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SSRI abgesetzt, Sexualität dennoch gestört

Schon die Depression selbst ist ein Lustkiller und der deutliche Libidoverlust gehört zu den Diagnosekriterien für eine Depression, erklärte Professor Dr. Tillmann Krüger von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. Aber genauso kann die antidepressive Therapie das Verlangen hemmen – selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) und Serotonin-Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer (SNRI) wirken u.a. auf die für die Sexualfunktionen relevanten Serotoninrezeptoren.
Diese unerwünschten Effekte beobachtet man nicht nur unter laufender Behandlung, sondern sogar nach dem Absetzen. Prof. Krüger schätzt die Häufigkeit der post SSRI sexual dysfunction (PSSD) nach SSRI und SNRI auf einen einstelligen Prozentbereich. Die europäische Arzneimittelagentur EMA hat 2019 verfügt, dass die Produktinformationen zu Citalopram, Escitalopram, Fluvoxamin, Fluoxetin, Paroxetin, Sertralin, Duloxetin, Milnacipran den Warnhinweis auf die nachhaltige Beeinträchtigung der Sexualität enthalten müssen.
Symptomorientiert z.B. mit Sildenafil behandeln
Der Verdacht, dass eine solche Störung auf das abgesetzte Medikament zurückzuführen ist, besteht besonders bei jüngeren Patienten (< 50 Jahre) mit normalen Depressions- und Angstwerten auf der Hamilton Depressionsskala (HADS) ohne Substanzkonsum oder andere Erkrankungen, die solche Symptome erklären. Männer trifft es viermal häufiger als Frauen. Man kann eine symptomorientierte Therapie versuchen, z.B. mit Sildenafil bei der Indikation erektile Dysfunktion. Wichtig vor allem: die Partnerin mit einbeziehen, empfahl Prof. Krüger. Sie hält häufig die fehlende sexuelle Aktivität für das Ende der Liebe.
Frauen entwickeln als Langzeitfolge nach der Einnahme gelegentlich eine sehr belastende genitale Übererregbarkeit (Persistant Genital Arousal Disorder, PGAD). Berichtet wurde die Störung im Zusammenhang mit der Einnahme von Citalopram, Fluoxetin, Venlafaxin und anderen SSRI, aber auch weiteren zentralnervös wirksamen Substanzen wie Lamotrigin oder Quetiapin. Ob die Langzeiteinnahme von SSRI ein besonderes Risiko darstellt, weiß man noch nicht. Nach Erfahrung von Prof. Krüger gibt es eine Patientenpopulation mit einer besonderen Vulnerabilität für diese Nebenwirkungen. Er plant eine PGAD-Studie, um ätiopathologische und klinische Faktoren des Phänomens besser zu charakterisieren.
Mit selektiven Serotonin-Wiederaufnahmehemmern die Demenzentwicklung verzögern?
Serotoninrezeptoren auch auf Tumorzellen
Dazu kommt die damit verbundene Verhaltensänderung mit verminderter körperlicher Aktivität und einem vermehrten Konsum von Alkohol, Nikotin und anderen Substanzen. Hinweise für negative Einflüsse von SSRI auf die Knochen gibt es aus tierexperimentellen Studien, die sich bisher beim Menschen nicht bestätigen ließen. Eine epidemiologische Studie belegt aber ein erhöhtes Frakturrisiko unter SSRI-Therapie. Auch wenn bislang wenig Evidenz für Knochenschäden durch SSRI vorliegt, hält Prof. Schweiger aufgrund der Größenordnung des vorgealterten Skelettes bei depressiven Patienten das Problem durchaus für relevant. SSRI werden in Leitlinien zur Therapie der Depression bei Tumorpatienten ausdrücklich empfohlen. Es gibt aber auch Befürchtungen, dass sie die Proliferation von Tumorzellen beeinflussen könnten. Denn Serotoninrezeptoren auf Tumorzellen modulieren die mitogene Aktivität, berichtete Professor Dr. Kai G. Kahl von der Klinik für Psychiatrie, Sozialpsychiatrie und Psychotherapie der Medizinischen Hochschule Hannover. In vitro fand sich zudem eine SSRI-induzierte zelluläre Glukoseaufnahme, sie könnte ebenfalls die Proliferation der Krebszellen antreiben. In Zelllinien von Mamma-, Ovarial- und Lungenkarzinom ließ sich aber kein Effekt von SSRI auf die mitotische Aktivität nachweisen. Eine retrospektive Studie ermittelte allerdings ein verkürztes progressionsfreies Überleben von Patientinnen mit Ovarialkarzinom und eine erhöhte Brustkrebsmortalität unter SSRI-Therapie.Kongressbericht: Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) Kongress 2019
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