sollte man sich nicht verlassen, da oft Teilbesserungen übersehen werden, so die Autoren.

Drei Episoden in fünf Jahren sprechen für Dauerprophylaxe

2. Zeigt der Daumen nach der ersten Phase der Akuttherapie nach unten, müssen Alternativen her (siehe Kasten). Spricht der Patient auf das Präparat an, nimmt er es weiter bis zur Remission und geht anschließend in die Erhaltungstherapie über. Diese dauert sechs bis neun Monate und dient v.a. dazu, einem Frührezidiv vorzubeugen. Die Dosis bleibt in dieser Zeit unverändert.

Wenn das Psychopharmakon nicht wirkt

Spricht der Patient trotz adäquater Dauer und Dosis nicht auf die Antidepressiva-Monotherapie an, kommen verschiedene Strategien infrage.
  • Pharmakotherapie beenden (v.a. bei leichten/mittelgradigen Episoden): Non-response kann ein Hinweis auf generell geringe Behandelbarkeit durch Medikamente sein. Bei dieser Strategie sind wichtig: Supportive Gespräche (auch durch Hausarzt), ggf. Wachtherapie oder spezifische Psychotherapie, Patientenberatung (Tagesstrukturierung, Planung positiver Erlebnisse, angeleitete Selbsthilfe, Sport)
  • Blutspiegel des Antidepressivums kontrollieren und ggf. die Dosis anpassen
  • Präparate aufdosieren über die Standarddosis hinaus: Effekt für trizyklische Antidepressiva, Venlafaxin und Tranylcypromin belegt, bei SSRI unwirksam
  • Medikament wechseln (keine Strategie der ersten Wahl, nicht von der Leitlinie empfohlen und ggf. unwirksam)
  • Zwei Antidepressiva kombinieren: belegte Überlegenheit gegenüber Monotherapie nur für die Kombi aus α2-Autorezeptor-Blocker (z.B. Mianserin, Mirtazapin) und Wiederaufnahmehemmer (SSRI, SNRI, Trizyklika)
  • Augmentation mit Lithium/atypischem Neuroleptikum: In der Akut­phase Lithium rasch aufdosieren (Ziel: Serumspiegel von 0,6–0,9 mmol/l) und mindestens zwei Wochen beibehalten (Erhaltungstherapie bei Response); alternativ: Quetiapin

3. Rezidivprophylaxe oder keine Rezidivprophylaxe? Diese Frage müssen Ärzte nach Abschluss der Erhaltungstherapie anhand des individuellen Risikos beantworten. Als Faustregel gilt: Erlebte der Patient in den vergangenen fünf Jahren beispielsweise schon drei depressive Phasen, ist eine weitere wahrscheinlich und die Indikation zur langfristigen Prophylaxe gegeben. Sie erfolgt mit demselben Präparat, wenn es bisher gut vertragen wurde.

Quelle: Gehrisch J et al. Arzneiverordnung in der Praxis 2018; 45: 141-148

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